Architektur schafft Beziehung

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Es ist ein lauer, aber etwas windiger Abend auf dem Castelo de São Jorge in Lissabon. Die Pinien lassen vereinzelt ihre langen Nadeln auf die festlich gekleideten Gäste fallen und auf die kleinen Köstlichkeiten auf den weiß gedeckten Tischen. Unten rahmt der glitzernde Fluss Tejo das Bild der städtischen Dachlandschaft. Die Ober servieren Fruchtsäfte, auf gefüllte Weingläser wartet man vergeblich: Man ist Gast des Imams Aga Khan. Das tut der Stimmung keinen Abbruch, denn hier sind viele glückliche Menschen versammelt. Es ist der Abend der Preisträger des Aga Khan Award for Architecture. Bei Einbruch der Dunkelheit versammeln sich die Gäste im Innenhof des Castelo, der in leuchtenden Lichtfarben inszeniert wird. Das Kronos Quartet aus San Francisco erzeugt zusammen mit den afghanischen Musikern von Homayun Sakhi einen fliegenden Klangteppich, der alle fortträgt. Dann werden sie auf die Bühne geholt, alle, die dazu beigetragen haben, dass "ihr“ Projekt unter 438 eingereichten ausgezeichnet wurde. Auf die Bühne gehen Bürgermeister, Künstler, Mediatoren, Prozessbegleiter, Techniker, Designer, Minister und Architekten aus dem Iran, Marokko, Palästina, dem Sudan - und Österreich: Der islamische Friedhof in der Vorarlberger Gemeinde Altach ist eines der fünf ausgezeichneten Projekte.

Qualität und Schönheit

Die portugiesische Moderatorin tut sich hörbar schwer mit dem Namen Gottfried Brändle, vor allem mit dem "ä“. Der Altacher Bürgermeister hat im Jahr 2007 ein Grundstück für den islamischen Friedhof zur Verfügung gestellt, lange bevor irgendjemand geahnt hat, welch positive Resonanz dieses Projekt einmal haben würde. Er erzählt, dass nach der Eröffnung im letzten Jahr eingefleischte Christen zu ihm gesagt hätten, dass sie sich ihren Friedhof auch in dieser Qualität und Schönheit wünschen würden. Zu ihm auf die Bühne gesellt sich Eva Grabherr, die viele Jahre lang das Projekt begleitet hat. Auf die Frage, was sich mit dem Friedhof verändert hat, antwortet sie ganz spontan, dass insgesamt die Stimmung besser geworden sei. "Ich sage nicht, dass es schon ganz gut ist, aber es wird besser, und wir bauen immer mehr Beziehungen auf.“ Beziehungen seien das wichtigste Element bei diesem Projekt: aufeinander eingehen, einander zuhören, den anderen verstehen - und das alles in Verbindung mit viel Zeit. Denn alle guten Beziehungen bräuchten viel Zeit.

Attila Dincer, der Sprecher der islamischen Gemeinschaften, der auf der Bühne seine Urkunde entgegennimmt und sie stolz dem Publikum präsentiert, bestätigt das. Auch die Muslime der unterschiedlichen Gemeinschaften mussten sich erst finden. Für die Planung eines gemeinsamen Friedhofes, der allen Vorarlberger Muslimen in 96 Gemeinden zur Verfügung stehen sollte, saßen sie zum ersten Mal alle gemeinsam an einem Tisch. "Das Projekt, wo es um den Tod geht, war für die Lebendigen das integrativste Projekt überhaupt in Westösterreich“, fasst Dincer stolz zusammen. Ausschlaggebend für ihn war die Tatsache, im Projekt als gleichberechtigte Partner anerkannt zu werden. "Das hat viel dazu beigetragen, Österreich als Heimat zu akzeptieren“, ist er überzeugt.

Auch Bernardo Bader, der Architekt, bekommt eine Urkunde, und wie schon während der vergangenen Jahre ist er auch jetzt auf der Bühne ein Gleicher unter Gleichen. Für ihn braucht gute Architektur viele Menschen. "Es geht darum hinzuhören und herauszufinden, was braucht der Ort und was brauchen die Menschen.“ Das ist ihm offenbar in Altach hervorragend gelungen. Bei der Preisverleihung wird hervorgehoben, wie harmonisch sich der Friedhof in die Landschaft einfügt. Die unterschiedlichen Höhen der Mauern schaffen einerseits geschützte Räume, andererseits öffnen sie sich zur Landschaft und ermöglichen Blicke nach außen wie nach innen. "Die Grundidee war immer, eine leise Sache zu machen, aber es war uns schon auch wichtig, den Friedhof sichtbar zu machen.“ Zu diesem Konzept gehört auch die Farbgebung: Das Rot hat dezente Fernwirkung.

