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Der etwas aridere Alltag

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Die Bedürfnisse der Frauen werden im Wohnbau vernachlässigt. In Wien entsteht nun der europaweit größte, frauengerecht geplante Stadtteil.

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Die Bedürfnisse der Frauen werden im Wohnbau vernachlässigt. In Wien entsteht nun der europaweit größte, frauengerecht geplante Stadtteil.

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Andrea S. denkt praktisch. „Einfallslos und hingestellt sind diese Spielplätze. Jedesmal nach dem Regen ist der Spielplatz eine Schlammwüste. Die sind mit wenig Engagement errichtet worden. Ich glaube nicht, daß der Architekt, der das geplant hat, selber Kinder hat oder einen Bezug zu Kindern hat." Ob die Häuser ihrer Siedlung am Pilotenweg im 22. Wiener Gemeindebezirk - wie der Architekt Walter M. Chramosta schrieb - „auf das an diesem Ort so wenig beheimatete Urbane" verweisen, ist ihr egal. Frauen beurteilen Gebäude und Wohngebiete eben anders als Männer.

Das meiste, was in Österreich geplant und gebaut wird, wird jedoch aus männlicher Perspektive geplant und gebaut. An den österreichischen Universitäten waren 1993 im Bereich Bauingenieurwesen, Architektur und Baumplanung nur ein Prozent der Professorenstellen mit Frauen besetzt, bei den Assistentenstellen waren es 12,6 Prozent. Laut Standesmeldung der Ingenieurskammer für Wien handelte es sich im selben Jahr bei 6,2 Prozent der Architekten und bei 7,7 Prozent der Baumplaner um Frauen.

„Der Alltag von Frauen und Männern unterscheidet sich", erklärt die Wiener Architektin Franziska Ulimann. Berufstätige Männer fahren morgens zur Arbeit und kommen erst am Abend wieder zurück, so Ull-mann, und beurteilten die Wohnung daher nach ihrem Freizeitwert. In Rücksicht darauf würden Wohnzimmer generell sehr groß und sonnig angelegt. Bei Frauen hingegen stehen Einkaufen, Kochen und die Betreuung der Kinder auf der Tagesordnung. Dies erfordere „ganz andere Wegstrecken und Organisationsstrukturen". Weiters legten Frauen Wert auf Grünflächen sowie freundliche Gänge und Stiegenhäuser, die den nachbarschaftlichen Kontakt begünstigen, sagt die Architektin.

Der Entwurf von Ullmann wurde bei einem Wettbewerb als städtebauliches Leitprojekt für eine frauengerechte Siedlung im 22. Wiener Gemeindebezirk ausgewählt. Ullmann zeichnet also verantwortlich für die Anordnung der Gebäude, Plätze und Straßen in der „Frauen-Werk-Stadt", wie der programmatische Name des Viertels lautet, mit dessen Bau im September des Vorjahres begonnen wurde.

Auf 2,3 Hektar entsteht in der Donaufelderstraße der nach Angaben des Wiener Frauenbüros europaweit größte, von Frauen geplante Stadtteil. Das Projekt, für das 500 Millionen Schilling veranschlagt sind, soll im Sommer 1997 fertiggestellt sein. Neben Ullmann sind vier weitere Architektinnen an der Planung beteiligt.

„Frauengerecht planen heißt, sich am Alltag von Frauen zu orientieren" lautete das Leitmotiv der Ausschreibung. Herausgekommen ist ein mehrgeschoßiger Gebäudekomplex, der 359 Gemeinde- und Genossen-schaftswohnungen und 600 Quadratmeter Geschäftsfläche beherbergt. Trotz der hohen Dichte der Anlage blieb Raum für einen zentralen Platz, eine Wohn- und Spielstraße und zwei Gartenhöfe, in denen Kinder geschützt spielen können. Den Müttern stehen ein Kindergarten und eine Krippe für Kleinkinder zur Verfügung. Eine Arztpraxis gewährleistet die medizinische Grundversorgung.

Die Wohnungen sind nicht nur für die Erholung nach dem anstrengenden Berufsalltag geplant, sondern als Haus- und Familienarbeitsplatz. In den meisten Wohnungen ist die Küche der zentrale Arbeitsraum und die Anlaufstelle für alle. Diese ist so geräumig, daß nicht nur bequemes Arbeiten möglich ist, sondern auch Schulaufgaben überwacht und Gespräche geführt werden können, ohne sich im Weg zu stehen. Auch sind die Küchen sonnig und erlauben Müttern den Blick auf die draußen spielenden Kinder.

Die Waschküchen sind in den meisten Fällen im obersten Stockwerk zu finden, mit direktem Zugang zur Dach-terasse. So kann die Wäsche an der frischen Luft getrocknet werden, ohne daß der eigene Balkon unbenutzbar wird. Da die gesamte Anlage autofrei ist, konnte auf Tiefgaragen nicht verzichtet werden. Den ausführenden Architektinnen war es ein Anliegen, jene übersichtlich und vom Tageslicht beleuchtet zu gestalten, da herkömmliche Tiefgaragen für Frauen eine Quelle der Angst darstellen. Auch ein Polizeiwachzimmer dient der Stärkung des persönlichen Sicherheitsgefühls.

Die „Frauen-Werk-Stadt" soll trotz ihres Namens eine ganz normale Siedlung werden. „Zeitungen haben geschrieben, daß dort nur Frauen wohnen sollen. Das ist Unsinn.", erbost sich Franziska Ullmann. Es seien alle Voraussetzungen da, um eine „gute Mischung" von männlich und weiblich, jung und alt zu gewährleisten.

Auch die Bewohner der näheren Umgebung stehen der Siedlung positiv gegenüber, sagt Ullmann: „Die Gebäudehöhen sind der Umgebung angepaßt und außerdem bleibt der Durchgang zwischen der Donaufelderstraße und dem benachbarten Satzingerweg erhalten."

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