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Alteste Wiener Synagoge freigelegt

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Bereits Ende der achtziger Jahre wurde mit der wissenschaftlichen Planung für Ausgrabungen am Wiener Judenplatz begonnen. Es sollten die genaue Lage der alten Synagoge sowie deren Dimensionen festgestellt werden. Der zuständige Stadtarchäologe Ortolf Harl und Klaus Lohrmann, der Leiter des Instituts für Geschichte der Juden in Österreich und Dozent für mittelalterliche Geschichte an der Universität Wien, mußten allerdings lange auf eine Realisierung ihres Planes warten. Im Juli dieses Jahres war es dann so weit. Laut Lohrmann war vermutlich der Plan Simon Wiesenthals für ein Holocaust-Denkmal auf dem Judenplatz letztendlich ausschlaggebend, daß das Projekt in Angriff genommen wurde.

Lohrmann: „Die Wiener Synagoge wurde vermutlich in ihrer ursprünglich noch etwas kleineren Ausdehnung in den siebziger oder achtziger Jahren des 13. Jahrhunderts errichtet. Sie wurde möglicherweise in den sechziger Jahren des 14. Jahrhunderts erweitert, als eine große Zahl von Juden sich in Wien niederließ oder nach 1406, als ein Brand die Judenstadt zerstört hatte. Die Synagoge bestand aus einem Hauptraum, der vielleicht durch Pfeiler in zwei Schiffe geteilt war, einer Vorhalle und einer Frauenschule. In seiner späteren Form hatte das Gebäude den Umfang von etwa 20 mal zwölf Metern und bot rund dreihundert Personen Platz. Der Boden war mit rötlichen, zum Teil glasierten Fliesen belegt, die zum Teil beim gewaltsamen Abbruch des Gebäudes beschädigt oder in das darunterliegende Erdreich gedrückt wurden. Bei den Ausgrabungen fand man an der Ostwand die Fundamente des gemauerten Toraschreins und die Erhebung der Bima, einer Art Kanzel, die von einer sechseckigen Umfassung umgeben war. Die freigelegten Fundamente der Synagoge liegen großteils direkt auf römischem Boden. Es wäre allerdings auch möglich, daß im zwölften Jahrhundert dort Holzgebäude gestanden sind."

Die neue Synagoge wird im Jahre 1294 erstmals erwähnt. Die räumliche Entwicklung des Judenviertels ging vermutlich so vor sich, daß um die Synagoge Häuser gebaut wurden und durch weitere Bauten im Süden die heutige Draht-, Pariser- und Kurrentgasse entstanden. Der zwischen der Wipplinger Straße und dem Judenplatz entstehende Baublock wurde durch die Fütterergasse durchbrochen. Schließlich setzten sich die von Juden bewohnten Häuser an der Nordseite der Wipplinger Straße fort und erreichten im Westen die Hohe Brücke und im Osten die Jordangasse. Gegenüber dem Rekonstruktionsversuch von Ignaz Schwarz aus dem Jahre 1909 erheben sich gewisse Zweifel, da bei Grabungen im östlichen Teil des Judenplatzes Reste von Bauten gefunden wurden, die wohl zur Judenstadt gehörten. Eine genauere Chronologie der Bauentwicklung ist nicht zu rekonstruieren. Nach dem Abbruch der Synagoge im Jahr 1423 wurde der ehemalige Schulhof, aus dem nun ein Platz entstanden war, „Neuer Platz" genannt, seit 1437 hieß er überwiegend „Judenplatz".

Bis Ende diesen Jahres soll noch ein etwa sechzehn Meter tiefer Brunnen am Platzareal untersucht werden, da die zuständigen Archäologen auf dessen Grund noch einige Fundstücke vermuten. Genauere Datierungen könnten mit Hilfe der spärlich gefundenen Keramiken so ermöglicht werden. Klaus Lohrmann weist auf die historisch wertvolle Tatsache hin, daß Grabungen, wie sie gerade am Wiener Judenplatz durchgeführt werden, bisher nur in Israel durchgeführt wurden: „Es ist überaus erfreulich, daß die Ausgrabungsstätte am Judenplatz nach Beendigung der Arbeiten für die Öffentlichkeit zugänglich sein wird. Dies hat die Stadt Wien entschieden. Die Ausgrabungen könnten auch Vorbildwirkung für Ungarn haben: In Buda, wo vor Jahren bereits nach der mittelalterlichen Synagoge gegraben und die Arbeiten wieder zunichte gemacht worden waren, wird man vielleicht - durch das Wiener Projekt angeregt - neuerlich Grabungen durchführen. In Regensburg wurden die Fundamente der 1519 abgebrochenen Synagoge bereits freigelegt."

Wien wurde mit den Funden der ersten Wiener Synagoge unter dem Judenplatz um eine bedeutende archäologische Sensation - und Fremdenverkehrsattraktion - reicher sein und es können historisch und wissenschaftlich wertvolle Erkenntnisse daraus gezogen werden.

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