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Der Dom und sein Platz

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Lebhafter noch als mit dem Wiederaufbau des Domes beschäftigen sich die Gemüter der Wiener mit der Gestaltung seiner Umgebung; sie Bringen damit unbewußt zum Ausdruck, daß nicht nur die Wiederherstellung der Substanz des Bauwerkes wichtig ist, sondern vor allem die Wirkung des Bauwerkes ungeschmälert erhalten bleiben muß. Das ist der Kernpunkt, um den es geht, darin liegt Sinn und Bedeutung eines Platzes, der kein Platz als planmäßige Anlage ist und dessen Bedeutung einzig und allein die ist. daß hier das ehrwürdigste und wertvollste Bauwerk der Stadt und des ganzen Landes steht.

Da nach den großen Zerstörungen durch den Bombenkrieg der Wiederaufbau der Westseite des Stephansplatzes in Angriff genommen werden mußte, ist neuerlich der Wunsch nach Freilegung des Domes vom Graben aus laut geworden, zunächst aus ästhetischen Erwägungen und aus Verkehrsrücksichten.

Noch im Herbst 1945 wurde ein allgemeiner Wettbewerb ausgeschrieben, an dem 49 Architekten teilnahmen. Im Frühjahr 1949 folgte ein engerer Wettbewerb zur Platzwandgestaltung, an welchem sich 19 eingeladene Architekten beteiligten.

Im Zusammenhang “ mit dem allgemeinen Wettbewerb sind von einzelnen Teilnehmern Gedanken ausgearbeitet worden, die eine großzügige Lösung der Verkehrsfragen der Inneren Stadt beabsichtigten, die aber ebenso wie die Projekte aus den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts Utopien bleiben müssen. Man wollte die „einmalige Gelegenheit“ der Neuplanung des Stephansplatzes benützen, um alle oder die meisten Verkehrsfragen der Inneren Stadt zu lösen, und bedachte dabei nicht, daß so viele leidenschaftlich und gläubig verfochtene Pläne selbst in der Zeit des kaiserlichen Wien, in der Hauptstadt eines ungeheuren Reiches mit einer gewaltigen wirtschaftlichen Potenz, nicht verwirklicht werden konnten und daß wir heute, als bettelarme Erben einstiger Größe, schon gar nicht in der Lage sind, derartig großzügige Gedanken zu verfolgen. Auf dem Papier in Blaufluchtlinien geht es vielleicht, ein oder der andere Bau wird auch in die neue Baulinie gesetzt, aber es dauert Jahrzehnte, bis der Plan zur Gänze ausgeführt werden kann, und inzwischen sind die herrschenden Ansichten längst überholt. Wir haben ein solches Beispiel vor unseren Augen: Der geplante Straßenzug der Akademiestraße, der heute aus zwei traurigen Sackgassenwinkeln besieht, deren einzige Funktion die ist, daß ihre Verunreinigung strengstens verboten ist.

Die Arbeiten der beiden Wettbewerbe sind öffentlich ausgestellt gewesen, sie sind in der Presse und in breitester Öffentlichkeit eingehend und leidenschaftlich besprochen worden, eine Schablone in natürlicher Größe wurde aufgestellt, zahlreiche Modelle sind ausgearbeitet worden, und alle Fragen sind mit großer Gewissenhaftigkeit studiert worden. Sogar die ungeeignetste Form einer Art Volksbefragung ist versucht worden, wobei man zwei Projekte einander gegenübergestellt hat, von denen das eine längst nicht mehr und das andere überhaupt nicht in Frage kommt. Man kann in Kunstfragen nicht mit Ja oder Nein abstimmen, und wer sollte die Stimmberechtigung überprüfen.

Es muß festgestellt werden, daß alle beteiligten Faktoren, die Gemeinde, das Stadtbauamt, der Fachbeirat, die Preisrichter, die beteiligten Fachleute und die Allgemeinheit, sich der Wichtigkeit der y, Dombaumeister zu St. Stephan

Frage bewußt sind, denn städtebauliche Fehler können überhaupt nicht oder nur mit großen Opfern wieder gutgemacht werden.

Nach meiner persönlichen Meinung, die aber nicht in allen Einzelheiten mit der des Fachbeirates, dem ich angehöre, übereinstimmt, kommen folgende Gesichtspunkte in Betracht:

Das städtebauliche Gebilde, das wir heute Stephansplatz_ nennen, besteht aus einem stillen Kirchenplatz und einer Verkehrs- und Geschäftsstraße an der Westseite des Domes. Beide Elemente bilden wohl eine innere, durch den Dom gegebene Einheit; sind aber in ihrem Wesen grundverschieden und sollen nicht verändert oder vermischt werden. Weder an den Maßen noch an der Bestimmung darf etwas geändert werden, soll nicht die Wirkung des Bauwerkes, die ebenso wesentlich ist wie Substanz und Form, beeinträchtigt werden.

