Appell an die verbleibenden Kräfte

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Man kann aus den eben publizierten katholischen Kirchenaustrittszahlen allerlei herauslesen. Dass der Spitzenwert für 2010, das Jahr der Missbrauchskrise, deutlich unterschritten wurde, war erwartbar - bleibt aber für die katholische Kirche des Landes erfreulich.

Dennoch gibt es am langfristigen Trend wenig zu deuteln. Pendeln sich die Austrittszahlen etwa bei 50.000 im Jahr ein, dann ist fürs Jahrzehnt zwischen 2020 und 2030 zu erwarten, dass in Österreich die Katholiken nicht mehr die Mehrheit im Lande bilden. (In der Stadt Wien wurde die 50-Prozent-Schwelle schon ums Jahr 2000 herum unterschritten!)

Das ist eine dramatische Perspektive. Diese verschärft sich, nimmt man zusätzlich die Erosion beim Priesternachwuchs in den Blick: Die letzte Zahl aus dem Jahr 2010 weist mit 22 Priesterweihen einen Allzeit-Tiefstand aus.

Strukturwandel ist keine Ausrede

Österreichs traditioneller Katholizismus steht vor dem Aus. Das ist keine Übertreibung mehr. Und sollte aber keineswegs mit dem Achselzucken hingenommen werden, der Strukturwandel hin zu einer mobilen, multireligiösen Gesellschaft mit ihrem Markt an Sinnangeboten treffe eben auch die katholische Kirche im Land.

Denn die Kirche versteht sich ja als Glaubensgemeinschaft von Menschen, die füreinander und für andere da sind. Das bedingt die Präsenz am Ort, bedeutet Erreichbarkeit und Sichtbarkeit. Für den mobilen Zeitgenossen ist das natürlich nicht das Gleiche wie für den Ortsgebundenen etwa des 19. Jahrhunderts. Aber das Grundbedürfnis vieler Menschen nach religiöser Beheimatung und nach diesbezüglicher Verwurzelung darf die Kirche, will sie ihrem Auftrag treu bleiben, nicht gering achten.

Von daher ist die Auseinandersetzung um die Kirche der Zukunft zu führen - und diese darf nicht durch Tabus gelähmt werden. Man kann zwar schon kaum mehr hören, dass die permanente Weigerung der Leitungen von Orts- und Weltkirche, sich der Diskussion um die Struktur- und die Amtsfrage auch nur im mindesten zu stellen, die notwendige Entwicklung weitgehend lähmt.

Und man mag auch schon kaum sein Ceterum censeo hinzufügen: Es geht dabei nicht um die Aufgabe von Glaubenssubstanz, wie permanent befürchtet wird. Sondern darum, die frohe Botschaft für die Menschen unter den Bedingungen von heute zu verkünden und dem Auftrag Jesu gemäß (Stichwort: Eucharistie!) weiter zu handeln. Das kann aber mit dem Beharren auf strukturelle Gestaltungsweisen des 19. Jahrhunderts nicht funktionieren.

Unter den Bedingungen von heute

Die Historie lehrt, dass die Kirche oft imstande war, sich in den gesellschaftlichen und politischen Strukturen der jeweiligen Zeit zu bewegen. Das II. Vatikanum begann einen Aufbruch, dies auch unter Erfordernissen der Moderne und der Demokratie als politisches System zu tun. Doch der Aufbruch ist weithin zum Stillstand gekommen, eine absolute Monarchie, zu der sich die katholische Kirche auch aus politischer Opportunität entwickelte, wird als ein Modell für die Ewigkeit verkauft.

So kommt es, dass sich Rom und dieser Papst intensiv um die Rückholung der Pius-Bruderschaft mühen, die einem Glaubens- und Denkmodell von der Schwelle des 18. zum 19. Jahrhundert verhaftet ist und dieses als ewige Wahrheit verkauft. Man darf keine Illusion haben: Eine Rückkehr der Lefebvrianer gibt es nur, wenn Rom auf deren Bedingungen eingeht.

Eigentlich müssten dem entgegen Österreichs Kardinal und Bischöfe mit ihren Kollegen sowie den Schüllers des Landes und der Welt in und notfalls auch gegen Rom auftreten, um eine heilsame Auseinandersetzung und - ja auch! - Konfrontation über die Zukunft der Kirche anzuzetteln. Würde die Erosion des Katholischen hierzulande als Zeichen der Zeit verstanden, wäre eine solche gemeinsame Anstrengung der verbleibenden Kräfte angebracht.

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