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Der Musentempel auf der Drehscheibe

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Die Stadt Graz hatte nach Beendigung des Krieges auf dem Gebiete des Bauwesens große Ambitionen. Nicht nur der Wiederaufbau der zerstörten Gebäude sollte forciert, sondern auch eine Reihe großer Neubauprojekte ausgeführt werden. Geplant waren unter anderem zahlreiche Wohnblocks (Marienwiese), ein modernes Geschäfts- und Bürohaus zwischen Eisernem Tor und Jakominiplatz, eine ausgedehnte Sportanlage im Norden der Stadt und schließlich — ein Künstlerhaus. Für viele dieser Bauvorhaben war — wie es hieß — die Finanzierung wie auch die Materialbeschaffung gesichert, und die Öffentlichkeit hatte den Eindruck, daß es der Initiative des Stadtbauamtes, das nach dem Kriege eine große Aktivität zu entwickeln begann, gelingen werde, die Projekte in die Tat umzusetzen. Keines von den vorgesehenen großen Bauvorhaben ist bis jetzt — wenn man vom Neubau des Hauptbahnhofes, der von den Bundesbahnen durchgeführt wird, und einigen Erweiterungsbauten der Grazer Messe absieht — auch nur begonnen worden. Sang- und klanglos verschwand ein Projekt nach dem anderen in den amtlichen Schreibtischen, nur das kleinste von allen — das Künstlerhaus — scheint der Realisation entgegenzugehen —, allerdings nicht ohne vorher zu einem Stein des Anstoßes und Ärgernisses für weite Kreise geworden zu sein.

Uber dem Grazer Künstlerhaus scheint kein guter Stern zu walten. Bereits in der Vorkriegszeit sind zwei Projekte gescheitert. Nach dem Kriege, am 6. Februar 1947, wurde auf Initiative des Landesrates der steiermärkischen Landesregierung Dr. 111 i g die alte Idee des Künstlerhausbaues wieder aufgenommen. Architekt Prof. Dr. Z o 11 e r wurde von der Berufsvereinigung der Bildenden Künstler Steiermarks aufgefordert, ein Vorprojekt samt Kostenvoranschlag auszuarbeiten. Schon zu Beginn der Projektierung zeigte sich eine Reihe von Schwierigkeiten. Als erste, daß lange Zeit keine Einigung über den Bauplatz zu erzielen war. Nach langen Verhandlungen gelang es, einen Bauplatz im Stadtpark, nahe dem Burgtor, zur Verfügung zu stellen. Eine weitere Schwierigkeit bestand in der Begrenztheit der vorhandenen Mittel (1,3 Millionen Schilling), zweifellos wenig, um eyien der Kunst würdigen „Musentempel“ zu planen. Und die größte Schwierigkeit lag in der Erfüllung des Raumprogramms, das einen großen Ausstellungsraum von 7 m Höhe mit zunächst 260 lfm für Malerei und weiteren 114 lfm für Plastik, Graphik und Kunstgewerbe vorsah. Eine derart große „Kiste“, die sich durch Höhe und Umfang des Hauptraumes ergibt, und die durch die geforderte Oberlichte praktisch keiner Gliederung fähig ist, in Einklang zu bringen mit der maßstäblich kleineren und differenzierteren Umgebung — Burgtor, Burggartenmauer und Cafe Promenade (der alten Burgwache) — stellt an den Projektanten höchste künstlerische Anforderungen. Der Verfasser des Projekts hat unter den gegebenen Verhältnissen und durch Herabsetzung.-des Raumprogramms, insbesondere was die stadtbauliche Situ-ierung anbelangt, zweifellos eine Lösung versucht, die eine optimale Zusammenfassung alles dessen bedeutet, was an architektonischen Möglichkeiten vorhanden war. Daß das Projekt außer Zustimmung audi Kritik fand, ist nicht zu verwundern bei einer Aufgabe, deren örtliche Beschränkung und deren finanzielle Möglichkeiten eine wahre künstlerische Entfaltung fast unmöglich machen.

Im April 1949 wurde vom Kuratorium, dem Landesbauamt, der Stadtgemeinde Graz, dem Denkmalamt und den Grazer Künstlervereinigungen das von Prof. Zotter ausgearbeitete Projekt genehmigt und der Architektenvertrag unterzeichnet. Im Juni erfolgte die öffentliche Ausschreibung der Bauarbeiten.

