Architektur als Gemeinschaftsarbeit

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Der Pritzker-Preis, die wichtigste Auszeichnung für Architektur, geht heuer überraschend an den Chilenen Alejandro Aravenas, der weniger Ikonenhaftes gebaut, sondern Sozialprojekte verwirklicht hat. Der Preis wird am 4. April verliehen.

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Der Pritzker-Preis, die wichtigste Auszeichnung für Architektur, geht heuer überraschend an den Chilenen Alejandro Aravenas, der weniger Ikonenhaftes gebaut, sondern Sozialprojekte verwirklicht hat. Der Preis wird am 4. April verliehen.

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Genauso, wie auf den Gebieten Physik, Chemie, Physiologie, Medizin, Literatur und für Friedensbemühungen der Nobelpreis vergeben wird, existiert der Pritzker-Preis, als inoffizieller Oscar (oder manchmal auch als der Nobelpreis) der Architekturpreise bezeichnet. Diese jährlich vergebene Auszeichnung ist mit 100.000 US-Dollar dotiert und genießt in Fachkreisen eine hohe Wertschätzung. Der erste und bisher einzige Österreicher, der den Preis erhielt, war Hans Hollein (1985).

Der Altersschnitt der Preisträger ist bisher sehr hoch: Bis jetzt lag er bei weit über sechzig, und es waren seit 1979 auch nur zwei Frauen darunter. Auch afrikanische Architekten sucht man vergebens. Als erster chilenischer Architekt wurde heuer der 48-jährige Alejandro Aravena gewürdigt. Es ist eine mutige Entscheidung, nicht wieder Architekten, die ausschließlich für zeichenhafte und imageträchtige Architektur stehen, zu ehren. Gerade heute, in einer Zeit der großen Migrationsbewegungen, der Entstehung von Slums und sozialen Gettos in den Städten, sind die Fragen des Bauens andere als jene der Bilder und technoider Methoden. Aravena steht symbolhaft für eine ganze Reihe von Architekten, die sich (wieder) sozialer Themen als Teil des Architekturprozesses annehmen. Die auch einmal umbauen, statt abzureißen und den Menschen mit den sozialen Strukturen funktionierender Gemeinschaften in den Mittelpunkt stellen. "Er ist Ausdruck für eine neue Generation von Architekten, die ein holistisches, umfassendes Verständnis der gebauten Umwelt haben", lautet die Erklärung der diesjährigen Pritzker-Jury.

Architektur mit geringem Budget

Schon 2001 gründete er die Institution "Elemental", von ihm selbst in Anlehnung an die sonst so häufig anzutreffenden "Thinktanks" als "Do-Tank" bezeichnet. Zu den Low-Cost-Projekten von Elemental zählen Wohnbauten und Reihenhaussiedlungen für einkommensschwache Schichten, die wunderbar beweisen, dass man auch mit wenig Budget und einfachen materiellen Ressourcen lebenswerte Architektur schaffen kann. Vor allem eines seiner Projekte wurde zum Inbegriff einer neuen Denkhaltung in der zeitgenössischen Architektur: 2003 sollte er Häuser für hundert Menschen im nordchilenischen Iquique entwerfen - es gab allerdings nur 7500 Dollar Fördergelder pro Familie. Er entschied sich dafür, nur halbe Häuser zu bauen, die Infrastruktur und alles, was man schwer selbst machen kann, zu errichten und zwischen den Häusern Raum freizulassen. Diesen können die Bewohner wahlweise als Terrassen nutzen oder, wenn etwas Geld da ist, zumauern und vermieten. So verschaffte er den Einwohnern ein zusätzliches Einkommen. Das Projekt war auch ästhetisch ansprechend und wurde mehrmals in Chile und Mexiko kopiert.

Aravena ist jedoch eine zwiespältige Person. Es gibt auch imageträchtige Beispiele in seinem Œuvre, welche sich der Nähe zum Brutalismus nicht verweigern. Dazu gehört sicherlich das UC Innovation Center der Angelini Gruppe in Santiago de Chile. Könnte man die menschliche Figur nicht als Maßstab heranziehen, entzöge sich dieses architektonische Objekt jedem proportionalen Vergleich. Erst bei näherer Betrachtung fällt die wahre Größe der Architektur auf: zehn Geschoße über und drei unter der Erde umfasst das Gebäude.

Zeitlos, beeindruckend, energieeffizient

Es ist zeitlos, beeindruckend, energieeffizient, hat einen spröden Charme - der vom verwendeten Material Beton herrührt - und ist ausgesprochen interessant in seiner funktionalen Konzeption: Der Architekt wollte bewusst nicht den in Santiago üblichen Glashochhausstil benutzen, um dem Gebäude einen zeitgemäßen Ausdruck zu verleihen. Diese Türme verbrauchen nämlich eine Menge Energie für die Klimatisierung.

Die Lösung, um Temperaturspitzen im Inneren zu vermeiden, war für ihn, die Masse des Bauwerkes an die Außenseite zu verlegen und im Inneren einen transparenten, für die Kommunikation und den Wissensaustausch fördernden Raum zu schaffen. Durch die tief liegenden Öffnungen in der Außenwand entsteht ebenso die Möglichkeit der Querlüftung und der Beschattung der Arbeitsbereiche. So erreichte man einen Energieverbrauch von 45 kW/m 2/Jahr (im Vergleich zu den 120 kW/m 2/Jahr eines Glashochhauses). Auch bieten die Bereiche in den tiefen Nischen Terrassen und Erholungsräume an - ein klares und konsequent durchgezogenes Konzept.

Interessant ist auch, dass Alejandro Aravena der Direktor der heurigen Architekturbiennale in Venedig ist. Nachdem Chipperfield eine Themenverfehlung und Koolhaas eine Systemanalyse geliefert hatten, steht mit dem Motto "Reporting from the Front" ein weites Feld für den "Architekten beider Welten" offen.

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