"Anzeichen einer neuen VERSKLAVUNG"

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Krzysztof Piesewicz, Drehbuchautor des früh verstorbenen Krzysztof Kieslowski, im Gespräch über den polnischen Meisterregisseur und die gemeinsamen Filme.

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Krzysztof Piesewicz, Drehbuchautor des früh verstorbenen Krzysztof Kieslowski, im Gespräch über den polnischen Meisterregisseur und die gemeinsamen Filme.

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Am 13. März 1996 starb der polnische Regisseur Krzysztof Kieslowski im Alter von nur 54 Jahren. Krzysztof Pisiewicz, 71, war sein Drehbuchautor. Zwischen 1985 und 1994 schrieb er mit Kieslowski den Film "Ohne Ende (Bez Ko´nca)", den zehnteiligen Zyklus "Dekalog", "Die zwei Leben der Veronika" und die "Drei-Farben"-Trilogie. Pisiewicz war im Herbst zur Retrospektive des Let's CEE-Festivals in Wien.

Die Furche: Wie haben Sie Krzysztof Kieslowski kennengelernt?

Krzysztof Piesiewicz: Eine gemeinsame Freundin, die Schriftstellerin Hanna Krall, wollte, dass ich ihn treffe. Ich sagte: "Ich bin doch Anwalt". Aber sie beharrte darauf. So kamen wir ins Gespräch. Unsere Generation hat viel erlebt. Ich bin im zerstörten Warschau geboren - in einem Haus, das als einziges im Umkreis von einem Kilometer stehengeblieben ist. Als ich fünf oder sechs Jahre alt war, waren die Kirchen voll, und in den Schulen wurde Marxismus gelehrt. Zur Zeit der Gewerkschaftsbewegung "Solidarnosc" war ich ein junger politischer Strafverteidiger.

Die Furche: 1984 wurde der Priester Jerzy Popieƚuszko vom Staatssicherheitsdienst ermordet. Waren Sie in den Mordprozess involviert?

Piesiewicz: Ja, aber mit diesem Gerichtsverfahren kam meine Anwaltstätigkeit zum Ende. Der Prozess bedeutete eine Chance für mich. Aber ich wusste auch, dass mich das Geschehen nicht mehr loslassen würde. Und dass die Soutane des Ermordeten zur Reliquie werden würde. Anwälte der Opposition hatten zunächst keine großen Probleme. Wenn man aber den Finger in die Wunde legte und die politischen Strukturen analysierte, begannen die Schwierigkeiten. Damit haben wir einen Tabu-Bereich betreten und öffentlich gemacht. Ich zahle bis heute einen Preis dafür. Kurz nach dem Prozess wurde meine Mutter ermordet. Sie hatte, genau wie Popieƚuszko, eine Schlinge um den Hals.

Die Furche: Im Jahr darauf schrieben Sie mit Kies´lowski ihr erstes Drehbuch für "Ohne Ende" über Polen im Kriegsrecht. Die erste Figur, die auftritt, ist ein toter Anwalt.

Piesiewicz: Ja, das ist sehr symbolisch. Einen Anwalt wie Antek in "Bez Konca" gibt es nicht mehr. Der Film erzählt von einer illusorischen Freiheit. Ich sehe auch heute viele Anzeichen einer Flucht vor der Freiheit, einer neuen Versklavung.

Die Furche: Was fehlt?

Piesiewicz: Ich habe die Kirche mit zwölf Jahren verlassen. Als junger Anwalt entdeckte ich dann die Schriften von Simone Weil. Durch sie begann ich mich für den Menschen Jesus zu interessieren. Dann wurde mir Albert Camus wichtig. Ich halte ihn - obwohl er das nicht so sagen würde - für den größten Christen des 20. Jahrhunderts. Ich war fasziniert vom christlichen Personalismus, ich stürzte mich auf die Philosophie des Dialogs, Emmanuel Levinas zum Beispiel. Ein solches Denken konnte nur im Schatten des Holocausts entstehen. Es schmerzt mich, dass es -soweit ich sehe - heute kaum mehr zu finden ist.

