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Dicke Luft

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Der mitteleuropäische Raum zeichnet sich durch eine zunehmende Industrialisierung aus, wobei zwar der Lebensstandard der einzelnen sozialen Gruppen gehoben wird, aber nicht zu übersehende Gefahrenmomente für die landwirtschaftliche Produktion entstehen. Wir wollen hier vollkommen absehen von der gesellschaftlichen Umschichtung zuungunsten der landwirtschaftlichen Erwerbstätigen. Auch die strukturelle Sozialbranche, infolge der weitgehenden Zweckentfremdung und des Funktionswandels landwirtschaftlicher Produktionsflächen, soll nicht weiter beachtet werden. Auf die Verunreinigung der Luft durch Abgase, Staub, Asche und Ruß als beachtenswerte Nachteile des technischen Fortschrittes muß jedoch hingewiesen werden, weil die den industriellen Arbeitsstätten nahe gelegenen bäuerlichen Betriebe dadurch eine wesentliche Einschränkung ihrer Produktionskapazität hinnehmen müssen.

Nicht nur im Bereich der städtischen Ballungen wird die für das organische Leben notwendige Luft durch die Verbrennungs- und Auspuffgase der Schornsteine, der Dampfbahnen und des motorisierten Verkehrs verschmutzt, sogar in rein ländlicher Umgebung beeinträchtigen einzelne Industriebetriebe die Intensität der Sonnenbestrahlung und damit das Wachstum der Kulturpflanzen. Die toxischen Wirkungen auf die Pflanzenwelt und den bäuerlichen Viehbestand sind auf den umfangreichen Schwefelund Kohlendioxydgehalt der Luft sowie auf die bei Analysen aufgefundenen Bestandteile von Blei, Arsen, Fluor und Selen zurückzuführen. Tatsächlich verkümmert die Landschaft im Einflußbereich der österreichischen Blasstahlwerke, der Aluminium- und Magnesitbetriebe, der Papier- und Zellulosefabriken sowie der Dampfkraftwerke und Zementfabriken. Die Staubausscheidungen der Luft verunstalten die Physiognomie des betroffenen Raumes beträchtlich.

Die Beeinflussungsstärke ist nicht immer gleich, da die Reichweite der Abgase meistens vom jeweiligen Industriestandort und der augenblicklichen Wetterlage abhängt. Die geomorpho- logische Ausstattung des Raumes bestimmt die lokale Umformung der vorherrschenden Westwinde und damit die Auswirkungen der Abgase auf das landwirtschaftliche Umland. Die von den Luftverunreinigungen am meisten betroffenen Gebiete liegen vorwiegend im Osten der Betriebsstätten. So beeinträchtigen die Abgase der VOeESt. in Linz hauptsächlich die landwirtschaftliche Produktion des jenseits des Donaustromes gelegenen Raumes von Steyregg, da die vorherrschenden Windströmungen die weithin sichtbare Gashaube dorthin treiben. Im Einflußbereich des Jasstahlwerkes Donawitz sind hingegen zeitlich und räumlich unterschiedliche Zonen der Schadensintensität zu beobachten, weil die lokalen Windverhältnisse dem täglichen und jahreszeitlichen Gang der Lufttemperatur angepaßt werden.

Den industriellen Arbeitsstätten mit schädlichen Abgasen bleibt nichts anderes übrig, als sich mit Hilfe der dörflichen Gemeinden durch bedeutende Beträge mit den landwirtschaftlichen Betriebsinhabern finanziell auszugleichen. Es werden aber nicht nur die Landwirte durch die verpestete Luft und die schädlichen Ablagerungen um einen Teil ihres Ertrages gebracht, sondern die Gefahr besteht auch darin, daß die Fluorgase den oberirdischen Pflanzenteilen toxische Eigenschaften verleihen, die durch Nahrungsaufnahme beim Vieh, aber auch beim Menschen Schädigungen hervorrufen können. Selbstverständlich hat das Baumwuchstum in den forstwirtschaftlichen Revieren gleichfalls durch die Luftausscheidungen zu leiden.

Von den betroffenen industriell-gewerblichen Firmen wurden bereits Wege beschritten, um die schädlichen Auswirkungen der Industrieabgase einzudämmen. Es zeigte sich aber, daß Schutzpflanzungen oder Windschutzgürtel keine Verbesserung der Zustände herbeiführen konnten. Die Dunsthaube breitete sich wie eh und je aus. Die umfangreichsten Schutzpflanzungen können eben keine Selbstreinigung der Luft durchführen, wenn der Luft Bestandteile wie Ruß, Staub und giftige Gase beigemengt sind.

Das hochindustrialisierte Ausland befaßte sich gleichfalls intensiv mit der Frage der Luftverschmutzung. Im Vorjahr beschloß das britische Unterhaus einen „Clean Air Act”, und vor einigen Monaten wurde im westdeutschen Bundestag heftig über dieses Problem diskutiert. In allen Industrieländern wird jedenfalls das moralische Anrecht des einzelnen Menschen auf frische und reine Luft anerkannt.

Die österreichischen Betriebe erzielten mit industriellen Einrichtungen zur Abluftreinigung sehr gute Erfolge. Naßfilter und Entstaubungsanlagen stellen in den Industriewerken, die für eine Verschmutzung der Luft in Frage kommen, die wichtigsten Abwehrmittel dar. So absorbieren im Blasstahlwerk der VOeESt. die von einer Wiener Firma entwickelten Filter bereits 98 Prozent der giftigen Gase.

Es darf aber bei der technischen Lösung dieses brennenden Problems nicht bleiben. Die Ausmaße der Abgasschäden und die Erfahrungen bei der Abgasbekämpfung sollten kartographisch festgehalten und von allen übrigen sowie bei den kommenden Industriebetrieben berücksichtigt werden. Nur eine entsprechende Auswertung der gewonnenen Erfahrungen im Rahmen der Raumordnung wird in Zukunft eine schädliche Auswirkung auf die landwirtschaftliche Produktion verhindern.

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