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ALTE SCHÖPFUNG

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Durch den Granit des Mühlviertler Hochlandes, das mit dem Kürnberg und dem Freinberg über die Stromgrenze vordringt, bahnt sich die Donau ihren Weg nach Linz. Überragt vom wuchtigen, mit dem Felsen des Römerberges wie verwachsenen Vierkantbau des einstigen Kaiserschlosses, schwingt sich die Uferzeile der Oberen Donaulände in die Stadt hinein, die aus den Fluchten ihrer Dächer den hoch aufstrebenden Turm des neugotischen Mariendomes und als Wahrzeichen ihres älteren Lebens die heiter-feierlichen Turmgestalten barocker und barocki- sierter Kirchen hebt. Der schlank aufragende, mit hochbeschwing- tem Helm gekrönte Landhausturm gesellt sich als ein weltlicher Bruder der Runde der geschwisterlichen Kirchentürme zu, die mit dem Schwung ihrer altersgrünen Helme in die Melodie der Donauhügellandschaft einzustimmen scheinen, in jene innere Musik der breit gerundeten, sanft auf- und niederwogenden Kuppen der waldbegrünten Uferberge, die dem Strom in weitgezogenem Bogen folgen und so als lieblich-schöner Halbkranz, von der Natur gewunden und gereicht, die alte Donaustadt umfeiern. Als schönster Schmuck, den Menschenhand in dieses Kranzgebilde der Natur gefügt, grüßt die Pöstlingberger Wallfahrtskirche mit ihren Zwillingstürmen auf die Stadt am Strom herab, ihr noch angehörend, ja ihr als weithin sichtbares Wahrzeichen dienend, und ihr doch schon halb entrückt ins ländliche Hochlandjahr

Dieser übergrünten Hügelwelt aus Urgestein, die als Rest eines mächtigen Gebirges der Karbonzeit in das Altertum der Erde zurückreicht, öffnet sich nicht nur der weite, oft mit einem Festsaal verglichene Hauptplatz der Stadt Linz, auch in viele Straßenzüge grüßt von Hängen, die zur Donau niederschwingen, junges Grün der Saaten oder reifes Gold der Erntefluren, und mit dem Brand der Laubesfarben leuchten die Herbste dieser Hügel, mit dem Glanz weiß schimmernder Wäldermäntel ihre großen Winter in die Stadt herein. Wie von mütterlicher Liebe der Natur ist sie vom Dasein dieser altersfriedlichen Welt um- hütet, an die Stirnen ihrer Häuser fühlt sie einen Hauch vom Atem dieses Hochlandes wehen, und in die Rhythmen ihres Lebens schwingt das Jahr der Äcker und der Wälder mit dem reinen Wandel seiner Zeiten ein.

So ist das oberösterreichische Granithochland die altvertraute, innig-nahe Umwelt der Stadt Linz, ja es hat sogar an ihrem Boden teil. Und mehr -noch: es bedeutet ihr Erinnerung an den Ursprung ihres Lebens. Denn von einem jener Hügel, mit denen das Urgebirge, seine Felsnatur enthüllend, über den Strom herübergreift, ist die Stadt aus dem Dämmer ahnungsvollen Anbeginns dem Frühlicht ihres Werdens zugeschritten. Von der Höhe des Freinbergs, wo Spuren eines ausgedehnten Ringwalls auf eine jungsteinzeitliche Besiedlung weisen, ist sie über den Hang des Römerberges ins Tal hinabgestiegen. Dieses felsige, noch die Häuser der steilen Altstadtgassen tragende Gelände macht es deutlich, daß Linz — nicht nur mit Urfahr, der einstigen Schwesterstadt am nördlichen Donauufer — der Landschaft des Mühlviertels zugehört.

Der Name „Mühlviertel” ist erst im 15. Jahrhundert auf gekommen. Als die Hussiten auch in Oberösterreich einfielen, wurde ein Landesaufgebot zur Abwehr. mörderischen

Feindes erlassen, und auf dieses Aufgebot geht die Einteilung Oberösterreichs (und gleicherweise Niederösterreichs) in Landesviertel zurück. Südlich der Donau entstanden so das Traunviertel und das Hausruckviertel, nördlich des Stromes das Mühlviertel und das Machlandviertel. Als aber im Jahre 1779 durch den Frieden von Teschen, der den bayrischen Erbfolgekrieg beendete oder vielmehr im Keime erstickte, das Innviertel als neuer Landesteil an Oberösterreich kam, wurde das nun überzählige Machlandviertel mit dem Mühlviertel vereinigt, das damit erst seine heutige, den ganzen Landesraum nördlich der Donau umfassende Größe erhielt.

Der Sprachgebrauch hält an der volkstümlich gewordenen, schon mehr als ein Jahrhundert lang verwaltungsmäßig nicht mehr bestehenden Einteilung des Landes in „Viertel”, die später „Kreise” genannt wurden, fest. So ist auch dem trauten Klang des Wortes „Mühlviertel” Dauer gewiß, denn er ist für den Oberösterreicher zu einem Gemütswert geworden.’ Fast spricht sich dieser Name wie ein Liebesname aus, alles Glück in sich begreifend, das die alte Schöpfungsherrlichkeit des Öberösterreichischen Nordlandes der Menschenseele zu verschenken hat.

