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Der steigende Anteil der Bundesländer an der Wiener M esse
Als die Idee einer Wiener Messe nach dem ersten Weltkrieg langsam Gestalt annahm, chwebte den Gründern ein mehrfacher Zweck vor. Man wollte an die jahrhundertelange Tradition der Stadt Wien als internationalem Transithandelsplatz anknüpfen, wobei das Abreißen der wirtschaftlichen Beziehungen nach der Zertrümmerung der österreichischen Monarchie und das Wiederanknüpfen dieser Fäden der unmittelbare Anlaß war. Der Hauptzweck der Gründung des Unternehmens war es aber, der Industrie und dem Gewerbe von ganz Oesterreich ein Schaufenster nach dem Ausland zu geben, wo die Einkäufer der ganzen Welt an einem Ort und innerhalb einer bestimmten kurzen Zeitspanne alles besichtigen konnten, was Oesterreichs Arbeit zustande brachte.
Diesem Aufgabenbereich konnte die Wiener Messe in den Jahren bis 1938 vollauf entsprechen. Zweimal im Jahr, im März und September, trafen einander die Kaufleute Mitteleuropas in Wien, um ihre geschäftlichen Transaktionen durchzuführen.
Die ungeheuren Umwälzungen als Folge des letzten Krieges haben die Wiener Messe vor gänzlich neue Aufgaben gestellt. Nicht nur die alten Absatzmärkte der Nachbarn im Osten waren verlorengegangen, es war auch eine starke Verlagerung der industriellen Tätigkeit von der Bundeshauptstadt in die einzelnen Bundesländer erfolgt, und die vierfache Besatzung hatte auch psychische Barrieren errichtet. Alle diese Ursachen wirkten zusammen, um in den einzelnen Bundesländern neue Messen entstehen zu lassen, wobei Sich naturgemäß eine bestimmte Spezialisierung ergab.
Die Wiener Messe war vorerst nur imstande, auf Grund der sofort betriebsfähigen, kleinen Unternehmen von Wien und Niederösterreich die ersten Veranstaltungen durchzuführen, und stellte damit auch psychologisch einen Motor für den Wiederaufbau der gesamtösterreichischen Wirtschaft dar, vor allem in den von dem Krieg so sehr heimgesuchten Teilen unseres Landes.
Die Schwierigkeiten erhöhten sich durch den Umstand, daß die Baulichkeiten der Wiener Messe, sowohl im Messepalast wie vor allem auf dem Rotundengelände, durch Kriegseinwirkungen außerordentlichen Schaden genommen hatten. Der Wiederaufbau dieser Ausstellungshallen konnte nur Schritt für Schritt durchgeführt werden, so daß die Messen der ersten Nachkriegsjahre durch würgende Platznot gekennzeichnet waren. Es ist selbstverständlich, daß sich bei den ersten Veranstaltungen nur jene Firmen beteiligen konnten, die bereits innerhalb kürzester Zeit ihre Tätigkeit wieder aufnahmen. Die Beteiligung aus den Bundesländern litt naturgemäß in den ersten Nachkriegsjahren unter der Zonenabschnürung.
Daß Wien das größte Ausstellerkontingent stellt, ist nicht überraschend und in der Konzentration der Produktion im Wiener Gebiet begründet. Doch muß auch bedacht werden, daß zahlreiche der bedeutenden Erzeugerbetriebe der Bundesländer in Wien ihre Büros haben und die Anmeldung zur Teilnahme unter der Wiener Adresse erfolgt.
Außerdem führen die Wirtschaftsförderungsinstitute Niederösterreichs und Tirols Gruppenausstellungen ihrer Bundesländer durch, die geschlossen im Messepalast und unabhängig von ihrer branchenmäßigen Spezialisierung untergebracht sind.
Die Firmen der niederösterreichischen Gruppe umfassen sämtliche Textil- sparten, von Handarbeiten über Trachtenmoden, Wirkwarenerzeugung. Fleckerlteppichen bis zur Baumwollindustrie. Dazu kommen die holzverarbeitenden Betriebe, von der Möbeltischlerei bis zur Holzschnitzerei und den Musikinstrumenten. Das Kunsthandwerk spielt eine bedeutende Rolle und umfaßt Kunstkeramik, Kunstgewerbe im allgemeinen, das Heimatwerk, Kunstschlosserei, Stroharbeiten usw. Zusammen- fassend kann gesagt werden, daß von seiten der Wirtschaftsförderungsinstitute das Bestreben besteht, Firmen die Beteiligung an der Messe zu ermöglichen, damit sie ihre Erzeugnisse dem weiten Besucherkreis aus dem In- und Ausland zeigen können.
Das Wirtschaftsförderungsinstitut von Tirol umfaßt in einer Gruppenschau 20 Firmen, wobei ein starkes Gewicht auf das Kunsthandwerk, insbesondere die Holzbildhauerei, Keramik und das Heimatwerk, gelegt wird. Ebenso sind Lederwarenerzeuger vertreten. Dazu kommen noch einige Glaserzeuger, die in Kramsach ein neues Zentrum gebildet haben. Einige Textilfirmen mit Spezialerzeugnissen und Trachten sind hier vertreten.
Interessant ist auch, die Beteiligung der Erzeugerfirmen aus den Bundesländern auf Konsumgüter (Messepalast) und Investitionsgüter (Rotundengelände) hin zu untersuchen. Die Textilindustrie des Landes Niederösterreich stellt die Aussteller für den Messepalast, während die Großbetriebe in Oberöst-erreich, Steiermark und Kärnten auf dem Rotundengelände untergebracht sind. Der Anteil Vorarlbergs bleibt seit einigen Messen auf gleicher Höhe, was mit der Entwicklung der Messe in Dornbirn zusammenhängt.
Mit dem Abschluß des Staatsvertrages und dem Abzug der Besatzungstruppen haben sich die Verhältnisse in dem Sinne normalisiert, daß der Anteil der Bundesländer an der Wiener Messe steigende Tendenz aufweist und mit 464 Firmen zur Frühjahrsmesse 1957 einen Höchststand erreicht hat.
Nach den schweren Jahren der unmittelbaren Nachkriegszeit ist die Wiener Messe wieder imstande, der von den Gründern beabsichtigten Aufgabe zu genügen, nämlich Oesterreichs Erzeugungskraft zu dokumentieren.
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