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Amerikas Architektur auf neuen Wegen

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Die SberfüMten Städte, die durch den Krieg hervorgerufenen Verwüstungen, die Entwurzelung von Hunderttausenden von Menschen sind in Europa nur zu wohlbekannte Erscheinungen. Aber auch die Vereinigten Staaten leiden unter Überfüllung. Die Gründe für diese Wohnungskrise sind mannigfach: Während des Krieges stieg die Zahl der Eheschließungen beträchtlich; aber in vielen Fällen wohnten die Ehefrauen weiter bei ihren Eltern und nun suchen sie eigene Wohnungen. Außerdem war die private Bautätigkeit während dieser Zeit fast vollständig eingestellt. Dazu kommt noch, daß eine Reihe von Häusern baufällig oder durch Brände und andere Katastrophen zerstört wurden. Und jetzt, nachdem die amerikanischen Soldaten ins Zivilleben zurückkehren, hat eine regelrechte Wohnungsjagd eingesetzt. Es besteht daher die dringende Notwendigkeit, so sdinell wie möglich neue Wohnbauten zu errichten.

Iii den nächsten zehn Jahren müssen in den Vereinigten Staaten schätzungsweise zehn Millionen Häuser gebaut werde n. Amerikas Architekten sind der Meinung, daß dieses gigantische Wohnbauprogramm der Architektur der Vereinigten Staaten neue Wege weisen wird. Im Laufe der„ amerikanischen Geschichte hat es viele' verschiedene Bauarten gegeben. Entgegen einer weitverbreiteten Annahme war das Blockhaus keineswegs die. früheste Wohnstätte der ersten Siedler. Richtig ist allerdings, daß diese Bauart schon •ruh verwendet wurde, und zwar zuerst von den Schweden, die sich im Gebiet der Chesa-peake-Bucht niederließen. Andere Siedler, die aus England nach Neu-England gekommen waren, kopierten begreiflicherweise die englischen Bauarten des 16. und 17. Jahrhunderts, so gut sie es eben konnten. Spätere Einwanderer aus anderen Teilen Europas brachten die Bauart und die Baumethoden ihrer Heimat mit. So zeigen sich in der amerikanischen Architektur deutsche und holländische, französische und spanisdie Einflüsse.

Im 19. Jahrhundert lösten sich die verschiedensten Baustile in den Vereinigten Staaten in rascher Reihenfolge ab — vom griechischen Tempel über das Schloß bis zum Schweizerhäuschen war fast jede Richtung vertreten — eine Parallelerscheinung zur europäischen Architektur jener Zeit. Erst die Erfindung des Aufzuges und der Stahl-kons'truktiön und die durch diese Erfindungen hervorgerufene Nachfrage nach Hochhäusern stellte die amerikanischen Architekten vor eigene Probleme.

Beim Bau moderner Wolkenkratzer wurde die Ornamentierung früherer Zeiten zum erstenmal aufgegeben — und zwar sowohl bei Bürogebäuden wie auch bei Wohnhäusern. Hand in Hand mit diesem Abstreifen der alten Formen ging der Versuch, Baulichkeiten zu entwerfen, in denen möglichst viele Räume Luft und Sonne hatten. Diese Tendenz zeigte sich nicht nur bei vielen staatlichen, sondern auch bei Wohnbauprojekten von privaten Unternehmern.

Zum Teil ähnliche, zum Teil aber grundverschiedene Züge weist die jüngste Entwicklung auf dem Gebiet der privaten Wohnhäuser auf. Zur Zeit des ersten Weltkrieges verbreitete sich die Ansicht, daß das sogenannte „Colonial House“, das aus Neu-England stammende und auf die englische Bauart des 16. Jahrhunderts zurückgehende Siedlerhaus, die eigentlich amerikanische Bauart repräsentiere. Dieser Stil ist tatsächlich weitverbreitet: man findet ihn bei Häusern aller Art — von kleinen, gemütlichen Landhäuschen bis zu geräumigen und eindrucksvollen Wohnbauten. Es handelt sich dabei im großen und ganzen* um viereckige Holzhäuser mit weißen, übereinander-gelagerten Planken und mit hölzernen Fensterläden.

Aber neben diesem bescheidenen Siedlerstil, der seine Beliebtheit nicht zuletzt dem Umstand verdankt, daß er besonders sparsam ist, behaupteten sich auch andere Bauarten, wie zum Beispiel die anspruchsvolleren englischen Fachwerkhäuser oder Bauten im italienischen Renaissancestil. Mittlerweile aber entwickelte sich in einem kleinen Kreis abseits der breiten Öffentlichkeit eine moderne Richtung; eine Gruppe von Architekten stellte kühne Experimente mit neuen Bauarten, neuen Baumaterialien und neuen Bau-mechoden an. Ein Mann dieser Gruppe, dessen Name nun auch schon in Europa Klang hat, überragte alle anderen bei weitem: Frank Lloyd Wright.

