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Der Tod des Hirns

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Organe entnehmen darf man nur einem Toten. Die Feststellung des Todes erfolgt im Zeitalter der Intensivmedizin nach dem Kriterium des Gehirntodes.

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Organe entnehmen darf man nur einem Toten. Die Feststellung des Todes erfolgt im Zeitalter der Intensivmedizin nach dem Kriterium des Gehirntodes.

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IKFuuche: Warum ist manfrüher von gängigen Todeskriterien abgegangen, um den Hirntod heute als Maßstab zu verwenden?

TlTi:s gaudernak: Man muß das im Zusammenhang mit der Transplantationschirurgie betrachten. Sie lebt davon, daß man Organe von einem Menschen auf den anderen verpflanzen kann. Man hat sich darauf geeinigt, daß die Organentnahme ethisch vertretbar nur von einem Toten erfolgen kann. Es hat sich also die Frage gestellt: Wann ist ein Mensch tot? Was man im Zusammenhang mit dieser Frage auch noch sehen muß, ist die moderne Intensivmedizin: Sie beatmet Menschen künstlich, erhält ihren Kreislauf intakt und kann ein ganze Reihe sonstiger Funktionen des Körpers von außen steuern. Sowohl für Außen-, als auch für Nahestehende ist es schwierig zu beurteilen, ob der betreffende Mensch nun tot ist oder nicht. Denn er atmet, sein Herz schlägt. Aufgrund medizinischer Kriterien ist man zu der Erkenntnis gekommen, daß sobald das Gehirn -und zwar das gesamte Gehirn: Groß-und Kleinhirn, Gehirnstamm - des Menschen unwiederbringlich nach einwandfreier Feststellung tot ist, dann der Mensch tot ist.

DIKFtlRCHE: Eine neue Todesart3 gaudernak: Nein. Das ist keine neue Art zu sterben, sondern eine klare Definition des Todes. Würde man alle Apparate abschalten, so würde das Herz des Gehirntoten nach kürzester Zeit zu schlagen aufhören und die Totenflecken auftreten. In diesem Zustand ist der Leichnam allerdings nicht mehr als Organspender geeignet. Problematisch bei der Gehirntodbestimmung ist folgendes: Man kann zwar feststellen, daß das Hirn tot ist, nicht aber den exakten Todeszeitpunkt. Das hängt damit zusammen, daß auch das Gehirn Überlebenszeiten von etwa vier bis sechs Minuten hat. Der Zirkulationsstillstand im Gehirn erzeugt nach dieser Zeit den Tod des Gehirns. Dieser Zustand läßt sich zwar eindeutig feststellen, nicht aber der exakte Zeitpunkt des Zustands. Das ist der Grund dafür, daß wir bei der Bestimmung des Gehirntodes zwei einwandfreie Untersuchungen in einem Abstand von sechs Stunden brauchen: Bei beiden muß der Hirntod eindeutig festgestellt sein. Nur dann ist die betroffene Person dem medizinischen Sprachgebrauch nach ein Leichnam. Allerdings schlägt sein Herz noch, seine Lunge wird noch beatmet und seine Organe (Leber, Niere, Bauchspeicheldrüse ...) „funktionieren”.

UIEFdkche: Gibt es nicht das Problem, daß man zur Feststellung des Todes Apparate verwendet, die vielleicht in ein paar Jahren genauer messen und daher weniger leicht für tot erklären werden? gauder.nak: Den Tod stellt nicht ein Apparat fest. In der Regel untersucht ein Neurologe die Person. Er hat fest zustellen: Liegt tiefe Bewußtlosigkeit vor? Fehlt die Spontanatmung? Liegt keine Beflextätigkeit insbesondere im Bereich der Augen und des Gehirnstammes vor? Obwohl diese .Kriterien so einfach klingen, definieren sie sehr genau den Hirntod. Auch da gibt es einige Hürden. Eine Reihe von Medikamenten rufen ebenfalls diese Symptome hervor. Da braucht es dann schon Apparate. Es muß geklärt werden, ob dieser Patient unter Medikamenteneinfluß steht oder nicht. Das wird mit Blutspiegelbestimmungen geklärt.

DIEFtiRCHfl: Beruht das Kriterium Gehirntod auf der Annahme, der Geist sei über das Hirn mit dem Körper in Verbindung? caldern ak: Medizinisch ist es offensichtlich, daß das Bewußtsein und die kognitiven Fähigkeiten ihren Sitz im Gehirn haben. Ohne Gehirn gibt es keine Kommunikation nach außen, keine feststellbare Wahrnehmungsfähigkeit. Das Gehirn ist auch die große integrative Kraft, die alle Organe koordiniert. Mit Ausfall des Gehirns hat jedes Organ einzeln eine Überlebenszeit, aber es fehlt das Zusammenwirken.

DIEFURCHE: Unterscheidet sich der Status eines Gehirntoten von dem eines gehirnlos geborenen Kindes? gaudernak: Ja. Solche Kinder kommen ohne Großhirn auf die Welt oder es fehlen Teile davon. Andere Gehirnteile, etwa der Gehirnstamm, funktionieren und erhalten Kreislauf- und Stoffwechselfunktionen aufrecht. Wenn wir Gehirntod sagen, meinen wir den Tod des gesamten Gehirns, inklusive Hirnstamm. Allerdings ist das nicht überall so. In England wird nur auf den Tod des Hirnstammes Bezug genommen.

DIEFURCHE: Und warum? gaudernak: Eine Studie hat untersucht, in welchem Prozent der Hirn-stammtod zum Gesamthirntod führt. Das Ergebnis: Es tritt in allen Fällen ein. Allerdings mit unterschiedlicher zeitlicher Verzögerung.

DIEFURCHE: Spielt das Elektro-Enze-phalogramm (EEG) eine zentrale Rolle bei der Gehirntodfeststellung? Gaudernak: Es gibt zusätzliche Sicherheit. In Österreich ist beispielsweise ein Null-Linien-EEG über Stunden hinweg vorgesehen. Entscheidend ist aber die neurologische Untersuchung..

DIEFURCHE: Es gibt Berichte, daß Leute mit NuII-EEG währeiul längerer

Zeü später wieder frisch und munter das Spital verlassen luiben Halten Sie das für möglich?

Gaudernak : Das verwundert mich nicht. Das EEG ist ein komplizierter Apparat, der fehleranfällig sein kann.

DIEFURCHE: Setzt die Festlegung des Hirntodes beim betreuenden Personal nicht ein enormes Ethos voraus, ist doch der Druck, Organe zu bekommen sicher sehr groß? gaudernak: Das ist einer der kritischsten und wichtigsten Punkte. Der Druck von Seiten der Organ-empfänger und der Organ transplan-tierer ist sehr groß. In letzter Zeit mehren sich die Publikationen, die darauf hinweisen, daß wir in Österreich mehr Organspender brauchen. Sicher kommt die Zeit, in der auch über die Medien in dieser Richtung Druck ausgeübt werden wird. Dieser Druck ist auch einer der wesentlichen Ansatzpunkte der Kritiker des Hirn-todes. Hier darf das ärztliche Ethos einfach nicht ins Wanken kommen.

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