Die Große Mühl kommt aus dem Böhmerwald. Im Grenzgebiet des Dreisesselberges entspringend, trägt sie ihre Wasser dem Kloster Schlägl zu, das an ihrem Ufer vor mehr als sieben Jahrhunderten erstanden war. Bei Haslach, dem alten Leinenwebermarkt, um dessen frei aufstrebenden Glockenturm ein Hauch der Zeiten weht, da er als Wachtturm über Land gespäht, verbindet sie sich mit der einen ihrer kleineren Schwestern, der Böhmischen Mühl, die auch die „steinerne” heißt, weil sie ein Stück ihres Wanderweges unter den aufgehäuften Trümmern eines uralten Bergsturzes zurückzulegen hat, der das rauschende Gewässer in ein gleichsam steinern schweigendes verwandelt. Die Kraft, an der die Große Mühl durch den Zustrom ihres Schwesterflusses zugenommen hat, sammelt sie, zu Füßen der Burgruine Pürnstein ihrem Fließen Halt gebietend, im wald- umsäumten Stausee von Neufelden, um mitzuhelfen an dem Segenswerk, Licht und Wärme spendenden Strom in Stadt und Dorf zu zaubern. Dann nimmt sie, seicht geworden und nur noch nach großen Regenfällen rauschend, ihren letzten Weg durch eine einsame, tief in das Waldgebirge eingeschnittene Schlucht. Im Schatten eines steilen Waldberges, den der strom- beherrschende Bau des Schlosses Neuhaus krönt, zieht sie in die Donau ein, mit der sich die Kleine Mühl, die zweite ihrer Namensschwestern, nach verborgenem Gang durch Wiesenmulden und durch Waldesgründe schon bei Obermühl vereinigt.

Die drei Urgebirgsgewässer mit dem Namen Mühl haben viele große und kleine Verwandte, Flüsse und Bäche, die alle dem zaubermächtigen Ruf der Donau folgen, bald träumerisch durch Wiesen murmelnd, bald laut durch Wälder rauschend und Perlen weißen Wellenschaums auf Mühlradschaufeln schüttend oder um gewaltige, aus Urgestein getürmte Blöcke wirbelnd und immer wieder auch die Weise ewiger Wanderschaft empor zu halbverfallenen Burgen spielend, die von hohen Felsenspitzen in den Zug der Wellen niederstarren. Die Namen Ranna, Pesen- bach, Redl, Gusen, Aist und Naarn, sie alle lassen Bilder solcher kühlen, von grüner Waldesdämmerung durchwobenen Schluchten vor dem inneren Blick erstehen, und mit den Klängen aller dieser Namen rauscht etwas von der großen Musik felsüber- brausender Wasser auf, die wie aus Tiefen uralter Schöpfungstage tönt.

Für das Wesensbild des Mühlviertels nicht weniger bezeichnend als die flußdurchrauschten Schluchten sind die natur geschaffenen Landeswarten, die den Blick in unendlich scheinende Weiten schweifen lassen Auf welchem dieser vielen Hochplätze man auch weilen mag, immer bedeutet das Erlebnis, das sie bieten, eine wahre Schöpfungsfeier. Von den dunkel dämmernden Höhenzügen des Böhmerwaldes bis zur lichten Gletschermajestät des Dachsteins sieht man das ganze Land gebreitet, wenn man von Kirchschlag aus, dem durch Adalbert Stifter geweihten Bergdorf, die felsige Kuppe des Breitensteins erreicht hat, oder wenn man von den Aussichtstürmen des Sternsteins und des Ameisberges in die Runde blickt. Doch auch sanfte Höhe, die nicht einmal zu den Halbtausendern des Hochlandes zählen, beschenken den Wanderer mit dem Glück, eine ganze Welt voll Erdenschönheit zu erleben. So läßt sich auf dem windumspielten Rasenplatz vor der einstigen Wenzelskirche in Wartberg ob der Aist stundenlang in die Harmonie einer Landschaft träumen, die auf den Wogen ungezählter Hügel dunkelgrüne Wälder wiegt, Äcker, Wiesen und Gehöfte ins Licht beglänzter Wolken hebt und schimmernd weiß getürmte Kirchen wie Pilgerschiffe trägt, die nach himmlischen Küsten auszufahren scheinen. Aus der Tiefe aber hört man die Feldaist leise rauschen, die gerade unter Wartberg in die Felsenwildnis einer engen Schlucht gezwängt wird, durch die sie den Weg ins Freie sucht. Dort draußen zieht ihr die dunkle Schwester, die Waldaist, entgegen, die aus den großen Wäldern bei Sandl kommt, dem abgeschiedenen Dorf der Hinterglasmaler, deren fromme, einfaltsreine Bilder die Herrgottswinkel in den Bauernstuben weihen. Still und immer stiller wird die Waldaist, ihres Wanderliedes, das sie den Wäldern zugespielt, fast vergessend, und feierlich fließt sie der Feldaist zu, mit der sie sich bei Hohensteg vereinigt, wie ihre lichtere Schwester das Vorzeichen ihres Namens opfernd. Ein einziger Fluß zieht nun als Aist durch das romantische Josefstal und tritt bei Schwertberg, dessen vielgetürmtem Schloß er sich als Spiegel leiht, in die Donauebene ein.

Und so halten wir wieder am Ufer des Stromes, in den die dunklen, um das Geheimnis der großen Wälder wissenden Gewässer des Granithochlandes münden.

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