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Blumen im Gemeindebau
Vor siebzig Jahren begann Wiens sozialdemokratische Stadtregierung ihr bahnbrechendes Wohnbauprogramm. Auch heute besteht wieder Wohnraumnot in Wien. Wird den Veränderungen der Gesellschaft und der Bedürfnissen im Wohnbau Rechnung getragen?
Vor siebzig Jahren begann Wiens sozialdemokratische Stadtregierung ihr bahnbrechendes Wohnbauprogramm. Auch heute besteht wieder Wohnraumnot in Wien. Wird den Veränderungen der Gesellschaft und der Bedürfnissen im Wohnbau Rechnung getragen?
ie Zeit des Karl-Marx- Hofes ist vorbei, Tröpferl- bäder und Gemeinschaftsküchen haben ausgedient.
Die Suche nach neuen Wohnformen und mehr Mietermitbestimmung im geförderten
Wohnbau sind angesagt. In Wien sollen künftig die „Blumen im Gemeindebau“ besser wachsen und gedeihen: mehr Aufmerk
samkeit für ökologische Baustoffe soll Umweltbewußtsein zeigen. Epochemachend waren Wasser und WC in den Superblocks der Zwischenkriegszeit, heute noch fehlt es in acht Prozent des Bestandes an Wohnungen in Wien. Diese damals politisch-ideologisch motivierten Bauten waren qualitative Mas-senware: 63.000 Sozialwohnungen entstanden 1923 bis 1934, Mieterschutz und Einführung der Wohnbausteuer garantierten die Finanzierung. 1989 plante man 4.000 Wohneinheiten, 1993 waren es 8.000, 1994 werden es schon 10.000 sein.
Zehn Milliarden Schilling werden 1994 in Neubauten, Stadtsanierungen, Objekt- und Subjektförderung sowie der Dorferneue- rung gesteckt. Zwischen 14.600
und 18.000 Schilling rechnet die Gemeinde pro gebauten Quadratmeter, 12,5 Prozent Eigenmittel muß der künftige Mieter zunächst aufbringen, die verbleibenden 87,5 Prozent teilt sich die Gemeinde mit ihm. 35 Jahre darf er fürs Abstottem brauchen, Hypothekardarlehen erleichtern die Finanzierung.
Vater, Mutter, Kind - diese Familienidylle entspricht nicht mehr städtischer Wohnkultur. Alleinerziehende Mütter, Wohngemeinschaften und andere Lebens - modelie bedingen neue Wohnformen. Tendiert der Wiener zu (K)Einkind - ein Hund - Familie oder Lebensgemeinschaft ohne Nachwuchs und Trauschein, sorgen kinderreiche Gastarbeiterfamilien für Nachfrage bei Billig
wohnungen mit vielen Räumen.
Vor zwei Jahren wurde im sozialen Wohnungsbau in Wien ein Mischtyp kreiert: C/D heißt die rund 80 Quadratmeter große Einheit, die zwei Schlafkammern für Kinder vorsieht. 35 Prozent der Wohnungen sollen so konzipiert, genausoviele mit 75 Quadratmetern gebaut werden. 20 Prozent aller Einheiten bieten über 80 Quadratmeter Wohnfläche an. Singlewohnungen bieten jetzt 45 statt 35 Quadratmeter Wohnfläche und fünf Prozent Anteil am Gesamtbauvolumen der Stadt Wien. Doppelbettfreundlich kommt sie Studenten-Briefta- schen und Bindungswilligen entgegen. Zweipersonenhaushalte mit etwa 66 Quadratmetern gibt es genauso viele. Grundrisse än-
dern sich, Fassaden, städtebauliche Konzepte verraten auch hier Planergeist. Dem langweiligen Fertigteilbau-Einerlei der Wiederaufbaugeneration folgt Vielfalt. Den finanziellen und andere Rahmen sprengt ein Exote im Stadtbild: das Hundertwasserhaus gedieh unter der schützenden Hand des Stadtvaters Zilk. Kostete es auch doppelt soviel wie seine farblosen Genossen, hat es sich längst rentiert. Nach Schönbrunn mauserte sich die bunte Malerarchitektur zur Touristenattraktion Nummer zwei.
Rob Kriers Persönlichkeit setzt sich hingegen fast nur im Ge- meinschaftsprojekt Wien-Brei- tenfurterstraße durch. Die fischförmige Anlage, Achsen, Plätze, geometrische Formen, Alleen und Wege verkörpern postmoderne Ideologie.
Anders sehen da die gartenstädtischen Träume Roland Rainers aus. Der große, alte Mann des Wiener Städtebaus baut 1985 in der Tamariskengasse im 22. Wiener Gemeindebezirk verdichteten Flachbau. Kritisch wendet er sich gegen Blockrandbebauung und die „hohe Stadtkante“ (nicht mehr im Zentrum, sondern am Stadtrand häufen sich hohe Gebäude). Er fordert die Verbannung der Autos unter die Erde und lehnt das Hochhaus ab.
Revolutionär muten die 1991 fertiggestellten Gebäude in der Traviatagasse im 23. Bezirk an. Viele Wohnungen erstrecken sich über mehrere Ebenen, Fassaden erinnern an Gefängnisse. Kleine Gucklöcher ersetzen Fenster, das Gebiet in Stadtrandlage animiert nicht zum Hinausschauen.
Die Bauten von Carl Pruscha sind am konsequentesten: dreigeschossige Hofhäuser sind vor allem von innen belichtet. Küche und Wohnbereich finden sich im zweiten Geschoß, wer in die Ferne blicken will, muß den Wohnturm besteigen. Gut für die Kondition, ob die familiäre Psyche bei dieser introvertierten Nabelbeschau wächst und gedeiht, sei dahingestellt.
Es geht aber auch anders: Im Bau Purkersdorf-Berggasse setzen Georg Reinberg und Martin Tre- bersburg auf naturnahes Bauen und Stadtrandpoesie. Immer mehr wendet sich die Gemeinde auch Experimenten zu. Ottokar Uhl setzt auf Mitbestimmung („Wohnen mit Kindern“ - siehe FURCHE 41/1993, Dossier „Wohnkultur in Österreich“), in der Feßtgasse entstehen zwei von den Bewohnern stark akzeptierte Häuser. Mietermitbestimmung beschränkt sich allerdings meist auf Steckdosen und Bodenbeläge. Ottokar Uhl möchte die Bewohner aus ihrem Dornröschenschlaf wecken und zu Planem erziehen. Mut zum Experiment fordert er nicht nur für den Friedensreichen.
Die Chancen dafür stehen gut: gemeinsam mit Werner Hagmüller entsteht ein Projekt.
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