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Die Alpen mtissen geschutzt werden

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Die Umweltsituation in Tirol ist symptomatisch fur die Alpenregion. Gepragt von Nutzungs-konflikten und starken Traditionen, zerrissen zwischen Moderne und Brauchtum, von Widerstandigkeitund Obrigkeits-geist, zeigen sich in den Alpen die fiir Europa typischen Konflikte exempla-risch und viel friiher als sonstwo. Feh-ler in Nutzung und Bewirtschaftung wirken sich im Berggebiet schneller und starker aus als im Flachland und erfordem teure Korrekturen.

Die besondere Sensibilitat des alpi-nen Okosystems ist mittlerweile euro-paweit bekannt. Seit dem Beginn der neunziger Jahre gibt es deshalb auch eine intensive Diskussion iiber eine Konvention zum Schutz der Alpen. In den einzelnen Protokollen zu dieser Konvention werden alle fiir Tirol typischen Probleme angesprochen:

■ Eines der wirtschaftlich nach wie vor unterschatzten Probleme ist der durch die Luftbelastung geschadigte Berg-wald. Milliarden werden in Zukunft notwendig sein, um die Bergwalder, die eine wichtige Schutzfunktion fiir die Alpen haben, zu sanieren. Dies wird zunehmend zu einem volkswirt-schaftlichen Problem werden.

■ Dramatisch ist gerade in den engen Bergtalern der Bodenverbrauch. Die Wiinsche der Stadtbewohner nach einem heimeligen Zweitwohnsitz, in dem die Romantik vergangener Jahr-hunderte herbeigebaut wird, bedeutet fiir den Wohnungsmarkt fiir Einhei-mische eine nicht aushaltbare Konkur-renz und eine Zersiedelung der Land-schaft.

■ Ein weiteres Problem, vor allem fiir die Hochtaler, sind die immer weiter wachsenden Nutzungswiinsche der Tourismusindustrie. Wahrend die Zahl der Schifahrer weltweit stagniert

Vor allem die Zentren

und die „groBe Politik" mussen sich andern, denn echter Alpenschutz kann nur ganzheitlich ver-wirklicht werden.

und die Urlauber auch im Winter zunehmend in warmere Gefilde auswei-chen, will die Seilbahnwirtschaft bis hinein in die letzten unberiihrten Hochtaler weiter expandieren.

In einer schonungslosen Konkur-renz will jedes Schigebiet zum groBten werden. 19 Projekte fur Neuer-schlieBungen sind jetzt mit Ende der sogenafrnten „Nachdenkpause" im Liftbau wieder aus den Schubladen gezogen worden, Projekte, die „mehr vom Gleichen" bringen und das Ent-wickeln neuer Tourismusideen blok-kieren. In der Irritation iiber zuriick-gehende Nachtigungsziffern fliichtet man sich zu den Rezepten der Nach-kriegszeit.

Bekannt geworden ist Tirol aber eu-ropaweit durch das Transitproblem. Zentrale Nord-Siid-Transitachsen durchschneiden das Land, und es sol-len nach dem Willen der Europai-schen Union noch weitere dazukom-men. Fiir die groBen Wirtschaftszen-tren Siiddeutschland und Oberitalien zweifellos von Nutzen, sind sie fiir das Land im Gebirge zerstorerisch.

Die enorme Belastung der Luft und der Verkehrslarm machen aus der al-pinen Idylle einen Verkehrskanal. Da-gegen revoltiert die Bevolkerung in Tirol seit Jahren. An Autobahnblok-kaden haben vor Jahren nur ein paar belachelte Aktivisten teilgenommen. Mittlerweile stehen Biirgermeister auf der Autobahn, und sogar die GroB-parteien sind soweit unter Zugzwang gekommen, daB sie sich offentlich

nicht mehr gegen die Forderungen der Demonstranten aufzutreten wagen.

