Apokalypse über Zentralamerika

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Der Wirbelsturm Mitch und die anschließenden sintflutartigen Regenfälle ließen große Teile Mittelamerikas in Wasser und Schlamm versinken. Doch mit einem besseren Krisenmanagement wären viele der Opfer vermeidbar gewesen.

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Der Wirbelsturm Mitch und die anschließenden sintflutartigen Regenfälle ließen große Teile Mittelamerikas in Wasser und Schlamm versinken. Doch mit einem besseren Krisenmanagement wären viele der Opfer vermeidbar gewesen.

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Nach dem Verlassen des Bürgermeisteramtes von Ciudad Dario überhäufte eine wütende und verzweifelte Menge den nicaraguanischen Präsidenten Arnoldo Aleman mit Beschimpfungen und hätte ihn beinahe gelyncht. Nur unter Polizeischutz konnten er und seine Begleiter zu ihrer Kolonne von Mitsubishi-Limousinen eilen und fluchtartig den Ort verlassen. Sie waren eigentlich auf dem Weg nach Sebaco im Norden des Landes, konnten jedoch wegen zerstörter Brücken die Reise in dieses Gemüseanbauzentrum nicht fortsetzen.

Die Menschen in Nicaragua fühlen sich von ihrem Staatschef verhöhnt und verraten. Als die Satellitenbilder bereits klar zeigten, wie gefährlich sich der Hurrikan auf Nicaragua zubewegte, sprach Aleman im Fernsehen noch davon, daß sich der Wirbelsturm vom Land entferne und in Richtung Yucatan (Mexiko) abziehe. Und als dann Mitch mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 300 km/h über den Norden Nicaraguas brauste, waren überhaupt keine Evakuierungsmaßnahmen getroffen. Ganz im Unterschied zum Hurrikan Juana etwa, der vor zehn Jahren den Osten des Landes verwüstete, wobei jedoch auf Grund der Vorsorgemaßnahmen der sandinistischen Regierung die Opferzahlen relativ niedrig gehalten werden konnten.

Die Berichterstattung in den Medien bei uns setzte erst spät ein, doch Nicaraguas Staatspräsident reagierte noch langsamer. Als die Nachrichten über das Ausmaß der Katastrophe - auf Basis von Berichten lokaler Institutionen und Bürgermeisterämter - bereits Europa erreicht hatten, präsentierte die Regierung Aleman noch ganz offiziell falsche und verharmlosende Informationen. Der Präsident erklärte öffentlich, daß er nicht den nationalen Notstand ausrufen werde, weil dadurch nur bestimmte Nichtregierungsorganisationen begünstigt würden - jene Organisationen, die ihren Ursprung vielfach in der pro-sandinistischen Solidaritätsbewegung der achtziger Jahre haben. Und als Kuba, das 1988 nach der Juana-Katastrophe sofort und umfassend Hilfe geleistet hatte, ein Ärzteteam und Medikamentensendungen anbot, lehnte Aleman aus ideologischen Gründen ab.

Empörung unter der Bevölkerung rief auch die Tatsache hervor, daß die Regierung ganz offenkundig die Hilfsmaßnahmen für eigene politische Ziele instrumentalisiert. Die Liberale Partei Alemans zentralisiert die nationale und internationale Hilfe und versucht dann, sie als Geschenk der Regierung und der Partei zu verkaufen. In Granada etwa wurden Hilfsgüter im Namen der Partei verschenkt. Es gibt auch viele Klagen, daß liberale Gemeindeverwaltungen klar bevorzugt werden. Die verbalen Auseinandersetzungen zwischen sandinistischen und regierungsnahen Gemeinden und Institutionen behindern eine gerechte Verteilung der Hilfsgüter und vergiften die Atmosphäre.

Die schlimmsten Verwüstungen richtete nicht der Wirbelsturm selbst an, sondern die endlosen Regenfälle, die anschließend einsetzten. Immer größere Teile des Landes, vor allem im Norden Nicaraguas, versanken unter Wasser und wurden in Inseln aufgeteilt, deren Verbindung untereinander unterbrochen war. Flüsse, die seit zwanzig Jahren ausgetrocknet waren und an deren Ufern sich Menschen angesiedelt hatten, wurden nunmehr zu reißenden Wasserläufen. Am verhängnisvollsten waren jedoch die Schlammlawinen, die ganze Dörfer unter sich begruben und Straßen unpassierbar machten. Katastrophal der riesige Erdrutsch am 1.400 Meter hohen Vulkan Casitas in der Pazifikebene im Nordwesten: Die Regenfälle hatten den Kratersee langsam mit Wasser angefüllt und den Kraterrand derart aufgeweicht, daß dieser schließlich barst und in der Nacht des 30. Oktobers ins Tal rutschte und dabei die Dörfer Versalles, El Porvenir und Rolando Ramirez völlig unter sich begrub; und mit ihnen an die 1.500 Menschen.

