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Das Kernland auf Zukunftstrip
Als Land, das sich die neue Hauptstadt baut, ist Niederösterreich im Ausland bekannt. Immer öfter bekommt man als Niederösterreicher das zu hören.
Als Land, das sich die neue Hauptstadt baut, ist Niederösterreich im Ausland bekannt. Immer öfter bekommt man als Niederösterreicher das zu hören.
Immer öfter erklären ausländische Gesprächspartner, die von der herben Schönheit des Waldviertels schwärmen, vom Alpenvorland um die Rax etwa oder dem Wein-viertler Hügelland: „Meine Firma kooperiert mit einem Partnerunternehmen in Ihrem Land, darum habe ich es kennengelernt." Längst ist das Land unter der Enns nicht mehr nur Zuwanderer-Pool für Wien, wo Jung-Akademiker nach dem Studium hängenbleiben (einer der Prominentesten ist Wiens Bürgermeister Michael Häupl).
Zwar pendeln noch immer an die 140.000 Arbeitnehmer aus dem Land in die Bundeshauptstadt. Aber der Gegenstrom von Wien nach Niederösterreich ist schon auf fast 40.000 angewachsen und wächst noch, weil immer mehr Firmen aus Wien nach Niederösterreich übersiedeln. Das größte Bundesland der Alpenrepublik, schön und vielfältig, weiß seine Ressourcen zu nutzen. Das 1000-Jahr-Jubiläum ist ein zusätzlicher Impuls für das erwachte blau-gelbe Selbstbewußtsein.
Die Basis für die Neupositionierung Niederösterreichs hat Siegfried Ludwig - vor wenigen Wochen 70 geworden - als Landeshauptmann Mitte der Achtzigerjahre gelegt: Er führte die seit der Trennung von Wien und Niederösterreich (1921) immer wieder aufflammende Diskussion um die eigene Landeshauptstadt zu Ende. Bei einer Volksbefragung am 1. und 2. März 1986 präsentierte Ludwig fünf „Bewerber": das noble Baden, das liebliche Krems, die Agrarstadt Tulln, die Metropole des Industrieviertels Wiener Neustadt und die Industrie-, Schul- und Bischofsstadt St. Pölten. 56,02 Prozent der damals wahlberechtigten Landesbürger votierten mit überwiegender Mehrheit von 44,63 Prozent für St. Pölten.
Am 10. Juni 1986 verankerte der Landtag St. Pölten als neue Landeshauptstadt und Sitz der Landesregierung in der Verfassung. Nach zweijähriger Vorbereitung (Standortdiskussion, Grundkäufe, internationaler Architektenwettbewerb) erfolgte am 13. September 1992 der Spatenstich für das neue Regierungsviertel an der Traisen. Seither wurden täglich auf der 216.929 Quadratmeter großen Baustelle durchschnittlich 3,5 Millionen Schilling umgesetzt. An die 1.000 Bauarbeiter verarbeiteten rund 150.000 Kubikmeter Beton, 16.000 Tonnen Stahl. Lifte, umweltfreundliche und energiesparende Heizanlagen wurden installiert. Daß bei den Ausschreibungen heimischen Firmen der Vorzug gegeben wurde, veranlaß-te Brüssel zur Androhung einer Klage wegen Verletzung der Wettbewerbsgleichheit (siehe furche 9/1996, Seite 5, das Ausschreibungsgesetz wurde inzwischen an die EU angepaßt).
Am Tag des Landespatrons St. Leopold (15. November) wird die Landesregierung mit einem Festakt den ersten Bauabschnitt des Begierungsviertels übernehmen können: Büros für rund 1.000 Landesbeamte, den „Klangturm" (von Andre Heller als „Wahrzeichen des Viertels entworfen), das Landhaus-Vestibül und die Landhaus-Kapelle. Diese könnte, wie Spitzenpolitiker und Diözesanbischof Kurt Krenn träumen, von Papst Johannes Paul II. gesegnet werden, im Rahmen eines (noch immer eher ungewissen) dritten Osterreichbesuchs. Wegen Bauverzögerungen durch den harten Winter und möglicher EU-Ausschreibungs-Auflagen-, muß vielleicht die für den Nationalfeiertag geplante Eröffnung des Festspielhauses im Regierungsviertel aufgeschoben werden. Die 56 Abgeordneten zum Landtag und die neun Regierungsmitglieder werden erst ab Frühjahr 1997 in St. Pölten tagen/residieren.
Der „Hauptstadtbau" brachte dem ganzen Land einen wichtigen Entwicklungsimpuls. Dem roten Landeshauptmann-Vize und blau-gelben Gemeindereferenten Ernst Höger war es gelungen, mit dem Bauvorhaben in St. Pölten (offiziell auf acht Milliarden geschätzt, die Freiheitlichen sagen 13,2 Milliarden voraus) ein Begionalisierungs-Programm zi koppeln und am 10. Juni 1986 in der Verfassung zu verankern: Es garantiert bis zum Jahr 2006 Gemeinde! und Regionen für entwicklungsträch -tige Projekte (Industrie, Gewerbe, Fremdenverkehr, Bildung, Kultui) 500 Millionen pro Jahr zusätzlich an Förderungen. Indexgesichert. 561 Projekte sind seit 1986 bereits verwirklicht worden, 3,4 Milliarden flössen dafür an Landesförderung, lösten ein Investitionsvolumen von 11,4 Milliarden aus. Visionen zu entwickeln und sie gegen Widerstände z\ i realisieren, ist seit den 80ern ein Motor der Landespolitik (dazu Seite 17).
Der Autor
ist Redakteur der „Niederösterreichi- I sehen Nachrichten " NÖN in St Pölteni
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