Architektur goes Cyberspace

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Wie sieht das Haus am Datenhighway aus? Diese Frage beschäftigt eine junge Planerkooperative.

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Wie sieht das Haus am Datenhighway aus? Diese Frage beschäftigt eine junge Planerkooperative.

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Mittagspause. Die Maus schließt das Textverarbeitungsprogramm, das Auge wandert über einen Sandstrand. Bald wird die Mitarbeitersitzung beginnen, face to face mit dem Chef aus Tokyo. Weder Strand noch Chef sind physisch am Telearbeitsplatz. Der liegt doppelt real irgendwo in Österreich, und anderswo an einer Internetadresse. Für den Mitarbeiter dieses Szenarios ist alles echt. Genauso, wie der virtuelle Raum, in dem er sich präsentiert.

Die multimedialen Wände des Teams "Splitterwerk" in Graz ermöglichen eine selbstgebaute Wirklichkeit. Sie können senden und empfangen. Mörtel, Ziegel oder Glas könnten bald ausgedient haben. Videoscreens, komplexe Programme und viel Technik sind der Stoff, aus dem virtuelle Träume sind.

Grenze verschwimmt "Wir haben keine Wand mehr, sondern eine Informationsfläche, in der ich mich und meine Umwelt immer neu gestalten kann," erklärt Architekt Mark Blaschitz die Idee. Ihre Umsetzung erfordert neben Baufachleuten auch viele Programmierer.

"Meine e-mail Adresse ist genauso wichtig wie meine Postanschrift, zum wirklichen Körper kommt der virtuelle Leib," umreißt Christian Kühn, Mitherausgeber des Buches "Wohnen und Arbeiten im Global Village" die zwei Parallelwirklichkeiten der Zukunftsarchitektur.

Wo die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, innen und außen, Realität und Animation verschwimmen, wird dem Individuum die garantierte Stille wieder wichtig. Darum ist die multimediale Wand deaktivierbar. Auch der vernetzte Mensch braucht Privatsphäre.

"Man muß sich erst vorstellen, welche Auswirkung Telework auf Mensch und Region hat," erklärt Doris Dockner von "Splitterwerk." Eine ihrer Freundinnen zieht daheim zur Telework die Schuhe an. Bei privater Computernutzung ist sie barfuß. So trennt sie Arbeit und Freizeit. "Der Wohnraum muß sich vom Büro unterscheiden, auch wenn sich alles im selben Zimmer befindet." Die neu entwickelten Wände können das.

"Die Repräsentation meines digitalen Leibes zur virtuellen Welt ist eine wesentliche Frage. Architektur hat sich immer um den alltäglichen Lebenshintergrund gekümmert, sie wird das auch im digitalen Raum tun," ortet Kühn im Netz großes Betätigungsfeld für Architekten.

"Splitterwerk" leistet multimedial Pionierarbeit. Erste Büroplanungen der neuen Art entstehen schon. "Wichtig ist auch die Vernetzung mit anderen Orten," betont Blaschitz. Die vielseitigen Wände enthalten nutzerspezifische Verbindungen zu den wesentlichen Punkten am Datenhigh-way. Theoretisch genügt sich diese Art von Bauen selbst.

Ausblick nach Wunsch Auf Öffnungen nach außen will man aber nicht verzichten. "Konsequent gedacht, bräuchte ich keine Fenster mehr, weil ich mir jeden Ausblick hereinspielen kann. Andererseits muß ich aber immer noch essen. Gerüche und Luft zu spüren, das will ich niemand nehmen," macht Dockner Konzessionen an die Realwelt: "Wir kümmern uns auch um die Möbel, in denen sich der acht Stunden vor dem Schirm sitzende Mensch am wohlsten fühlt."

Kundschaft von "Splitterwerk" sind Firmen und öffentliche Institutionen, die sich auf dem Gipfel der Technologie multimedial darstellen wollen. Auch im Kunstbereich findet die Methode Anwendung. So variiert ein und derselbe Museumsraum zwischen Spiegelsaal, abtrakter Installation oder überdimensionalem Bild.

Zwischen 22.000 und 52.000 Österreicher verdienen ihre Brötchen per Telearbeit. Gerald Hammer vom Statistischen Zentralamt erklärt die Zahlendifferenz: Der niedere Wert berücksichtigt nur jene, die acht Stunden täglich daheim vor dem PC arbeiten und per e-mail, FAX oder Telefon mit ihrem Arbeitgeber kommunizieren. Inklusive Gelegenheitsarbeitern sind es aber mehr als doppelt so viele - etwa eineinhalb Prozent aller Erwerbstätigen.

"Das Internet ist real, deswegen muß man dort planen," sind sich Dockner und Blaschitz einig. Sie zählen zur Kerngruppe im Büro, dessen Mitarbeiterzahl zwischen sechs und zwölf schwankt. Sie ist so flexibel wie die Planungen, die interdisziplinäres Arbeiten erfordern. Verfahrenstechniker, Tunnelbauer, Informatiker, Künstler, Juristen oder Bauingenieure waren schon im Team. Computer sind hier auch Planungsobjekte: sie vernetzen Räume, die aufgrund großer Distanzen traditionell nicht zu verbinden sind.

Homepages made by "Splitterwerk" ähneln Stadtwanderungen: gewollte Sackgassen, die Unbefugten den Zutritt zu interner Information verwehren, gibt es genauso, wie öffentliche Plätze. An respräsentativen Seiten oder Werbebotschaften kommt keiner vorbei.

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