Charlotte_Perriand_inside_57 - © Illustrationen: Charles Berberian / Reprodukt

Architektur-Comics: „Wir besticken hier keine Kissen“

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In seiner Verflechtung von Text und Bild ist das Genre Comic zur Darstellung von Architektur sehr gut geeignet. Graphic Novels über Karl Schwanzer, Ludwig Mies van der Rohe und Charlotte Perriand reflektieren auch Rollenbilder.

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In seiner Verflechtung von Text und Bild ist das Genre Comic zur Darstellung von Architektur sehr gut geeignet. Graphic Novels über Karl Schwanzer, Ludwig Mies van der Rohe und Charlotte Perriand reflektieren auch Rollenbilder.

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Von allen technischen Berufen ist Architektur der künstlerischste. Margarete Schütte-Lihotzky war 1919 eine der ersten Architektinnen. Meist wird sie auf ihre „Frankfurter Küche“ reduziert, obwohl sie wesentlich mehr Bahnbrechendes leistete. Inzwischen sind über 50 Prozent der Architekturstudierenden weiblich, nur 20 Prozent haben eine Befugnis.

Von allen literarischen Gattungen ist das Comic die künstlerischste. Es vereint Aspekte von Literatur, bildender Kunst und Trickfilm zur eigenständigen, synchronen Kunstform. Sein Universum ist vielgestaltig, sein Erzählstil frei. Es scheint für Architektur prädestiniert. Der verknappte Text und die Wichtigkeit der Zeichnung kommen der Plangrafik nahe.

Ende 2018 erschien bei Birkhäuser das Comic „Karl Schwanzer – Architekt aus Leidenschaft“, 2019 kam bei Carlson „MIES – Mies van der Rohe, ein visionärer Architekt“ heraus, im September 2020 folgte bei Reprodukt „Charlotte Perriand – Eine französische Architektin in Japan 1940–1942“. Was erzählen sie über männliche und weibliche Rollenbilder in der Architektur?

Ein Macher aus Wien

Ein Mann im schwarzen Anzug, rote Krawatte, weißes Hemd, Hang zur Korpulenz, beide Hände auf dem Tisch aufgestützt, in der rechten ein Bleistift, davor eine Skizze: Das ist Karl Schwanzer, Architekt aus Leidenschaft, prototypisch für seine Zeit, ein Macher. Von 1947 bis 1975 bearbeitete sein Atelier über 600 Projekte. Sein jüngerer Sohn Martin – 2020 verstorben – hatte die Idee zur Graphic Novel. Ihr Plot reflektiert auch das Erzählen.

Schwanzer wünscht sich „ein wirklich ungewöhnliches Buch. Wie’s über Architektur noch keines gegeben hat.“ Er führt den fiktiven Autor durch sein Leben und Werk. Max Gruber schrieb den Text, den Benjamin Swiczinsky witzig bebilderte. Schwanzer und seine Bauherren auf einer Stahltraverse verweisen auf das ikonische Foto der Mittagspause von Arbeitern auf dem Bau des Rockefeller Center in New York, heimische Architekturgeschichte wird anekdotenreich lebendig.

Man begegnet Günther Feuerstein, den Haus-Ruckern, Coop Himme(l)bau, Missing Link und Zünd-Up, bei deren Präsentation des „Autoflippers“ der füllige Professor eine Harley-Davidson besteigt. Sein Projekt zum Verwaltungsbau von BMW in München – das einem Vierzylinder nachempfunden mit von oben abgehängten Bürogeschoßen technisch hochinnovativ war – wurde beim Wettbewerb ex aequo Zweiter, Sieger gab es keinen.

Schwanzer zerstreute die Skepsis seiner Bauherren, indem er in den Bavaria-Filmstudios eine Vierteletage in Originalgröße nachbauen ließ – inklusive Innenausstattung und Statisten. So kommt man zum Bauen. „Mit der Lösung eines Problems ist man verkettet bis zur Selbstaufgabe. Man vergisst alles um sich herum, vergisst zu essen, zu schlafen, zu lieben.“ Schwanzer hinterließ große Architektur, brannte aus und verglühte. Sein Suizid bleibt offen, der Epilog ist versöhnlich: die Übergabe seines Nachlasses an das Wien Museum und Bauten, die von ihm blieben.

Genie und Exzess

„MIES – Mies van der Rohe, ein visionärer Architekt“ von Agustín Ferrer Casas strotzt vor Virilität. Sie zeigt Mies als genialen Architekten, selbstverliebten, rücksichtslosen Opportunisten und Frauenverführer. Ferrer Casas ist Architekt, das merkt man: Seine Zeichnungen der Villa Tugendhat, des Bauhauses, des Seagram Building in New York, der Nationalgalerie in Berlin sowie anderer Schauplätze – Flughäfen, Hotellobbys, Landschaften – sind großartig, viel Architekturwissen steckt im Buch.