Wir haben in Österreich ein Denkmalschutzgesetz, sogar ein sehr gutes, das hier mit Recht herangezogen werden könnte, denn der Sinn von 8 ist der Schutz der Wirkung eines unbeweglichen Denkmals vor Veränderungen in der Umgebung. Wann sollte man eine derartige Schutzbestimmung anwenden, wenn nicht bei einem so wichtigen Anlaß?

So wie das Bauwerk, so wird auch das Werk der Stadtbaukunst, das höchste Werk der Raumkunst, der Platz, die Straße, durch Grundriß und Aufriß festgelegt; der Grundriß der Stadt ist für ihre räumliche Wirkung ausschlaggebend und soll nicht willkürlich geändert werden, denn die Art der Bebauung ist funktionell mit der Gestaltung des Grundrisses verbunden. Die Schönheit der Stadt wird unmittelbar von allen Sinnen aufgenommen, und jede Änderung einzelner Züge wird als Entstellung eines lieben Antlitzes beklagt werden, daher auch die leidenschaftliche Anteilnahme der Bevölkerung. Der Grundriß der Stadt in der Nachbarschaft des Domes ist in Jahrhunderten geworden, nicht zufällig und übereilt, sondern wohlüberlegt und oft umstritten. Die Führung der Baulinien, der Grenzen zwischen den Baugründen und den öffentlichen Verkehrsflächen, darf in unserem Fall nur von der Rücksicht auf den Dom geleitet werden und soll den historischen Zustand nicht ändern. Wenn an anderen Stellen der Entwicklung der Stadt das Leben das Vorrecht hat, so haben im Schatten des Ehrwürdigsten, hier, wo die Seele unserer Stadt ihren Sitz hat, alle anderen Rüdesichten zu schweigen.

Keine Änderung des geschlossenen Kirchenplatzes, kein Aufreißen des Platzes neben dem Kurhaus, kein Vorspringen oder Zurückrücken beim Singerhaus, kein Feilschen um Zentimeter, sondern unveränderliches Festhalten an dem noch erhaltenen Bestand als Raumkörper. Ein großer Architekt, Dombaumeister Friedrich Freiherr von Schmidt, war gegen jede Veränderung der räumlichen Abmessung des Domplatzes, und ihm lag gev/iß der Dom, dem er sein Lebenswerk geweiht hatte, seinem Herzen am nächsten.

Ich betone diese Stellungnahme so nachdrücklich, weil die Pferde schon gesattelt sind für die Attacke auf die Südostecke.

Noch tobt der Kampf um die Westfront. Während der Verkehr ohne Schädigung des städtebaulichen Organismus von dem Kirchenplatz um den Dom ausgeschaltet werden kann und muß, führt im Westen ein wichtiger Straßenzug vorüber. Seine westliche Straßenwand wird von zerstörten Geschäftshäusern gebildet, während die östliche Flucht unmittelbar mit der Haupteingangsfront des Domes zusammenfällt und das Hauptportal ohne Vermittlung auf der Straße steht. Der Zustand besteht erst seit dem Ende des 18. Jahrhunderts; ursprünglich war zwischen Straße und Domfreiung eine Trennung durch eine niedere Häuserzeile. Eine Wiederherstellung des alten Zustandes, die in letzter Zeit angeregt wurde, kann aus vielen Gründen nicht in Betracht kommen.

