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Baukulturelles Erbe in Bedrängnis. Ein Beitrag zu den Alpbacher Architekturgesprächen.

Kultur ist insgesamt - jenseits der Betäubung durch Festivals und Events - vielfach in die prekäre Abhängigkeit des Bittstellers geraten. Das baukulturelle Erbe nimmt in diesem Feld eine besonders exponierte Lage ein. Die Auseinandersetzungen um Wien-Mitte, um städtebauliche Vertikalisierung und Verdichtung, um Dachaufbauten à la Ambassador und architektonische Accessoires à la albertinösem Hollein-Wing, um die "Wiederherstellung" à la Sophiensäle oder die Mutation von Holzmeisters Kleinem Festspielhaus in Salzburg zu Holzbauers Haus für Mozart sowie das als "alien architecture" der Außerirdischen im historischen Stadtraum von Graz gelandete Kunsthaus spiegeln im lokalen Kolorit die Situation, die auch in Köln, Berlin oder Paris, in Moskau, New York und Peking zu beobachten ist: Das Aufeinanderprallen gegensätzlicher Interessen, der Konflikt unterschiedlicher Ideologien, der Kampf kultureller Positionen, ein "clash of civilizations" auf speziellem Terrain.

Prestige und Nutzen

Die Regeln des freien Marktes, die Macht des Kapitals, die Gestaltsymbole von Prestige und Repräsentation, die Ökonomie des Nutzens und des Ertrags munitionieren die globalistisch vereinten Kräfte der Modernisierungsoffensiven.

Diesem Mainstream gegenüber stehen die "unzeitgemäßen" Argumente ideeller Werte, historischer und ästhetischer Orientierungen in der Defensive. Aber auch auf diesem Feld - dem eigentlichen Feld der Baudenkmalpflege - gibt es offensive Entwicklungen wie die so genannte "Erweiterung des Denkmalbegriffs", in deren Folge sich Schutzinteressen vom singulären Architektur-Monument zu Kategorien und Dokumenten der Lebenswelten des Sozialen, der Technik und Industrie, des ländlichen Raumes, der baulichen Ensembles und der Kulturlandschaft ausdehnten. Der Globalisierung der Materie baukulturelles Erbe entsprechen die Trademarks "World Cultural Heritage" und "Architectural Heritage", deren Belange von Europarat und unesco, von nationalen Institutionen und Rechtsinstrumenten, von internationalen Konventionen, Chartas und Expertengremien wie dem internationalen Council on monuments and sites (icomos) wahrgenommen werden.

Enträumlichung

Die Schwelle zwischen der Vorgeschichte der modernen Denkmalpflege und deren ins Heute führender Verlaufsfigur bildete die Französische Revolution, die insgesamt einen radikalen Bruch mit aller bisherigen Geschichte bedeutete und deren kataraktisch freigesetzte Kräfte zunächst auf die Liquidierung des Bestehenden - als des noch das verhasste Ancien Regime Repräsentierenden - abzielte. Aus den Verwirrungen und Verwüstungen dieses Tuns, dem die Ausschreitungen der Säkularisation korrespondierten, antwortete die nun einmal befreite List der Vernunft mit der Historisierung und Ästhetisierung der Vergangenheitszeugnisse und -dokumente, im besonderen natürlich der feudalen, aristokratischen und kirchlichen Bauten. Mit dieser radikalen Vergeschichtlichung einher ging die in der Kulturidee des Museums paradigmatisch erfolgte Enträumlichung der historischen Gebilde. Das isolierende Herausnehmen aus dem geschichtlichen Kontext, die Verfrachtung in die geschlossene Anstalt des Museums, die Ästhetisierung in Vitrine und Schaukasten, die damit verbundene Aufwertung des Schauwerts und der Zurschaustellung mit der Drift zum Warencharakter und zur Vermarktung haben bis heute auch die Einstellung zum architektonischen Erbe geprägt.

Das hat zunächst seinen Niederschlag gefunden in den Legistiken zum Denkmalschutz und der in Österreich bis heute ausgeprägten Dominanz des Einzeldenkmals ohne weiteren räumlichen oder sonstigen Bezug. Durch lange Zeit - viel zu lange - wurde das architektonische Erbe nur quasi als Ausstellungsstück innerhalb eines sich wandelnden Exterieurs der gebauten Umgebung gesehen.

Gefährdung und Schutz

Schutz ist generell der Versuch, Gefährdungen zu begegnen, und so gehört es gewissermaßen "systemimmanent" zur Moderne als einem Hochrisiko-System, dass den fortlaufenden Wandlungsschüben, dem Dauerdruck des Veränderns, des Wechsels und der Orientierungsbrüche durch Schutzinstrumente geantwortet wird. Gezielte Schutzbemühungen sind von einzelnen "Pflegefällen" über ganze Kategorien von Denkmalen wie dem architektonischen Erbe der bäuerlichen Lebenswelt, der Hinterlassenschaft der Industriekultur, den architektonischen Dokumenten der sozialen Bewegungen und des sozialen Fortschritts in Wohnbau, Krankenhäusern und Kindergärten nötig.

Ursächlich dafür ist das Muster von zunächst ideellem Wertverlust und nachfolgend ökonomischer Wertbesetzung, wobei der ideelle Wertverlust häufig auch gezielten Strategien unterliegt. Beispiele dafür sind der Transfer von zunächst als agrarische Randzonen oder als Brachland entwerteten, dann als Bauland ökonomisch emporgewerteten Flächen, was im Zusammenhang mit der sozial und politisch beachtlichen Komponente "Eigentum" auch das Phänomen des "urban sprawl" begünstigt. Oder das korrespondierende Faktum der ökonomischen Emporwertung des Raumes in den Bereichen des - jedenfalls hierzulande - noch kostenlosen Luftraumes, mit den Folgen der Verdichtung und Aufzonung, mit Hochhaus- und Clusterbildung.