Die Furche: Haben Sie in Ihren Filmen ein philosophisch-religiöses Programm verfolgt?

Piesiewicz: Nein. Was wir geschrieben haben, hat nichts mit Religion zu tun. Aber es war erfüllt von diesem Personalismus, von einer Suche nach dem Licht. Unsere Generation hat schlimme Erfahrungen gemacht, aber gerade darum haben wir den Spalt gesucht, durch den das Licht fällt. Ich spüre eine Abneigung vor dem "diskreten Charme von Barbarei und Grausamkeit" im heutigen Filmschaffen.

Die Furche: "Dekalog" gilt heute als Meisterwerk. Im Vorfeld aber wurde Kies´lowski kritisiert. Kameraleute wollten nicht mitmachen, weil ihnen die Filme zu wenig politisch erschienen. Selbst der Komponist Zbigniew Preisner hat gezögert.

Piesiewicz: Ich habe mich auch davor gefürchtet. Wir betraten ein Terrain, das nicht meines war. Aber "Dekalog" wurde enthusiastisch aufgenommen, weil wir jede theologische Interpretation vermieden haben und die existenzielle Verfassung des Menschen in den Mittelpunkt stellten. Jeder Mensch auf der Welt versteht, wenn man etwas mit Liebe erzählt, wenn man die Wahrheit über den Menschen sagt, wenn man nicht belehrt oder verurteilt, sondern Fragen stellt, die jeden einzelnen quälen: Wer bin ich? Warum bin ich? Wieso sehne ich mich nach etwas? Die Kunst stellt Fragen statt Antworten zu geben.

Die Furche: In "Drei Farben: Blau" stirbt ein Komponist, der an einer Musik für die Einheit Europas arbeitet. Heute herrscht Kakophonie, die EU-Länder scheinen keinen gemeinsamen Rhythmus zu finden. Ein prophetischer Ansatz?

Piesiewicz: Wir hatten eine andere Schluss-Szene geplant: In allen europäischen Hauptstädten gleichzeitig sollten Orchester spielen, geleitet von einem Dirigenten an den Champs-Élysées. Aber wir konnten das Geld nicht auftreiben. Wenn ich sehe, was heute in Europa geschieht, frage ich mich, ob das vielleicht kein Zufall war.

Die Furche: Zbigniew Preisner war der Dritte im Bund. Seine Musik hat zum unverwechselbaren Charakter der Filme viel beigetragen.

Piesiewicz: Wenn ich mit einer Idee kam, war nicht nur Kieslowski von Anfang an involviert, sondern auch Preisner. So hatte er Zeit, über die Musik nachzudenken. Ich war vom ersten Wort im Drehbuch bis zum letzten Schnitt mit dabei. Seit Kieslowskis Tod habe ich zwölf Drehbücher geschrieben. Ich bekomme einen Auftrag und liefere das Produkt ab. Preisner hat für mindestens 150 Filme komponiert. Er macht die Musik zum fertigen Film. Das ist nicht vergleichbar mit unserer organischen, gemeinsamen Arbeit von damals.

Die Furche: "Drei Farben: Weiß" ist ein überraschend komödiantischer Film.

Piesiewicz: Ich bereue sehr, dass ich mit Kieslowski nicht mehr lustige Filme gemacht habe - wie "Weiß" oder "Dekalog 10". Ich liebe Charlie Chaplin, und Kies´lowski hatte großes Talent für einen Humor, der nicht verhöhnt. Die Furche: Fehlt er Ihnen?

Piesiewicz: Viele Jahre lang waren wir fast jeden Tag zusammen. Er hat mich ausgepresst wie eine Zitrone. Er fehlt mir als Freund, als jemand, der sofort wusste, worüber ich nachdachte. So etwas werde ich nicht mehr erleben. Überhaupt fehlen Menschen wie er. Einmal sagte er: "Es gibt viele großartige Schauspielerinnen und Schauspieler, aber nur mit fünf Prozent von ihnen möchte ich arbeiten." - "Warum?", fragte ich. - "Weil sie nicht lügen."

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