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Beispiel: Hohe Wand

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Wenn die Naturschützer aus ihrer passiven Rolle heraustreten und selbst zum Angriff blasen, so wird aus dem Naturschutz die Landschaftspflege.

Meistens wird ja die Aufgabe dieser Menschen vollauf verkannt. Es ist gewiß nicht ihr alleiniges Ziel, aus idealistischen Gründen die Schönheit des Landschaftsbildes vor Verunstaltungen zu bewahren. Vielleicht kommen auch noch einmal die erbosten Wirtschafttreibenden darauf, daß die Vertreter des Landschaftsschutzes rationeller denken als so mancher routinierte Kaufmann. Es ist nämlich für uns alle ganz besonders wichtig, wo und auf welche Weise die umfangreichen Investitionen angelegt werden. Wir wollen uns doch einen gesunden und gut gegliederten Lebensraum erhalten, in dem wir vorbildlich wohnen, arbeiten und uns erholen können. Erholung findet die industriellstädtische Gesellschaft weniger bei den Institutionen der Vergnügungsindustrie, sondern vor allem in den leicht erreichbaren Erholungsräumen, die sich ihren physisch-geographischen Charakter noch erhalten haben. Boden, Gewässer, Vegetation und Tierwelt sollten in diesen Erholungsgebieten weitgehend Schonung finden und vor Zerstörung durch den Menschen bewahrt werden. Eine der aktuellsten Aufgaben der Landschaftspfleger ist es daher, solche Räume in unserer Heimat ausfindig zu machen und dafür gesetzlich verankerten Schutz durchzusetzen. Man unterscheidet neuerdings aber zwischen zwei Arten von Landschaftsschutzräumen, die der menschlichen Erholung vorbehalten bleiben sollen: in das „Erholungsgebiet“ kann man ohne weiteres mit dem Auto hineinfahren, die „Naturparks“ sollen jedoch nur von den Fußwanderern betreten werden können.

Wie wir es verstehen, wollen wir an einem konkreten Beispiel erläutern.

Die Hohe Wand ist eines der landschaftlich schönsten und beliebtesten Erholungsgebiete im östlichen Niederösterreich. Der Plateaucharakter des Bergmassivs, die steile Felswand und die Lieblichkeit der darunterliegenden „Neuen Welt“ ziehen immer mehr Menschen in ihren Bann. Da eine Mautstraße den Autofahrern erlaubt, ohne besondere Anstrengung auf das Plateau zu gelangen und damit den herrlichen Weitblick über das Wiener Becken bis zum Leithagebirge und darüber hinaus zu genießen, ist die Hohe Wand zu einem beliebten Ausflugsziel der Auto-touristen geworden. Die Auswüchse des Fremdenverkehrs, des damit verbundenen Siedlungswesens sowie die Vegetationsschäden und die dadurch zunehmende Verkarstungsgefahr des Kalkstocks hätten ohne Zweifel die Naturschutzstellen berechtigt, eine Pressekonferenz einzuberufen und einen Feldzug mit der Parole „Rettet die Hohe Wand“ zu starten. Damit wäre aber der Landschaftsschutz falsch verstanden worden. Die für den Menschen notwendigen Einrichtungen und die damit verbundenen Eingriffe in die Natur sollen ja nicht kurzweg abgelehnt werden. Die Landschaftspfleger müssen jedoch trachten, daß diese Eingriffe in Abstimmung mit dem natürlichen Haushalt und dem gesamten menschlichen Lebensraum durchgeführt werden und sich in das Zusammenspiel der natürlichen und sozialen Kräfte einfügen.