Das Transitproblem ist zum Kern der Auseinandersetzung um die Al-penkonvention geworden. Die Unter-zeichnerstaaten sind zwar bereit dazu, die Alpenbewohner zum Schutz ihres Lebensraums - und ihrer eigenen Ur-laubsressorts — aufzufordern, wenn es aber darum geht, daB der Hauptbela-stungsfaktor, der Transitverkehr, ein-geschrankt werden soli, heiBt es „Njet" aus den Zentralen. Ein echter Alpenschutz kann aber nur ganzheitlich verwirklicht werden.

Soli der Bergwald wirklich ge-schiitzt und die Bevolkerung vom Verkehrslarm entlastet werden, muB das auch fiir die groBen Wirtschaftszen-tren einen Verzicht auf weitere alpen-querende Transitachsen bedeuten. Das EdelweiB zu schiitzen, gleichzei-tig aber. die Taler dem Verkehr zu op-fern, istunglaubwiirdig. Wenn Berlin, Rom und Briissel nicht verstehen, daB ihre Forderungen blanker Wirt-schaftsegoismus auf Kosten der Alpenregion sind, wird ein Schutz der Alpen vor der Nutzung der Einheimi-schen auch nicht durchzusetzen sein. Am Ende wiirden alle verlieren.

Die KleinraumigkeitTirols ist eine echte Chance

Dabei bietet sich der Alpenraum dafiir an, mittels „Umsteuern" mit einem vbllig neuen Wirtschaften zu beginnen und das Schlagwort von der Nachhal-tigkeit umzusetzen. Aufgrund seiner Kleinraumigkeit ist Tirol bestens ge-eignet fiir ein Konzept des „small is beautiful". Das verlangt Mut von der Politik, denn es bedeutet eine vollige Um-orientierung der Forderungen. Solange man veraltete Wirtschaftsstrukturen kiinstlich am Leben erhalt, indem man sie an den Fbrderungstropf hangt, blei-ben keine Mittel fur kleinstrukturierte,

innovative Betriebe.

Der Skandal um den- Rinderwahn-sinn zeigt uns in diesen Tagen deut-lich, wohin die Forderung von Rie-senstrukturen in der Landwirtschaft fiihren kann. Diese Krankheit ist nicht nur eine der Rinder, sondern ein Symptom fiir eine verfehlte Politik. Dage-gen steht die alpine Landwirtschaft mit ihrer viel extensiveren Wirt-schaftsform gerade in dieser Debatte viel besser da.

Hier miiBte nun offensives, moder-nes Marketing ein nachhaltiges Wirtschaften mit der Natur erganzen und dem Konsumenten im wahrsten Sinn des Wortes schmackhaft machen. Die kleingliedrige Landwirtschaft mit primar regionaler Orientierung gibt es noch in Tirol; ihre Existenz ist aber von der EU-Konkurrenz schwerstens bedroht und die schwerfalligen Land-wirtschaftskammern sind bislang nicht in der Lage, den Trend zur ge-sunden Ernahrung zu nutzen.

Eine glaubwiirdige Alpenschutzpo-litik bedarf aber auch der Umorientie-rung in der „groBen Politik". Es geniigt nicht fiir Tirol, das eigene

Land in Ordnung zu bringen, es mufi vielmehr mit SelbstbewuBtsein gegen die Anspriiche der Flachlandregionen offensiv aufgetreten werden. Zum Beispiel im Ringen um eine Alpen-konvention, die einen echten Schutz der Alpen garantiert.

Hier muB den Anspriichen und Be-gehrlichkeiten der europaischen Transportlobby entschieden entge-gengetreten werden, und sei es auf der StraBe.Es geniigt nicht, wenn Osterreich die Unterzeichnung der Alpen-konvention blockiert, weil Deutsch-land und Italien weitere Transitrou-ten im Verkehrsprotokoll verankern wollen. Hier mussen wir alle mit einer klaren Vision eines anderen, nachhal-tigen Wirtschaftens in Briissel auftre-ten. Wir haben etwas zu verteidigen und zu erhalten. Diese Chance konnen wir aber nur bewahren, wenn den Nutzungswiinschen der europaischen Zentren Grenzen gesetzt werden. Grenzen, zu deren Beriicksichtigung uns das Leben in den Alpen erzogen hat.

Die Autorin ist

Tiroler Landesralin fiir Vmwelt

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