Was nun einsetzt, ist ein wenig'erfreuliches Intrigenspiel, in dessen Folge sich das Stadtbauamt veranlaßt sah, die Baubewilligung zu verweigern. Als dann plötzlich — obwohl hinter den Mauern des Bauamtes der Stadt Graz geheimgehalten — die Kunde von einem „Amts-pjojekt“ mit großen städtebaulichen und allgemein architektonischen Mängeln in die Öffentlichkeit drang, sah sich die Zentralvereinigung der Architekten genötigt, an den Herrn Stadtbaudirektör von Graz ein offenes Schreiben zu richten, in dem gegen die Art und Weise der Behandlung des Künstlerhausprojekts schärfstens Stellung genommen wird. Diese Stellungnahme richtet sich vor allem dagegen, daß öffentliche Steuergelder durch die Art der Behandlung des Projekts vergeudet werden und daß das Stadtbauamt nunmehr in übereilter Hast sein Projekt auszustecken beginnt, ohne die Öffentlichkeit auch nur einigermaßen von seinen Intentionen informiert zu haben. Während es das Stadtbauamt bei dem Projekt von Professor Zotter für notwendig erachtete, ein Gutachten von zwei bekannten Wiener Architekten einzuholen und zahlreiche Persönlichkeiten in Graz nach ihrer Meinung zu befragen, hat es bis jetzt nicht im entferntesten daran gedacht, sein eigenes Projekt einer öffentlichen Kritik auszusetzen.

Untenstehende Skizze zeigt einen Vergleich der beiden Projekte. Ohne auf Einzelheiten der Gestaltung einzugehen, sei hier eine kritische Stellungnahme über die städtebauliche Situierung der beiden Projekte versucht. Nach Ansicht weitester Kreise ist die städtische Situierung beim Zotterschen Projekt die einzig richtige. Der Baublock steht in Beziehung zur Erzherzog-Johann-Allee, die durch Burgtor, Burgmauer und Cafe Promenade architektonisch gefaßt ist und sehr gut eine niedere Bebauung als Übergang zum Stadtpark verträgt. Mit dem Erweiterungsbau des Künstlerhauses ergibt sich eine reizvolle Platzlösung, der Haupteingang liegt unmittelbar an einer Hauptverkehrsstraße.

Das Amtsprojekt ist „in Achse“ einer Fußgängerallee, die im unteren Teil parallel dem Burgring verläuft, aber praktisch kaum als „Achse“ empfunden wird, vorgesehen. Dadurch steht es städtebaulich völlig beziehungslos auf dem Grundstück und bildet gegenüber den Hauptstraßen jene harten dreieckigen „Zwickel“, die architektonisch nicht gefaßt werden können. Zur Milderung der Härten dieser Situierung wurde ein halbkreisförmiger Baukörper angehängt, der große Ähnlichkeit mit den Apsiden an romanischen Kirchen aufweist. (Oder ist diese Apsis gar deshalb vorgesehen, weil sich in der naheliegenden Burg auch romanische Bauteile finden?)

Der Baukörper steht nicht nur „schief“ auf dem Grundstück, sondern auch mit der Rückseite nach der eigentlichen Hauptverkehrsstraße (Erzherzog-Johann-Allee). Mit dem an dieser Stelle gekurvt ten Burgring ist ebenfalls keine städtebauliche Beziehung vorhanden. Man könnte unter diesen Gesichtspunkten das Gebäude auch völlig anders orientieren, etwa wie auf einer „Drehscheibe“ um die eigene Achse drehen, ohne daß sich an der allgemeinen Situierung etwas Wesentliches ändern würde. Ob seine Gestaltung einem Kunsttempel oder einer Versammlungshalle ähnlich sieht (ist letzteres im geheimen vielleicht beabsichtigt, wie die Situierung in Achse eines „Anmarschweges“ vermuten lassen könnte?), soll hier nicht untersucht werden. Es sei nur bemerkt, daß die moderne Architektur eher die Tendenz besitzt, keine repräsentativen „Achsenlösungen“ anzustreben, sondern ihre Baukörper möglichst schlicht, dafür in ausgewogener Anpassung an die Umgebung, in die gegebene Situation zu stellen. Besonders auf diesem Bauplatz wäre jede brutale Lösung zu vermeiden.

Wenn ein Bauherr, sei er ein privater Auftraggeber oder ein Amt, in künstlerischen Dingen nicht über die genügende Sicherheit der Entscheidung verfügt, wie sie etwa die großen Bauherren der Barocke noch hatten, so ist es angezeigt, eine Art „Kunstbeirat“ oder „Fachbeirat“ zu schaffen. Es ist fairer und zweckmäßiger, Fragen, an denen weite Kreise der Öffentlichkeit interessiert sind, zu diskutieren, als „hintenherum“ verschiedene Meinungen zu sammeln, die immer — möge es sich um gute oder schlechte Projekte handeln — sehr uneinheitlich sein werden.

Dekan der Fakultät für Architektur, Technische Hochschule Graz

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