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Das Wohnungseigentum in Italien
Rom, im September
Italien hat im Kriege durch Bombardements und andere Kriegshandlungen schwere Einbußen an Wohnraum erlitten. Da während der Kriegs- und in den ersten Nachkriegsjahren die Bautätigkeit vollkommen lahmgelegt war, bestand, sobald halbwegs normale Verhältnisse eingetreten waren, ein geballter Bedarf an Wohnraum.
Staat und Gemeinden wetteiferten, neuen Wohnraum zu schaffen. In erster Reihe bemüht sich der italienische Staat seit drei Jahren darum, für Minderbemittelte Wohnungen zu bauen. Der bekannte Plan des Ministers Fanfani sieht Beiträge sämtlicher Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor; aus den so gesammelten Geldern werden die Häuser des Fanfani-Plans gebaut, immense Häuserblocks, die man heute bereits in allen Städten des Landes vor-
findet und in denen Flüchtlinge, Obdachlose und andere Minderbemittelte zu einem verhältnismäßig sehr niedrigen Mietzins menschenwürdige Unterkunft finden. Der eingehende Mietzins wird zum größten Teil wieder zum Bau neuer Wohnungen verwendet, so daß die für diesen Zweck verfügbaren Summen von Jahr zu Jahr steigen.
Die öffentliche Hand allein kann jedoch unmöglich den riesigen Bedarf an Wohnraum decken: allein an Ersatz für unhygienische Wohnungen sind weit über eine Million Räume erforderlich. Ohne Privatinitiative wäre das Problem in Jahrzehnten nicht zu lösen. Seltsamerweise wünscht der Italiener seit dem Kriege keine Mietwohnungen mehr; trotz der für das Durchschnittseinkommen bzw. Durchschnittsvermögen relativ sehr hohen Baukosten ziehen alle, selbst die Minderbemittelten es vor, ein eigenes Heim zu erwerben. Ein Neubau mit Mietwohnungen ist geradezu zum weißen Raben geworden. Dafür befassen sich in Mailand und Rom, aber auch in den kleineren Industriezentren Tausende von Baufirmen mit dem Bau von Eigentumswohnungen. Diese Häuser schießen wie Pilze aus der Erde, in wenigen Monaten entstehen buchstäblich neue Stadtviertel in einem Tempo, das geradezu atemberaubend ist.
Die Kosten sind, entsprechend den italienischen Lebenshaltungskosten, verhältnismäßig hoch. Ein Wohnraum in einfachster Ausführung kommt auf 18.000 S, wobei zu bemerken ist, daß die Nebenräume zusammen als zwei Wohnräume gezählt werden, so daß die Mindestkosten für eine sehr einfache Zweizimmerwohnung 76.000 S, für eine bessere Vierzimmerwohnung 140.000 S betragen. Dazu kpmmt, daß infolge der riesigen Nachfrage Baugrund, der nicht allzuferne vom Zentrum gelegen ist, sehr teuer ist. Wohl stellen Gemeinde und Staat ihre eigenen Gründe zur Verfügung, doch entspricht ihre Lage sehr häufig nicht den Wünschen des Publikums. So kann man z. B. von der Gemeinde Rom in der Richtung gegen Süden, also zum Meere, Gründe zu dem für italienische Verhältnisse ungemein niedrigen Preis von 40 bis 120 S pro Quadratmeter erwerben, das Publikum zieht aber die in der hügeligen Zone befindlichen 10- bis 40fach teuereren Gründe vor. Mit Einrechnung des Boden-preises, des Gewinnes des Bauunternehmers und aller Abgaben und Nebenspesen muß daher der Wohnraum in einer sehr einfach gehaltenen Wohnung mit 26.000 S, in einer sogenannten Mittelstandswohnung mit 40.000 S berechnet werden, was soviel bedeutet, daß eine aus Zimmer und Kabinett bestehende
Wohnung auf über 100.000 S, eine Mittelstandswohnung auf 200.000 S zu stehen kommt.
Da nun dem Durchschnittsitaliener im allgemeinen derartige Summen nicht zur Verfügung stehen, werden Baukredite in Anspruch genommen. Angesichts der im allgemeinen ziemlich langen Amortisationsfrist ist der Zinsfuß nicht gering. Er beträgt (einschließlich der Amortisationsrate) 9, 11 Prozent und auch mehr pro Jahr, so daß im Durchschnitt für eine einfache Kleinwohnung jährlich 10.000 S an Interessen und Amortisationsrate getragen werden muß. Nun beträgt aber der Gehalt eines Arbeiters und mittleren Angestellten in Norditalien 40.000 bis 80.000 Lire monatlich (in Süditalien eher noch weniger); es bringen daher nicht allzu-viele die monatlich erforderlichen 20.000 bis 25.000 Lire auf.