Auf die Hohe Wand kommen also an den Sonn- und Feiertagen, im Sommer jetzt auch an den Wochentagen, immer mehr motorisierte Besucher. Eine große Zahl von Gaststätten und Schutzhütten erlauben diesen Gästen auch, etwas zu konsumieren. Da die Wege schmal und unausg'baut sind, kommt es zu Köiapukülonen mit den Fußwanderern und den übrigen Autofahrern, die nicht ausweichen können. Die Waldeigentümer sind nämlich darangegangen, ihre Gründe zu umzäunen. Sie haben es nicht gerne, wenn die lauten Touristen ihr Wild verscheuchen und vielleicht gar einen Waldbrand verursachen. Zum Löschen ist auf dem Plateau nur Zisternenwasser vorhanden. Ebenso schielen die Förster des gut gepflegten Großgrundbesitzes verärgert auf die recht verwahrlosten und unwirtschaftlich abgeholzten Kleinparzellen der bäuerlichen Waldbesitzer. Diesen dient das Waldstück als jederzeit greifbare „grüne Sparkasse“. Die in der „Neuen Welt“ gelegenen kleinbäuerlichen Betriebe können ebenso ganz gut die zusätzliche Viehzucht auf den Plateauweiden vertragen. Weniger begeistert zeigen sich die Bodenwissenschafter. Sie stellen trocken fest, daß die Ausbreitung der Weiden auf unebenem Gelände unwillkürlich zur Erscheinung des „Rasenfließens“ führt, das blanke Gestein darnach verkarstet und damit für wirtschaftliche Zwecke unbrauchbar wird. In dieser Hinsicht sündigen ja auch die Touristen, die ihre Ballspiele auf den Weideflächen mangels anderer Plätze durchführen. Auch die Autos werden dort abgestellt oder direkt im Wald zwischen den Bäumen geparkt. Gar nicht erfreut über den sonntäglichen Lärm der Motorisierten sind die Sommersiedler; die Besucher hingegen finden es betrüblich, daß diese Häuser gerade an den schönsten Aussichtspunkten beim Felsenrand stehen und somit den Blick ins Wiener Becken verwehren.

Das Institut für Raumplanung hatte nun den Auftrag bekommen, einen Entwicklungsplan für die Hohe Wand zu entwerfen, in dem die gegenseitigen Interessen aufeinander abgestimmt sind und den Forderungen der Landschaftspflege Rechnung getragen wird. Es sind ja die landschaftlichen Vorzüge, die tausende Menschen bewegen, die Hohe Wand aufzusuchen. Verkarstung, Waldverwüstung, dichte Besiedlung, willkürliche Abzäunungen sowie unsachgemäße Wegbauten würden den Wert dieses Erholungsgebietes gewaltig herabsetzen. Die egoistische Nutzung des gemeinsamen Lebensraumes führt immer nur zu unrentabler Kapitalverschleuderung. Gegenseitige Rücksichtnahme und Verständnis für die übrigen Interessen, nötigenfalls eigene Beschränkung, haben einen weit größeren > wJK^^tÜfihsiB„^olg^iftU JÜcksichtslo^s . nn4„ . eigensüchtiges - Vorgehen. Die' industr-iellT,städti* sehe Gesellschaft kann sich heute keine unrationelle Nutzung ihres Lebensraumes mehr leisten.

Die Raumplaner schlagen nun in ihrem Entwicklungsplan für die Hohe Wand eine Reihe von notwendigen Maßnahmen vor. Sie gehen dabei von folgenden Grundsätzen aus: Das wertvollste Gut ist der Landschaftscharakter. Er soll vor allem erhalten bleiben, indem Schädigungen der Vegetation vermieden werden. Besonders auf die bodenschützende Pflanzendecke wäre zu achten, da die Verkarstungsgefahr sehr groß ist. Im Hinblick auf die übrigen Interessenten sollen die Fremdenverkehrseinrichtungen nicht übermäßig ausgebaut werden. Ein solches Unternehmen wäre auch deshalb unwirtschaftlich, weil doch nur an zwanzig Tagen des Jahres die Gaststätten voll ausgenützt werden können. Damit wird jede Tendenz zum Rummelplatz abgewehrt.

Der Waldbestand und das Wild sollen vor den Fremden geschützt werden, indem man einzelne Gebiete überhaupt nicht mehr betreten darf. Dafür soll es in anderen Waldpartien nunmehr möglich sein, ein kurzes Stück in den Wald hineinzugehen. Da das Plateau der fehlenden Arbeitsmöglichkeiten wegen für ganzjähriges Wohnen sehr ungeeignet ist und außerdem eine umfangreiche Siedlungstätigkeit den Landschaftscharakter und damit den Fremdenverkehr stört, können höchstens noch dreißig Sommerhäuser errichtet werden, jedenfalls aber nicht mehr direkt am Plateaurand.

Am Beispiel des Entwicklungsplanes Hohe Wand ersieht man ganz deutlich die Methode der modernen Landschaftspflege. Auch bei allen ähnlich gelagerten Problemen müßte ein gangbarer Weg gesucht werden, der den Menschen wirtschaftlichen Nutzen bringt, aber dem Landschaftsbild und dem natürlichen Kreislauf nicht schadet. Ein Ausgleich der Interessen ist überall möglich, er muß nur angestrebt werden.

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