Der Plot – der alte Mies fliegt mit Enkel Dirk Lohan first class zur Grundsteinlegung der Neuen Nationalgalerie nach Westberlin. Gelegenheit zum Reden und für viele Martinis, Erotik und Alkohol sind omnipräsent, hin und wieder fragt der Enkel unangenehm. „Ich wollte bauen, denn darin besteht nun einmal die Arbeit von uns Architekten“, so Mies. „Selbst wenn es bedeutete, mit einem autoritären deutschen Staat wie dem Naziregime zu liebäugeln?“ „Du kannst mich mal, Dirk! … Ich habe mich immer aus der Politik raus gehalten. Immer! Was schert mich die Ideologie meiner Kunden?“

Genauso wenig wie die Sprengung des alten MECCA-Gebäudes, um seiner Planung Platz zu machen. Oder die Gefühle von Frauen. Mies ist hier oft vor, bei, nach dem Sex zu sehen. Mit einer hübschen Italienerin am Baum, einer Bäuerin im Heu, seiner späteren Frau Lora im Bett. „Mein Vater hatte recht. Sosehr du deinen Namen auch schmückst, du bleibst ein abscheulicher Mensch“, sagte seine erste Gattin Ada Bruhn. Seine Architektur machte Mies zur Ikone. Diese wird hier lustvoll vom Sockel gestoßen – aus einer sehr männlichen Perspektive.

Eine Frau, die sich treu bleibt

„Charles-Édouard, das ist die junge Dame, von der ich sprach. Die mit uns arbeiten könnte“, so stellt Pierre Jeanneret, Partner von Le Corbusier, Charlotte Perriand dem großen Meister vor. „Niemals! Wir besticken hier keine Kissen!“, erwidert dieser. „Aber diese junge Frau ist die Schöpferin der ,Bar unterm Dach‘. Du entsinnst dich, die Sensation vom Salon d’Automne.“

Diese Szene ist bezeichnend. Zehn Jahre wird Perriand in Le Corbusiers Atelier in der Rue de Sèvres verbringen, mit Corbusier und Jeanneret entwirft sie so gut wie alle (Stahlrohr-)Möbel dieser Zeit. „ Charlotte Perriand – Eine französische Architektin in Japan 1940–1942“ von Charles Berberian zeigt nicht primär die Arbeiten, sondern Wesen, Denkweise und Haltung der Architektin. Dazu genügt es, sie nach Japan zu begleiten. 1940 hatte sie die Einladung erhalten, dort als Beraterin für Kunst und Kunsthandwerk beim Ministerium für Handel und Industrie tätig zu sein. „Le Corbusier waren Frauen, die auf eigenen Füßen standen, stets ein Rätsel.“

Perriand verlässt das Atelier und schifft sich nach Japan ein. Dort tut sie für ihre Zeit und die dortige Kultur Ungeheuerliches: Sie verweigert den banalen Import westlichen Designs, macht sich mit dem Land, seiner Lebensweise und dessen handwerklicher Tradition vertraut. Begeistert von der Modernität des Tatami und den Materialien Holz, Reispapier, Bambus arbeitet sie an einer Verbindung beider Kulturen.

Hin und wieder erscheint Corbusier als schwarzer Rabe mit Brille und kommentiert. „Bambus, haha, es gibt fünfzehntausend Sorten, du wirst niemals wissen, welche du brauchst.“ Ein Bild für innere Dialoge, den Widerstand, dem Frauen ausgesetzt sind – ihre Zweifel, die Männer scheinbar nicht kennen.

Perriand bleibt bei sich – irritiert mitunter ihre Gastgeber und begegnet Studierenden auf Augenhöhe. „Würden Sie sagen, wir sollten weiter auf Tatamis schlafen oder wir sollten uns an Betten gewöhnen?“, fragt einer beim Ausflug in die Berge. „Hauptsache ist doch, dass man gut schläft.“ Unerschrocken stürmt sie bei widriger Witterung auf den Gipfel, ein starkes Bild, die Zeichnung dazu ein Kunstwerk in Weiß und Blau. Grundsätzlich einfach, wechselt ihre mit Aquarelltönen hingetupfte, leichte Farbigkeit ins Poetische.

Perriands Ausstellung „Selektion, Tradition, Kreation“ in Japan wird ein Erfolg. Zuletzt sieht man die alte Charlotte friedlich beim Tee. Eine Frau, die sich treu blieb. Was für eine Haltung!

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