Wir müssen uns daher zuerst mit den Forderungen des Verkehrs, dem stärksten Faktor und ärgsten Gegner alter Stadtschönheit, auseinandersetzen. Der Straßenzug ist kurz, nicht viel länger als die Westfront des Domes, und wenn man das Obengesagte über den verkehrslosen Kirchenplatz berücksichtigt, bleibt nur eine einzige gefährliche Kreuzung bei der Einmündung des Grabens in die Kärntnersträße. Der Fußgängerverkehr könnte durch Unterführung an dieser Stelle gesichert werden, wie derartige ausgezeichnete Lösungen in vielen Großstädten, vor allem in London, bestehen. Die Verbreiterung der Straße durch Hinausrücken der Häuserfront nach Westen kann weder in der ganzen Länge noch teilweise verkehrstechnisch einen Gewinn bringen, weil weder die Rotenturmstraße noch die Kärntnerstraße einen größeren Verkehr aufnehmen können. Damit kommen wir zu dem am meisten umstrittenen Punkt: der Einmündung des Grabens zum Slephansplatz. So wie der Zufall im Jahre 1896 bei der Freilegung des Blickes auf den Südturm vom Graben in vielen begeisterten Kunstfreunden und Wienern den Wunsch nach Freilegung des Turmes zur Wirklichkeit werden ließ, so hat auch nach den letzten Zerstörungen ein kunstbegeisterter Freund der Schönheit unseres Domes und der Stadt die erste Anregung zu einem Zurückrücken der Baulinie an dieser Stelle gegeben, um einen möglichst großen Blick auf Turm und Dom zu ermöglichen. Von der Stadtplanung ist im weiteren Verlauf der Rücksprung auf fünf Meter verringert und eine auf der freigewordenen Fläche zu errichtende Autobushaltestelle als Begründung herangezogen worden. Wenn der Verkehr an dieser Stelle ohnehin schon einen neuralgischen Punkt hat, so sollte man die Schwierigkeiten nicht noch verstärken und für die Haltestelle einen Ort in einer der Seitenstraßen der Hauptverkehrsader, vielleicht in der Gegend am Bauernmarkt, am Petersplatz oder Tuchlauben, wählen. Unsere Verkehrsabteilung des Stadtbauamtes und die Stadtplanung haben schon so schwierige Aufgaben meisterhaft gelöst, daß ihnen auch hier ein glückliches Ergebnis gelingen wird.

Wird die Baulinie nicht zurückgerückt, wofür aus Verkehrsgründen keine Notwendigkeit vorliegt, dann ist nur noch die Führung der Baulinie am Eck zu bestimmen. Bei der Wettbewerbsausschreibung war die Linienführung in gewissen Grenzen freigestellt, und wir glauben, daß auch hier ein Zurückgreifen auf den alten Bestand die beste Lösung wäre. Das runde Eck ist zu weich, es läßt den Blick abgleiten, während die polygonalen, gebrochenen Flächen mehr Gliederung im vertikalen Sinn in den Baukörper bringen. Mit dem Verzicht auf den Rücksprung und der Beibehaltung der alten Baulinie fällt auch die überbauung der Goldschmiedgasse, die in diesem Falle noch unorganischer wirken müßte, als sie es ohnehin tut. Es ist nicht zu verstehen, warum von drei Seitengassen, die auf den „Platz“ münden, gerade nur eine überbaut werden soll, denn bei den beiden anderen wird es niemandem einfallen, da bei der Jasomir-gottstraße der Blick auf das Riesentor verdeckt würde. Aber auch von der Goldschmiedgasse würde ein schöner Blick auf den Turm, wie sich jeder überzeugen kann und wie er auch von Alt gemalt wurde, durch die überbauung verdeckt werden. Es wäre doch merkwürdig, wenn man mit großen Kosten neue Blicke freilegen will und bestehende verbaut.

Die Gebäudehöhe dürfte nicht höher geführt werden als höchstens bis zur Gesimshöhe der anschließenden Häuser am Graben, auch nicht teilweise, denn, ob man nun die Wand als Straßen- oder Platzwand ansieht, es besteht kein Grund, in der Umgebung des alles überragenden Domes einzelne Punkte höher zu führen, haben wir doch warnende Beispiele im Equitablehaus und beim Singergebäude, die beide allgemein abgelehnt werden.

Die Umgebung des Domes hat keine andere Aufgabe, als ein ruhiger Rahmen zu sein.

Eine letzte Frage, ob das Haas-Haus einen Risalit, einen leichten Vorsprung erhalten soll, wäre aus dieser Erwägung zu verneinen.

Wenn ein Geschäftshaus an dieser Stelle erbaut wird, müssen Zugeständnisse an die Würde des Ortes gemacht werden, und das gilt für alle Hausfronten an der Westseite. Eine Gliederung in der räumlichen Plastik wird schon durch die Straßenmündungen erzielt, so daß weitere Maßnahmen nicht nötig sind. Es ist auch zu bedenken, daß Fassadengestaltungen, die nur wegen einer bestimmten Verwendung durchgeführt werden, allenfalls für eine andere Bestimmung weniger geeignet erscheinen können. Jedenfalls muß die Entscheidung über die Ausbildung der Westfront des Platzes für alle Baublöcke im Zusammenhang getroffen werden, wobei jedes der Gebäude seinen eigenen Charakter In harmonischer Zusammengehörigkeit bewahren soll.

Zum Schluß wiederhole ich den von mir ausgesprochenen Satz: Auf dem Stephansplatz ist die einzige architektonische Dominante der Dom, dem sich alles unterzuordnen hat.

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