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Das neue Antlitz Oberösterreichs

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Die besonderen geographischen und historischen Verhältnisse haben Oberösterreich analog den anderen Bundesländern eine stark profilierte, individuelle Prägung gegeben. Es erhielt nicht nur der geistig-kulturelle Bereich seine besondere Färbung, sondern es entwickelte sich vor allem das Wirtschaftsleben des Landes in eigenständiger Weise. Oberösterreich galt bis herauf in unsere Tage als typisches Bauernland, wobei der Begriff „bäuerlich“ nicht nur als Bezeichnung für eine Zugehörigkeit, sondern als Inbegriff und Ausdruck einer Wesenshaltung zu werten ist. Und in der Tat! Das bäuerliche Element war in Oberösterreich stets vorherrschend, insbesondere bis zum ersten Weltkrieg, als die Land- und Forstwirtschaft noch 75 bis 80 Prozent der Gesamtbevölkerung, das sind rund 8 50.000 Personen, beschäftigte. Was' wunder, daß selbst Kultur und Kunst auf diesem Boden einen bäuerlichen Charakterzug tragen, daß die Menschen, die unsere Werke der Baukunst schufen, die als Dichter oder. Musiker oder Wissenschafter unserem Lande Ehre machten, Menschen bäuerlichen Schlages waren! Dabei ist es gleichgültig, ob ihr Name leuchtet wie der Stifters, Stelzhamers oder Bruckners, ober ob er in der Anonymität des Volksgeistes versank.

Man würde jedoch ein völlig unrichtiges Bild der strukturellen Verhältnisse Oberösterreichs entwerfen, stellte man in Abrede, daß auch die Industrie in unserem Lande eine jahrhundertealte Heimat hat. Man muß vielmehr mit aller Deutlichkeit herausstellen, daß in unserem Land jeder moderne Industriezweig natürliche Voraussetzungen besitzt und zum Teil sogar eine historische Verwurzelung aufzuweisen hat.

Wohl der älteste Industriezweig ist das Salinenwesen, das seit den Tagen der Kelten den Bewohnern des Salzkammergutes Arbeit und Brot gibt und nunmehr auch in der gegenwärtigen Wirtschaft Oesterreichs einen wesentlichen Faktor darstellt. Historische Bedeutung kann auch der Kohlenbergbau beanspruchen. Seine Heimat ist der Hausruckwald mit einem geschätzten Vorrat von 45 Millionen Tonnen und Ostermiething mit einem geschätzten Kohlenvorrat von 15 Millionen Tonnen. Wenden wir uns der heute so großartigen Eisenindustrie zu, die in den Namen Steyr und VOeESt. gipfelt, so finden wir auch hier historische Bezüge. Uralt ist der Eisenweg längs der Enns nach Steyr. Durch das innerösterreichische Eisen entstand schon früh in diesem Landesteil eine Eisenlandschaft mit einer eigenen Kultur, die wir als Sensenschmiedekultur ansprechen dürfen. Als die Wirtschaftsform der Sensenhammer und Nagelschmieden in die Maschinenentwicklung des 19. Jahrhunderts einmündete, fand sich in dem Steyrer Industriellen Werndl eine Persönlichkeit, die durchaus gleichwertig dem Charakter moderner Industriekapitäne ist. Auch seinerzeit war Oberösterreich ein Zentrum der Eisenverarbeitung, so wie es heute diesen Rang einnimmt.

