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Das neue Haus der Vereinten Nationen

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Seit der Konstituierung der Vereinten Nationen im Jahre 1945 in San Franzisko tagte diese Organisation nacheinander an drei verschiedenen Orten, in London, Hunter College und in Lake Success. Im Dezember 1946 beschlossen die Delegierten der zweiten Hauptversammlung der UNO das Vorprojekt für den Neubau ihrer Zentrale vorzulegen. Der Vorsitzende des Beratenden Komitees Warren R. Austin (USA) sagte auf der ersten Sitzung: „Uns fällt die Aufgabe zu, das Hauptquartier der Vereinten Nationen so zu errichten, daß es ein Versprechen für die Zukunft bildet, welches der Menschheit kündet, daß wir in Harmonie Zusammenarbeiten und wir für immer Einigkeit bewahren.”

Dieses Motto zu Beginn der Planungsarbeiten schien einen Hinweis auf den Symbolgehalt der zu schaffenden Architekturwerke zu enthalten. Der gewählte Ort, im Stadtkern von New York, die Art der Planung — internationale Zusammenarbeit der von zehn Ländern delegierten Architekten, anstatt eines zeitraubenden Wettbewerbes, der an sich einseitigere Resultate ergeben muß — sowie der Funktionalismus der heutigen technisch bedingten Architektur, beinflußten die Ergebnisse der Planung in ganz eindeutiger Weise: eine Gruppe von typischen Büroturmhäusern und flachgelagerten Versammlungshallen entstand.

Der Baugrund, der mit einer Spende von John D. Rockefeller jr. in der Höhe von 8.500.0 Dollar erworben wurde, liegt im wichtigsten Stadtteil New Yorks, in Manhattan, der von zwei Flüssen, im Osten vom East River, im Westen vom Hudson, umflossen wird und das Zentrum eines enormen Stadtorganismus ist. Durch die Wahl dieses Ortes werden die Vertreter der Mitgliedstaaten alle Vorteile genießen, die diese Lage in einer Weltstadt und an einem Verkehrsknotenpunkt mit sich bringt. Anderseits bestehen wohl gewisse Bedenken gegen diese Platzwahl. Der zur Verfügung stehende Flächenraum ist relativ gering angesichts des enormen Raumbedarfs dieses Bauprogramms. Als die Architekten der zehn Staaten Australien, Belgien, Brasilien, China, England, Frankreich, Kanada, Schweden, UdSSR und Uruguay unter dem Vorsitz des Amerikaners Wallace K. Harrison zur Schlußsitzung der Planungskommission zusammentraten, stellte der französische Baukünstler Le Corbusier nicht ohne Bitterkeit fest, daß das Areal für dieses Bauvorhaben von 40 Quadratmeilen auf 20, dann auf 10, 5, und endlich 2Vs und 2 bei Anboten der Städte Philadelphia, San Franzisko und Boston herabgesetzt worden sei und daß man nunmehr bei den New-Yorker Baugrund bei 7 Hektar, also einem Fünfunddreißigstel einer Quadratmeile, angelangt sei. Abgesehen von dieser Einschränkung war die Bauaufgabe so schwierig, daß die Schaffung von Plänen und Modellen von fast 50 Entwurfsvarianten, die alle verworfen wurden, bevor es zur einstimmigen Annahme des vorliegenden Entwurfs kam, begreiflich erscheint.

Der Raumbedarf der Konferenzsäle, und zwar für die Hauptversammlung (350C Personen), 3 Ratssäle (je 1000 Personen), 5 Konferenzsäle (je 700 Personen), 18 Komiteezimmer (je 90 Personen), nebst den zugehörigen Foyers, Wandelhallen, Garderoben, mię Personal- und Dienstzimmern, inklusive technischer Einrichtungen für Film, Photographie, Radio usw. beträgt 46.0 Quadratmeter Das Turmhaus des Sekretariats, das schließlich 5200 Angestellte fassen soll, wird in 40 Stockwerken 74 00C Quadratmeter für Eüroräume auf- weisen. Sonnige Räumlichkeiten, eine Bibliothek für 1.500.000 Bände, deren Vergrößerung auf das Doppelte möglich sein soll, Ausstellungsräume, Turnsäle, Theater und Kino, Post und Telegraph, ärztliche Einrichtungen, Restaurants. Cafes, Küchen und Vorratsräume benötigen weitere 28.0 Quadratmeter Die Parkplätze für 2000 Autos werden mit 54.000 Quadratmeter eine unterirdische Garage fast unter der ganzen Parzelle notwendig machen. Das