Sozialer Prozess

Schon in der ersten Runde der Master-Jury sprachen sich alle Mitglieder einstimmig für den Friedhof aus. Jedes Projekt, das in die Endrunde kommt, wird von einem "Reviewer“ begutachtet, der seine Ergebnisse der Jury präsentieren muss. Es sind nicht nur die technischen und ästhetischen Details, die eine Rolle spielen, zu einem beträchtlichen Teil wird auch der soziale Prozess im Hintergrund bewertet. Die gründliche und lange Vorbereitungszeit wurde von der Jury hochgeschätzt. Dafür braucht es einen "Mentor“, das war Bürgermeister Gottfried Brändle von Altach, Vertreter für die 96 Vorarlberger Gemeinden. "Man muss im politischen Geschäft immer aufpassen, dass einem ein Thema nicht entgleitet. Und ein Thema mit einem islamischen Hintergrund ist nicht unbedingt eins, das sich ein Politiker westlicher Herkunft auf die Fahnen heftet. Aber durch die hervorragende Grundlagenarbeit hatten wir eine sehr gute Basis.“

Ein Tor ins Jenseits

Die Künstlerin Shahzia Sikander aus New York, Mitglied der Master-Jury, schwärmt von der Einfachheit und zugleich Monumentalität des Friedhofs. Und betont, wie begeistert sie von der raffinierten künstlerischen Gestaltung des Gebetsraums von Azra Aksˇamija war. Die Künstlerin und Architektin komplettiert das österreichische Team auf der Bühne. Ganz im Sinne des Islam inszeniert sie mit ihrer Schindelwand den Innenraum mit Licht und Schatten. Die offene Wand ist wie ein Tor ins Jenseits, der Blick in den Garten bildet eine Verbindung. Das Licht dringt je nach Sonnenstand in den Raum und wirft ornamentale Schatten auf den Boden. Dort liegen auf dicken Schichten aus sanftem Schaumstoff Teppiche, die kriegstraumatisierte Frauen in Sarajevo gewebt haben. Das hängt mit der Biografie der Künstlerin zusammen: Sie musste mit 14 Jahren wegen des drohenden Krieges ihre Heimatstadt Sarajevo verlassen und ging zunächst nach Deutschland, schlussendlich nach Österreich. Hier studierte sie in Graz Architektur, wechselte dann aber für ihr Masterstudium nach Princeton. Sie bewarb sich für das Aga-Khan-Programm am MIT für das Doktorat, was 400 andere Studenten auch taten - aber es gibt pro Jahr nur einen Platz, und den bekam sie. Heute lehrt sie als Assistenzprofessorin am MIT. Das Thema ihrer Forschungsarbeit ist der Krieg in Bosnien und seine Folgen, insbesondere für die Architektur.

Seit sechs Jahren findet sie heraus, wie systematisch die Zerstörung der islamischen Kultur in Bosnien war, 70 Prozent aller Moscheen wurden zerstört. Doch dem nicht genug. Azra Aksˇamija spricht von "gequälter Architektur“ und erklärt, was sie damit meint: Gezielt wurden muslimische Bauten zunächst geplündert, angezündet, bombardiert und schließlich die Steine abtransportiert, auch Fundamente abgerissen, um den Wiederaufbau zu verhindern. Akribisch hat sie recherchiert, dass die Zerstörungen der Moscheen meist an Freitagen und Feiertagen erfolgten, um möglichst viele Menschen zu töten. Wenn sie erzählt, wie all dies dazu hätte führen sollen, die bosnisch-muslimische Kultur auszurotten, spürt man, wie sie das bewegt. Doch von dieser Traurigkeit lässt sie sich nicht lähmen, ganz im Gegenteil.

Azra Aksˇamija hat die Zerstörung muslimischer Kultur im alten österreichischen Kronland wissenschaftlich erforscht und konnte durch ihre Mitarbeit am Altacher Friedhof zum Entstehen neuer islamischer Architektur im österreichischen Kernland beitragen. So schlägt der Altacher Friedhof auch historische Brücken.

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