Erstmals in den Jahren zwischen 1930 und 1937 änderte sich das prozentuelle Verhältnis der Beschäftigungsgruppen zueinander merklich. Während der Anteil der in der gewerblichen Wirtschaft Tätigen auf 40 Prozent der Bevölkerung stieg, sank der in der Landwirtschaft arbeitende Personenkreis auf 37 Prozent. Damit war wohl keine wirtschaftspolitische Umwälzung von weittragender Bedeutung gegeben, doch zeichnete sich schon damals jener Schrumpfungsprozeß im landwirtschaftlichen Arbeitskräftepotential ab, der bis in unsere Tage charakteristisch ist. Anderseits schob sich die Industrie immer mehr in den Vordergrund. Bereits während des zweiten Weltkrieges verringerte sich der landwirtschaftliche Berufsstand auf 286.000 Personen, das sind 25,8 Prozent der Bevölkerung, und in der Periode von 1947 bis 1958 sank er auf den bisherigen Tiefstand von 220.000 Beschäftigten bzw. 20 Prozent. Im gleichen Zeitraum erhöhte sich die Zahl der in Industrie, Gewerbe und Fremdenverkehr arbeitenden Menschen auf 565.000 oder 51,1 Prozent. Die Industrie unseres Landes nimmt seither einen führenden Platz in der oberösterreichischen Wirtschaft ein, ja sie stellte sich in einigen Zweigen sogar an die Spitze der gesamtösterreichischen Produktion. Man braucht hier wohl nur Anlagen wie die der VOeESt., der Stickstoffwerke, der Aluminiumwerke Ranshofen, der Steyrwerke, der Zellwolle Lenzing, der Papierfabriken Nettingsdorf und Steyrermühl oder der schon genannten Wolfsegg-Traunthaler-bzw. Timmelkamer Braunkohlengewinnung, der Salinen oder aber der großen Kraftwerke an der Donau, Inn und Enns nennen, um zu verdeutlichen, wie sehr diese bereits zu einem Begriff im österreichischen Wirtschaftsgefüge geworden sind.

Während der Produktionsanteil unseres Landes an der gesamtösterreichischen Produktivität zwischen 20 und 25 Prozent liegt, erreicht er etwa bei den Stickstoffdüngcmitteln, bei Zellwolle und bei den Asbest-Zement-Produkten 100 Prozent, bei den Traktoren 95 Prozent, bei den Kugel- und Rollenlagern 87 Prozent, bei Rohkaolin 8 5 Prozent, bei Aluminium 83 Prozent, bei Lastkraftwagen 80 Prozent, bei Stahlblechen 79 Prozent und bei Roheisen über e8 Prozent. Der Anteil der oberösterreichischen Wirtschaft am österreichischen Außenhandel hat im Jahre 1957 mit einem Exportwert von rund 5,8 Milliarden Schilling ein Viertel der österreichischen Ausfuhr erreicht und Oberösterreich damit zu dem am stärksten exportorientierten Bundesland gemacht.

Alle diese Zahlen lassen erkennen, daß sich insbesondere im letzten Jahrzehnt tatsächlich ein Wandel der Wirtschaftsstruktur unseres Landes in Richtung einer ausgesprochenen Industrialisierung vollzogen hat. Die nackten Zahlen sollen ;edoch nicht zu falschen Schlüssen verleiten. Sie dürfen in unserem Fall vor allem nicht als Argument für eine etwaige Behauptung herangezogen werden, Oberösterreich habe im gleichen Tempo und im gleichen Umfang, in dem sich seine Industrie entwickelte, Bedeutung und Charakter als Agrarland verloren. Eine solch Interpretation würde das tatsächliche Erscheinungsbild verfälschen. Man darf nämlich nicht übersehen, daß in unserer Industrie nicht zuletzt jene Sparten einen sehr kräftigen Aufschwung nahmen, die in der modernen Entwicklung der Landwirtschaft Bedeutung haben. So gehören etwa von den 2000 Industriebetrieben Oberösterreichs über 1000 zur Gruppe der Sägewerke. Weitere 260 industrielle Unternehmungen verarbeiten landwirtschaftliche Produkte aller Art oder beliefern die Bauernschaft und die Forstbetriebe mit Maschinen, Fahrzeugen, technischen Einrichtungen u. dgl. Nicht anders verhält es sich mit dem Gewerbe unseres Landes, das 23.000 Betriebe umfaßt. Mehr als die Hälfte von ihnen stehen auf Grund ihrer Produktion in irgendeiner Form mit der Landwirtschaft im Zusammenhang. Ebenso haben zwei Drittel der 15.000 Handelsbetriebe mehr oder weniger starke Bindungen zur agrarischen Seite. Bleibt noch zu sagen, daß auch der Fremdenverkehr mit seinen rund 6000 einschlägigen Betrieben an einer entsprechenden landwirtschaftlichen Produktionskapazität interessiert ist und sie zum beiderseitigen Vorteil nützt.