Auch hier war das Ausmaß der Katastrophe hausgemacht. Abgesehen vom Ausbleiben jeglicher Evakuierungsmaßnahmen erwies sich bei diesem Hurrikan die Tatsache als fatal, daß immer mehr Menschen - sozusagen Wirtschaftsflüchtlinge im eigenen Land - sich in risikoreichen Randlagen ansiedeln. An Berghängen und Flußufern etwa, die wirtschaftlich so wertlos sind, daß niemand die illegalen Siedler vertreibt. Ihre Hütten werden immer wieder in Regenzeiten weggespült. Diese Menschen stellen auch den Großteil der Todesopfer. Zwei Wochen nach der Katastrophe waren übrigens immer noch keine verläßlichen Zahlen bekannt. Schätzungen sprechen von 30.000 Toten und Vermißten in Nicaragua und Honduras und von Hunderttausenden Obdachlosen.

Mit dem Ende der sintflutartigen Regenfälle war und ist die Gefahr für die Bevölkerung nicht zu Ende. Eines der größten Probleme ist nunmehr die Seuchengefahr. Die meisten Hütten in den ärmlichen Behausungen haben keine Toilette, sondern nur ein Plumpsklo. Diese Latrinen hinter den Häusern sind nun überflutet, so daß das Hochwasser mit Fäkalien verseucht ist. Tagelang gab es kein Trinkwasser. Eine in ihren Folgen noch nicht abschätzbare Krankheitswelle ist zu befürchten.

Auch das nördliche Nachbarland Honduras wurde stark in Mitleidenschaft gezogen, und auch hier war die Lage in den ersten Tagen der Katastrophe völlig undurchsichtig. In dem stark von der Agrarproduktion abhängigen mittelamerikanischen Land sind die wirtschaftlichen Schäden wahrscheinlich noch größer als in Nicaragua, und vermutlich auch die Zahl der Menschenopfer. Der gesamte Norden, das Industrie- und Landwirtschaftszentrum von Honduras, wurde unter Wasser gesetzt, die meisten Brücken wurden zerstört. Selbst die Hauptstadt Tegucigalpa wurde teilweise von Erdrutschen verwüstet. Um sich ein Bild vom Ausmaß der Katastrophe zu machen, bestieg der populäre Bürgermeister Cesar Castellanos einen Armeehubschrauber und überflog die Hauptstadt. Der Helikopter stürzte ab, Castellanos und drei weitere Insassen kamen ums Leben.

Auf Grund der schlechten Informationslage in den ersten Tagen der Katastrophe und der Verharmlosungspolitik der Regierung Nicaraguas liefen auch die internationalen Hilfsmaßnahmen erst verspätet an. Die Präsidenten von Nicaragua und Honduras griffen erfreut die Initiative des französischen Premierministers Lionel Jospin auf, ihren Ländern die Auslandsschulden zu erlassen, um mittelfristig eine wirtschaftliche Erholung zu ermöglichen. Mehrere Länder folgten bereits dem Beispiel Frankreichs und reduzierten oder stundeten zumindest die ausständigen Schulden. Die österreichische Bundesregierung gab bekannt, daß sie bei Nicaragua auf 500 Millionen Schilling Verbindlichkeiten aus bilateralen Hilfsprojekten verzichten will. Dieser Schuldenerlaß wurde allerdings bereits im Juli des Vorjahres vom Parlament abgesegnet und wird nun quasi zum zweiten Mal "verkauft". Überdies stellt Österreich für die Opfer der Wirbelsturmkatastrophe zwölf Millionen Schilling an Soforthilfe zur Verfügung.

Zahlreiche Hilfsorganisationen haben Spendenkonten für die Mitch-Opfer eingerichtet, darunter die Caritas (PSK 7.700.004, Kennwort Nicaragua) und die Koordinierung österreichischer Partnerschaften (PSK 9.304.0448, Kennwort Mitch), die nichtstaatliche Hilfsprojekte in Nicaragua unterstützt.

Veranstaltungshinweis: Am 24. November wird Mirna Cunningham, Angehörige des Miskito-Volkes und Rektorin der Universität der Atlantikregion Nicaraguas, über die aktuelle Lage in Nicaragua sprechen (Amerlinghaus, Stiftgasse 8, 1070 Wien, 19.30 h).

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