Gebäude der Delegationen und Vertretungen, ein Hochhaus am Nordende des Grundstücks, wird mit 5000 Angestellten weitere 85.000 Quadratmeter, allerdings in einer späteren Bauetappe, beanspruchen. Der Baugrund ist in Nord-Süd-Richtung 40C Meter lang und erstreckt sich, am East River gelegen, zwischen der 42. und 48. Straße. Er ist durchschnittlich 175 Meter breit, ist also mit seiner Fläche von 70.000 Quadratmeter unzulänglich im Hinblick auf.

die erforderliche Fläche 287.000 Quadratmeter für alle Gebäude und Anlagen, die, um die notwendigen Freiflächen zu erübrigen, sich vertikal zu großen Höhen entwickeln müssen.

Dieser riesenhafte, komplizierte Mechanismus mußte so exakt und dabei elastisch organisiert werden, daß auch Vergrößerungen und Änderungen in der Struktur der UNO, also zukünftige Entwicklungen, reibungslos ermöglicht werden. Das baukünstlerische Problem wurde durch die Nachbarschaft von Wolkenkratzern kompliziert, die mit über 70 Stockwerken fast die doppelte Höhe haben und dadurch ihre Umgebung im Maßstab drücken. Die repräsentativen Gebäude der UNO müssen ihre notwendige monumentale Wirkung durch eine städtebauliche Lösung erlangen, die mit Elementen des modernen „Urbanis- mus” — Sonnenlicht, freiem Raum und Grünflächen — die Konkurrenz der gigantischen Turmsilhouetten erträglich macht.

Der Bau wird nach den vorläufigen Schätzungen 80 Millionen Dollar kosten. Die Stadtverwaltung von New York wird die notwendigen Verkehrsregelungen, wie die Unterführung des Durchgangsverkehrs der begrenzenden Nord-Süd-Straßen, First Avenue und F. D. Roosevelt Drive (am Flusse), die Anlegung der Rampen und Anlagen auf eigene Kosten durchführen, wofür weitere 15 Millionen Dollar notwendig sind. Da die jährlichen Einnahmen der LINO vorläufig nicht mehr als 27 Millionen betragen, wird die Finanzierung des Baues sogar dieser Weltorganisation —, wie heute fast jedem Bauherrn, noch große Schwierigkeiten bereiten.

Inzwischen arbeiten die Architekten an detaillierten Projekten unter besonderer Berücksichtigung der technischen Einrichtungen. Die Gebäude sollen Klimaanlagen zur Erzielung jeder gewünschten Luftfeuchtigkeit und Temperatur erhalten. Die Telephone werden nicht nur jede Verbindung überallhin hersteilen, sondern es werden Rundverbindungen für telephonische Konferenzen zahlreicher Teilnehmer sowie Lautsprecheranlagen für Gespräche zwischen Büros in beiden Richtungen angelegt werden. Weitere Mittel der Nachrichtenübermittlung sind Diktaphone zur Gramoauf- nahme von Diktaten für spätere Niederschrift, beziehungsweise für Archive; Tele- autographen für Übertragung von Handschriften und Dokumenten in der Original- form; Fernschreiber, die sogar Matrizen für Vervielfältigung anfertigen; elektrische und Radioschreibmaschinen, welche Botschaften aufnehmen und auf beliebig viele Maschinen niederschreiben; Fernsehapparate, die den Delegierten optisch und akustisch die Vorgänge bei Konferenzen und Versammlungen vermitteln; Film- und Mtkrofilmeinrichtun- gen, die für Archivzwecke Drucke, Dokumente usw. auf 16 bis 70 Millimeter breite Filme kopieren. Optische und akustische Signalanlagen, Transportbänder und pneumatische Rohrpostanlagen werden dieses höchstentwickelte Kommunikationssystem, das den Zusammenhang zwischen allen Einheiten und Elementen dieser Organisation herstellt, noch vervollkommnen.