Wright ist zweifellos der 'bedeutendste moderne Architekt der Vereinigten Staaten. Seinen Ruf verdankt er zum Teil dem Umstand, daß er ein Pionier war, der entschlossen mit traditionellen Formen und Methoden brach. Aber seine wahre Größe liegt in der Originalität seiner Ideen, in der Fülle und Schönheit seiner Entwürfe und Ornamentik. Er mußte lange-kämpfen, um seine Ideen in der Öffentlichkeit und bei seinen Berufskollegen durchzusetzen. Die langen, niederen horizontalen Linien, das Gefühl für den umschlossenen Raum, die Verwendung von Glas, Beton und neuen Metallen, all das erschien zu revolutionär und ungewohnt, um allgemeine Zustimmung zu finden. Aber es erregte zumindest ungewöhnliches Interesse. Die Menschen kamen von weit her, um diese Bauten zu sehen. Manche blieben gefesselt, aber die wenigsten wurden überzeugt. Die Begeisterten waren jene, die genügend Phantasie hatten, um in dieser Bauart mehr zu sehen als die bloße Tatsache ihrer Neuartigkeit. Und Wrights Weiterentwicklung enttäuschte seine Anhänger nicht. Er begnügte sich keineswegs damit, niedere horizontale Häuser aus Holz und Stein in verschiedenen Abarten zu bauen; er experimentierte mit blockartigen Häusern aus Beton in Kalifornien und mit niedrigen, offenen, weitläufigen Wüstenhäusern in Arizona. Zwei Dinge betrachtete Wright immer als grundlegend: Das Haus sollte zu dem Boden, auf dem es ruhte, und mit der Landschaft, die es umgab, harmonieren, gleichzeitig auch dem Leben seiner Bewohner angepaßt sein. Zur Entwicklung dieser grundlegenden Prinzipien fand seine unerschöpfliche Phantasie immer wieder neue und originelle Lösungen.

Anfangs war die. Zahl der Schüler Frank Lloyd Wrights gering, heute melden sich schon so viele, daß er eine strenge Begabten-auslese treffen kann. Allmählich entwickelten neben ihm auch andere Architekten mit originellen Ideen ihren eigenen Stil. Das Aufkommen der modernen belgischen, französischen und Wiener Schule trug mit dazu bei, daß ihre Ideen und Experimente die notwendige Aufmerksamkeit fanden. In dieser Gruppe finden wir Namen wie Richard Neutra, William Leseäze, Alden Dow und George Fred Keck, um nur einige wenige zu nennen.

Drr amerikanische Massenbedarf führte schließlich zu der Idee der fabriksmäßigen Herstellung von Häusern, beziehungsweise Häuserteilen. Die verschiedenen Teile — Fußboden, Wände und Dach — werden in Fabriken einzeln hergestellt — und zwar ieder einzelne komplett, mit Fenstern, Isolierschutz usw. Sie werden Überall hin verfrachtet und können auf jedem' beliebigen' Baugrund in kürzester Zeit zusammengefügt werden. Auf diese Weise sollte nicht nur eine Herabsetzung der Baukosten, sondern auch eine Abkürzung der Bauzeit erzielt werden. Die ersten Häuser dieser Art waren allerdings noch recht primitiv, denn die Besitzer mußten die Heiz-, Koch- und Wasch-einrichtungen sowie die Beleuchtungsanlagen selbst installieren. Aber die Hand in Hand mit dieser Entwicklung gehenden Fortschritte auf dem Gebiet der Gebrauchsgegenstände brachten auch hier eine befriedigende Lösung. Bald wurde dem Käufer die Möglichkeit gegeben, eine komplette Kücheneinrichtung mit Herd, Kühlschrank, Spülbecken und Küchenschrank in einer seinem Haus angepaßten Größe zu kaufen.

Heute aber ist man bereits so weit, daß man eine Hauswand herstellt, an der alle diese Küchenbehelfe angebracht sind, und eine andere Wand, mit der die Badezimmer-Einrichtung verbunden ist. Nun ist sogar ein weiterer Schritt vorgesehen: die fabriks-niäßige Herstellung eines Gebäudeteiles, der Küche, Bad und Heizanlage enthäilt und urri den herum dann das übrige Haus nach den Bedürfnissen des Bewohners gruppiert werden kann.

Sowohl das fabriksmäßig hergestellte Haus als audi die zu einer Einheit zusammengefaßten Koch-, Heiz- und Badeeinrichtungen sind anfänglich beim Publikum und Baugewerbe auf Widerstand gestoßen. Während des Krieges machte die amerikanische Regierung jedoch weitgehend von diesen zeit- und geldsparenden Methoden Gebrauch und, da sich ihre Zweckmäßigkeit vollkommen erwiesen hat, wird mit einer Steigerung ihrer Verbreitung und Beliebtheit auch in Friedenszeiten gerechnet.

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