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Alpine Architektur im Wandel der Tradition

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Zum zweiten Mal wurde von der kleinen Gemeinde Sexten im Südtiroler Pustertal der Architekturpreis für „Neues Bauen in den Alpen" (1995) vergeben. Seit 1989 macht der Fremdenverkehrsort mit einer Initiative auf sich aufmerksam, die sich „Sexten Kultur" nennt. Ursprünglich wollte diese Initiative die sensiblen Beziehungen zwischen Tourismus und Umwelt(zerstörung) bearbeiten.

Der weit gefaßte Bereich konzentrierte sich jedoch schon bald auf das Thema Architektur. Das ist für eine Gemeinde im Hochpustertal naheliegend, wo gerade diese Begion - ähnlich dem Semmering - zu den Geburtsstätten der Tourismusarchitektur zur Jahrhundertwende zählt. So hat in Sexten der später auch in Wien tätige Architekt Clemens Holzmeister 1930 mit dem „Hotel Drei Zinnen" ein bedeutendes Beispiel alpiner Architektur geschaffen. Das nach wie vor in Betrieb stehende Hotel ist zum Teil noch mit dem originalen Mobiliar ausgestattet.

1992 endete in Sexten der erste Wettbewerb unter dem Titel „Neues Bauen in den Alpen". Damals hätte sich niemand gedacht, daß schon drei Jahre später wieder ein Preis vergeben würde, der eine vergleichbare Qualität an eingereichten und prämierten Bauten aus dem gesamten Alpenraum vereint. Die Preisverleihung und die Eröffnung der gleichnamigen Wanderausstellung fand Ende Februar in Sexten statt.

Der Sammelbegriff „Neues Bauen in den Alpen" geht nicht nur auf die besonderen klimatischen und technischen Anforderungen an die Architektur in den Bergen ein, sondern stellt die kulturelle Situation der Alpenregionen in den Vordergrund.

Von außen betrachtet, scheint es doch noch immer so zu sein, daß der „klassische Bergler" einen „soziologischen Fall mit schrulligen Praktiken und Bräuchen" darstellt. Und es stimmt tatsächlich, daß in keinem anderen Gebiet Themen wie Identität und Identitätsfindung regelrechte „Dauerbrenner" sind.

Aber in Wirklichkeit - und das beweist gerade dieser Architekturpreis -ist das Feld der Artikulation ein auf vielen Möglichkeiten beruhendes. Zeitgenössische Architektur in den Alpen kann sich auf von Region zu Region verschiedene Bautraditionen beziehen. Auch existiert nach wie vor vielerorts der Wunsch, die stark gewachsenen Bezüge zum Land in der aktuellen Architektur fortzusetzen. So legt der bauliche Umgang mit der eindrucksvollen und der sich in Extremen inszenierenden Natur Kräfte der Beharrung wie der Veränderung frei und führt zu besonderen Interpretationen, die es wert sind, als „Neues Bauen in den Alpen" betrachtet zu werden:

Der Bündner Architekt Peter Zumthor zählt zu den großen Meistern in der zeitgenössischen alpinen Architektur. Sein Wohnhaus „Guga-lun" inSafiental/ Chur stellt eine Verbindung aus alt und neu dar. Der tal-seitige Gebäudeteil einer alten Hütte wurde mit einem Neubau verbunden, der jeden Komfort in modernstem Design bietet. Das Projekt wurde für die gelungene und überaus ästhetische Verbindung zweier „Zeitebenen" ausgezeichnet.

Auch österreichische Beiträge wurden prämiert. Das „Hotel Silvrettahaus" auf der Bielerhöhe der Bregen-zer Architektengemeinschaft Much Untertrifaller sen. & jun. und Gerhard Hörburger wurde auf einer Seehöhe von 2.000 Metern errichtet. Das Projekt steht in direkter Nachfolge zu den Berghotels der dreißiger Jahre. Seine Frontseite ist abgerundet, um jedem Zimmer die Aussicht auf das überwältigende Gebirgspanorama und den Silvretta-Stausee gleichermaßen zu öffnen. Der vorspringende Eingangsbereich befindet sich in der direkten Verlängerung zur begehbaren Staumauer. Auch die Inneneinrichtung des Hotels ist Teil des Qualitätsanspruches des gesamten architektonischen Konzeptes. Sie ist weder spartanisch noch rustikal überladen, sondern sachlich und dem Zweck entsprechend.

Bemerkenswert ist die Siedlung „Pumpligahn" in Innsbruck von Norbert Fritz, einem Schüler Boland Rainers. Dieser Wohnbau greift viele Idiome des ländlichen Bauens auf, ohne sich jedoch auf die Ebene dessen zu begeben, was als typisch tirolerisch oder zum Alpenraum gehörig fehlinterpretiert wird. Die hohe Lebensqualität dieser Siedlung erzielte der Architekt durch die Verwendung konventioneller Materialien wie Ziegel, Zement und Horz sowie durch eine geschickte Grundrißlösung. Das Wohnen in diesen Häusern spielt sich auf verschiedenen Stockwerken und Abtreppungen ab, wodurch für jeden Bewohner, egal ob Erwachsener oder Kind, individuelle Entfaltungsräume geschaffen werden.

Der Hauptpreis der Konkurrenz ging ex aequo an zwei Ausstellungshäuser in der Schweiz: an das in jeder Hinsicht besuchenswerte Kirchner-Museum in Davos von Annette Gigon/Mike Guyer und an das Ausstellungsgebäude „La Congiunta" in Giornico/Tessin von Peter Märkli. Beide Projekte sind im Vergleich zu den obengenannten „städtischer" beziehungsweise „internationaler". Sie scheinen mit dem „Bauen in den Alpen" nur noch ihren Standort zu bezeichnen. Doch die beiden Bauten stellen unter Beweis, daß eine Einbettung in den landschaftlichen Kontext von höchst unterschiedlichen Standpunkten ausgehen kann. Die Preisträger sind Solitärbauten, die wie das Kirchner-Museum als matter Kristall in die Bergwelt aufgenommen werden oder die wie im Fall des Betonkubus „La Congiunta" dem Archaischen des Landschaftsbildes dasselbe gegenüberstellen.

Die Autorin ist

Kunsthistorikerin und lebt in Innsbruck

NEUES BAUEN IN DEN ALPEN -ARCHITEKTURPREIS 1995

Herausgegeben von Christoph Mayr Fingerle, mit Textbeiträgen der Jury (Friedrich Achleitnerj Wien, Sebastiano BrandolinijMailand, Manfred Ko-vatschjMünchen, Marcel Meili/Zürich sowie Bruno Reichlinj Genf zum Thema: „Die Moderne baut in den Ber-gen"), öS496,-.

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