Diesen organisatorischen, inneren Zusammenhängen entspricht die nicht ganz gelungene äußere Form nicht so konsequent. Untersucht man den Entwurf als ästhetisches Ganzes, so fällt eine visuelle Zusammenhanglosigkeit zwischen den einzelnen Baukörpern auf, die der Vertreter Großbritanniens, Sir Andrew Cado- g a n, bei Betrachtung der Modelle zweiflerisch zum Ausdruck brachte: „Eigentlich habe ich etwas mit einem stärkeren Sinn für Einheit erhofft!” (Doppelsinnig bedeutet das englische Wort „unity” nicht nur Einheit, sondern auch Eintracht.) Die überragende Dominante dieses Komplexes, das Sekretariat, ist angesichts der bedeutend größeren Höhe der benachbarten Turmhäuser der Radio City und des Chrysler Building, etwas unsicher und zwiespältig in der Wirkung. Vom Geistigen her gesehen, suggeriert die beherrschende Stellung gerade dieses Verwaltungsgebäudes, die irrige Auffassung, daß die Welt von Bürokraten regiert werden könnte. Das Haus der Delegationen ist in formaler Hinsicht ähnlich problematisch, wobei außerdem der angestrebten etappenweisen Vergrößerung dieses Objekts eine aufgelöstere Gestaltung mit mehreren Baukörpern und Flügeltrakten, diesem Ziele der elastischen Entwicklung besser entsprochen hätte. Vor allem aber sollten die Konferenzgebäude mit ihrem Zentrum, der Haile der Generalversammlung, mit den Mitteln der Städtebaukunst sinngemäß als beherrschender Mittelpunkt der ganzen Anlage herausgearbeitet sein.

In diesem Zusammenhang drängt sich der Vergleich mit dem Völkerbundpalast in Genf auf, der wenige Jahre nach dem ersten Weltkrieg in einem gemäßigtklassizistischen Stile erbaut worden war. Wenn auch keine Analogien entwickelt werden sollen, die sich dem „gelernten Europäer” unwillkürlich aufdrängen, der seit dem Ende dieses letzten Krieges von der Kulturkrankheit der „Malaise” (ein Ausdruck schweizerischer Prägung, der ungenau mit „Unbehagen” wiedergegeben werden kann) befallen ist, so ist es doch auf das rein Architektonische beschränkt bemerkenswert, wie sehr sich innerhalb dieses Vierteljahrhunderts Geist, Form und Technik gewandelt haben.

Besonders für den Architekten Le Corbusier muß die Annahme dieses Projg ts eine glänzende Bestätiaung seiner Ideen bedeuten, da er schon seinerzeit für Genf ein höchst modernes Projekt, allerdings erfolglos, eingereicht hatte. Interessant, vor allem vom psychologischen Standpunkt, ist nun der Umstand, daß Le Corbusier in Amerika ein Buch herausbrachte, das seine Auffassung der Probleme des UNO- Projekts ausdrückt. Obwohl er durch seine Mitarbeit eigentlich die Wahl des Ortes und des Baugrundes stillschweigend gutheißt, schreibt er an einer Stelle seines Buches mit Schärfe:

„Die Vereinten Nationen sind weder ein Ableger New Yorks noch der Vereinigten Staaten. Freiheit, nicht Zwang, muß allzeit das vorherrschende Grundgefühl sein. Keinesfalls dürfen die Vereinten Nationen ein Anhängsel Amerikas werden. Es ist unzulässig, deren Hauptquartier direkt in den Schatten der Wolkenkratzer von Manhattan hinzustellen. Die Manhattan-Wolkenkratzer sind an sich allzu prekär. New York ist eine erregende Stadt, aber es ist zu umstritten, als daß es den Sitz der Vereinten Nationen in seinem Schoße bergen könnte. Dies ist eine Frage moralischen Ebenmaßes. Tatsächlich eine Ftage der .Schicklichkeit’.”

Dies zeugt von dem tiefen Wesensunterschied zwischen der Alten und der Neuen Welt. Auch die Schaffung der Vereinten Nationen, die eine Weltregierung, eine zukünftige Ordnung der Erde, vorbereiten könnte, ist von diesen Problemen überschattet. Das dieser Institution dienende Werk der Architektur, das dem geistigen und künstlerischen Bereiche angehört, ist von diesem Zwiespalt nicht verschont geblieben.

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