Die Auswirkungen auf das baukulturelle Erbe sind dramatisch sichtbar: Historische Villenviertel sind von Parzellenteilungen bedroht, durch die die Altbauten Reliktcharakter bekommen, in den historischen Zentren und den Vierteln des 19. Jahrhunderts grassiert die Mode des "Draufsetzens", der gesamte Stadtorganismus wird von Hochbauten durchsetzt. Aber auch im Inneren der Bauten fallen die historischen Strukturen dem Wertetransfer zum Opfer. Der Marktlage entsprechen eben keine historischen Wohnformen mit über den derzeit geltenden Normmaßen liegenden Größen. Daher werden rigoros und vielfach ohne großes Einfühlungsvermögen Wohnungen geteilt und jeder nur irgendwie verfügbare Quadratmeter wird, in der Regel unter Liquidierung seines im ursprünglichen historischen Kontext liegenden Werts, vermarktet.

Immobile Antiquitäten

Die Chancen für das Unzeitgemäße, das historische Architektur repräsentiert, wären nur dann gegeben, wenn es gelänge, den architekturhistorischen, baukünstlerischen und kulturellen Wert sowie den damit konnotierten Repräsentationswert und vielschichtigen realen "Mehrwert" direkt und ohne Transferlasten im System der Ökonomie zu platzieren. Dies ist vergleichbar lediglich auf dem Feld der mobilen Kunst und Antiquitäten gelungen, wo einerseits die "Aktie an der Wand" den ökonomischen Wert vermittelt, andererseits dieser Wert untrennbar mit der Originalität und Authentizität des Werks verbunden ist, also mit dem Grad des Hintanhaltens von nachträglichen Interventionen. Selbst die Tatsache erfolgter Restaurierungen eines mobilen Kunstwerks, Möbels oder Schmuckstücks kann schon eine Wertminderung darstellen - jeder Sammler weiß das.

"Entkernen" und anbauen

Genau umgekehrt verhält es sich bei den immobilen Antiquitäten, als die das baukulturelle Erbe gelten sollte. Hier zählt der Interventionsspielraum. Kann das Bauwerk innen "entkernt", kann es aufgestockt, kann angebaut werden? Welche Modernisierungsstandards sind zu erreichen: K-Wert der Fenster, Wärmedämmung, Lift, Garage, Wohnungsausstattung? Stiegenhäuser werden als Raumverschwendung, Raumhöhen als Energiefresser diskreditiert, ohne die damit verbundenen lebensqualitativen Eigenschaften anzuerkennen.

Die Kehrseite dieser Ökonomisierung des Raumes zeigt sich dort, wo diese nicht gelingt. Der "Stadtumbau Ost" in den neuen deutschen Bundesländern liefert dafür ausreichend Illustrationen, das Resultat der "shrinking cities" und das heißt der ökonomisch nicht mehr attraktiven und aus den Bilanzen genommen Quartiere ist ubiquitär und stellt lediglich das Gegenbild zu den überquellenden verdichteten, vertikalisierten und zerstreuten Metropolen dar.

Ruheräume

Kann es eine Rehabilitation von historischen Räumen, von Stadträumen mit ihren Systemen von Straßen und Plätzen, Achsen und Freiflächen geben? Wie kann die Einsicht dazu befördert werden, dass Architekturen Räume bilden und Raum benötigen? Wie können Störungen dieser architektonischen Räume, und sei es "bloß" durch die Raumverletzung einer Aufzonung, aus dem derzeitigen kulturellen Selbstverständnis verbannt werden?

Pragmatisch gesehen - will man nicht gesellschaftsrevolutionären Utopien anhängen - wäre die Integration des baukulturellen Erbes samt seinem Um- und Luftraum in das ökonomische System zu leisten, im Sinne der Idee der immobilen Antiquität, die als solche auch einen Marktwert repräsentiert. Staat, Banken, Versicherungen könnten dazu ebenso einen Beitrag leisten wie Medien und Opinionleader auf den Gebieten der gesellschaftlichen Repräsentation, der Identität und des Lebensstils.

Betrachtet man das Phänomen der Singularisierung architektonischer Erbstücke in Verbindung mit der Bedrängnis und Liquidation ihrer Gestalträume aber als Ausdruck gesellschaftlicher Befindlichkeiten, so spiegelt sich darin auch die weit vorangeschrittene Abnahme und Handlungshemmung kollektiver Gestaltinteressen und Gestaltpotenzen. Dies sollten Warnzeichen für die Politik sein: Den ungehemmten Selbstinszenierungen kapitaler, letztlich aber nicht offener oder Öffentlichkeit konstituierender, sondern in sich abgeschlossener Gesellschaften (gated communities) nicht allen Raum als Verwirklichungsraum zu überlassen.

Räume sind Lebensräume. Räume des baukulturellen Erbes sind zur Ruhe gekommene, sozusagen Ruhe-Räume des Lebens, Oasen in einer wandlungsbewegten Welt. Sie preiszugeben zählt zu den fatalen Strategien der Gegenwart.

Der Autor ist Landeskonservator für Oberösterreich und Präsident von icomos Österreich.

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