Hier springt nun der Staat mit Begünstigungen, die er den Baugenossenschaften gewährt, ein. Es bestehen zwei Gesetze, die sich mit der staatlichen Unterstützung der Baugenossenschaften befassen. Nach dem sogenannten Aldisio-Plan erhalten die Genossenschaften für bis zu 75 Prozent der Kosten des Bauvorhabens Obligationen ausgefolgt, die sie zur Finanzierung des Vorhabens verwerten können. Diese Obligationen sind jedoch nicht leicht verwertbar und ihre Veräußerung ist in jedem Fall mit Kursverlust verbunden. Die Mehrzahl der Genossenschaften zieht daher vor, die vom sogenannten Tupini-Plan vorgesehenen Begünstigungen zu erhalten. Im Sinne dieses Planes erhalten die Genossenschaften bis zu einem gewissen Prozentsatz der gesamten Baukosten einen Kredit, dessen Verzinsung und Tilgung lediglich 7 Prozent jährlich beträgt. Außerdem genießen sämtliche Baugenossenschaften sehr ins Gewicht
fallende steuerliche Erleichterungen; bei Genossenschaften, deren Mitglieder Staatsangestellte sind, trägt der Staat auch einen Teil der Kosten aus eigenem.
Da die Begünstigungen den Zweck verfolgen, wirtschaftlich schwächeren Elementen den Erwerb eines Eigenheimes zu ermöglichen, werden sie gewissen Beschränkungen unterworfen. Um eine Verteilung der hohen Bodenpreise zu gewährleisten, muß eine Genossenschaft zumindest aus neun Mitgliedern bestehen. Das Flächenausmaß einer einzelnen Wohnung darf 110 Quadratmeter nicht überschreiten, nur bei Personen, die den freien Berufen angehören, kann noch ein weiterer Raum zur Ausübung des Berufes hinzugefügt werden. Luxusausführung ist verboten. Es muß aber bemerkt werden, daß nach den italienischen Vorschriften gewisse Baumaterialien und Zubehöre als Luxusmerkmal gelten, die bei uns noch lange nicht als „luxuriös“ angesehen werden. So wird z. B. ein Haus, das Personenaufzug, Zentralheizung und Warmwasserspeicher besitzt, dessen Zimmer über 3,20 Meter hoch sind und bei dessen Bau über einen gewissen Prozentsatz hinaus Naturstein (der in Italien eigentlich kaum Mehrkosten verursacht), verwendet wird, in die Luxuskategorie eingereiht und scheidet damit für Wohnbaugenossenschaften aus. Auch bei dieser uns eigenartig erscheinenden Verfügung war der Wunsch, nur Minderbemittelten Hilfe angedeihen zu lassen, maßgebend. Andere Vorschriften betreffen den Charakter der neuen Wohnviertel. Um diesen den Cottagecharakter zu wahren, werden die dort zu errichtenden Gebäude in die Kategorie der „villette“ und „palazzines“ eingereiht. Im ersteren Fall darf lediglich ein Fünftel des Baugrundes verbaut werden, wozu noch weitere 100 Quadratmeter gewährt werden können; bei der Kategorie der „palazzine“ muß vom Baugrund auf jeder Seite ein Streifen von 5,80 Meter Breite unverbaut bleiben, so daß zwischen zwei Gebäuden ein zumeist als Garten benutzter Zwischenraum von 11,60 Meter gewährleistet ist.
Die seit einigen Jahren eingesetzte Entwicklung zeigt, daß trotz der verhältnismäßigen Armut der Bevölkerung und der Kapitalsknappheit die Eigentumswohnung die Lösung des Wohnproblems gebracht hat. Arbeiter, Angestellte, kleine Gewerbetreibende nehmen für viele Jahre Einschränkungen auf sich, um ein Heim, das für sie und ihre Kinder eine kleine Kapitalanlage bildet, zu besitzen. Diese Bewegung ist schon aus dem Grunde begrüßenswert, weil dadurch der Spargedanke, der beim Durch-schnittsitalicner — sicherlich beeinflußt durch die Geldentwertung — nicht sehr entwickelt ist, zum Durchbruch kam. Wenn er heute eine Wohnung, also einen Sachwert erwirbt, so wird er morgen, wenn er sieht, daß das Bargeld seinen Wert beibehält, auch dieses schätzen lernen. Damit ist aber die Vorbedingung zur Schaffung der Kategorie des kleinen Sparers, die bisher in Italien gefehlt hat, gegeben.
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