Man darf ferner nicht übersehen, daß die landwirtschaftliche Bevölkerung, die in 78.000 Betrieben eine Fläche von rund 1,100.000 Hektar bearbeitet, heute um 15 Prozent mehr produziert .als- 1937. Dies, obwohl sich die Beschäftigtenzahl seit dieser Zeit um rund 120.000 Personen vermindert hat und obwohl auch jetzt noch alljährlich nahezu 3000 Personen in die Stadt abwandern bzw. die Zahl der Pendler vermehren. In Oberösterreich gibt es derzeit ungefähr 100.000 Pendler, und nur eine der 445 Gemeinden kennt dieses Problem nicht.

Und man darf endlich nicht übersehen, daß sich die Großindustrie in der Hauptsache um die bedeutenderen Städte konzentriert, während die übrigen Betriebe fast harmonisch in die bäuerliche Umgebung eingelagert sind. Das Landschaftsbild ist auf diese Weise zum weitaus überwiegenden Teil unverändert geblieben, ja man darf feststellen, daß sich Oberösterreich das freundliche Antlitz eines in sich gesunden und ausgeglichenen Raumes bewahrt hat. Gleichgültig, ob es sich um die Industrielandschaft des Salzkammergutes handelt oder um die Kohlcn-gebiete im Inn- und Hausruckviertel: wenige Schritte vom Wege genügen, um den alten Lebensrhythmus zu spüren. Da stehen dem Wind und Wetter und auch der Zeit trotzend die Gehöfte der Bauern und die Wohn- und Werkstätten der Gewerbetreibenden und daneben und dazwischen die Häuser der Arbeiter, denn auch der Arbeiter unseres Landes ist ganz und gar naturverbunden geblieben und strebt nach einem eigenen Besitz mit einer kleinen Landwirtschaft. Nicht einmal die gewaltigen Anlagen der VOeESt. und der Stickstoffwerke haben die Struktur des Standortes Linz so weitgehend verändert, daß der Landschaftsgürtel vollkommen zurückgedrängt worden wäre. Auch im modernen Linz ist es noch möglich, vom Stadtzentrum in einer Wanderung von 15 bis 20 Minuten den ersten Bauernhof zu erreichen. • Wenn irgendwo tiefergreifende Veränderungen des Landschaftsbildes vor sich gegangen sind, dann wurden sie durch die großen Energieversorgungsanlagen an Donau, Inn und Enns hervorgerufen. Wenige Kilometer flußaufwärts vom Stift Engelszell sperrt das Jochensteinwerk wie eine Festungsmauer die Donau. In den Stru-dengau und ins Machland greift der Stauraum des Donaukraftwerkes Ybbs-Persenbeug. In Aschach projektiert man eine Staustufe. Der Lauf der Enns, eines früher so wildromantischen Gebirgswassers, wird von einer ganzen Werkskette gehemmt. Ebenso ist die Innlandschaft durch die Kraftwerksbauten der oberösterreichisch-bayrischen Innkraftwerke verändert.

Aber letztlich bleibt auch hier der strukturelle Charakter des Landes bewahrt. Sobald die Baustellen abgebrochen und die Narben wieder vom Pflanzenkleid überzogen sind, tritt der Rhythmus der Industrie zurück und die Natur bleibt eingebettet in den ruhigen Atem des Landes mit seinen Feldern, Wäldern und Bergen.

Oberösterreich ist ein harmonisches Land. Ausgeglichen ist der Landschaftscharakter, ausgeglichen die Mentalität seiner Bevölkerung. Man darf darin den besten Garanten sehen, daß auch das moderne Antlitz des Landes das alte mit dem stillen, zufriedenen Lächeln bleibt.

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