Verkehrsplanung braucht Visionen. Planer Hermann Knoflacher erzählt, welche Visionen realisiert werden sollten, wie Stadtraum lebenswert wird und worin Wien vorbildhaft ist.
Vor 35 Jahren hat Verkehrsplaner Hermann Knoflacher das "Gehzeug" entwickelt, womit er dem Fahrzeug Auto, das ja vielfach ein "Stehzeug" ist, den Spiegel vorhält. Denn eines ist für Knoflacher klar: Der wertvolle Stadtraum sollte nicht den Autos überlassen werden.
Die Furche: Herr Knoflacher, wo parken sie ihr Gehzeug?
Hermann Knoflacher: Ich stelle es. Das Gehzeug lässt sich zusammenklappen auf eine Fläche von 100 Quadratzentimetern.
Die Furche: ?im Gegensatz zu Autos. Was stört sie besonders am Auto?
Knoflacher: Erstens einmal die verlorene Zeit, zweitens das Risiko, drittens die Luft, die ich einatmen muss. Die Schadstoffbelastung ist im Auto eindeutig stärker, weil sich die Abgase im Auto konzentrieren.
Die Furche: Uns berichtete einer, der in Wien Fußgeher, Rad- und Autofahrer ist: "Auf der Straße herrscht Krieg", auch untereinander, etwa unter den Autofahrern...
Knoflacher: Das merkt er deshalb, weil er nicht nur Autofahrer ist: Die Fußgeher gehen zivilisierter miteinander um, auch die Radfahrer, weil alle ein Gesicht haben, im Gegensatz zum Autofahrer, der so etwas wie eine Schnauze hat. Deshalb legt der Autofahrer im Wesentlichen die Leistungen unserer Kultur, unserer Zivilisation ab. Der Autofahrer unterscheidet sich ja vom Menschen mehr als jedes Insekt. Das ist schwierig zu verstehen, ist aber leider so: Es gibt keine Insekten, die sich so schnell bewegen, dass sie sich dabei selbst töten und die aus Bequemlichkeit den Lebensraum ihrer Nachkommen zerstören, zur Todeszone machen, ganz im Gegenteil, die verteidigen die Lebensräume. Die Autofahrereltern zerstören die Lebensräume ihrer Kinder, die eigentlich im öffentlichen Raum aufwachsen sollten.
Die Furche: Wie beurteilen sie Projekten, die den respektvollen Umgang miteinander ins Zentrum rücken - Stichwort "shared space"?
Knoflacher: Damit diese Straßenräume funktionieren, muss die Geschwindigkeit auf die des Fußgehers reduziert und der Raum entsprechend gestaltet werden. Das habe ich vor fast 40 Jahren das erste Mal in Wien gemacht, als es noch nicht "shared space" geheißen hat: Am Graben, bei der Peterskirche, das ist ein typisches Beispiel einer "shared space"-ähnlichen Umsetzung, die dort seit 1974 funktioniert.
Die Furche: Ein Konzept, das an verkehrsreichen Zonen, dem Gürtel etwa, wahrscheinlich nicht funktionieren wird. Oder?
Knoflacher: Das ist die Frage. Sie dürfen nicht vergessen, Verkehr wie auf einer Gürtelseite gab es früher am Stock-im-Eisen-Platz, direkt neben dem Stephansdom. Wenn sie die richtige Mischung an Experten, Politikern und Verwaltung haben, können sie das im Prinzip überall umsetzen.
Die Furche: Gibt es für sie vorbildhafte Städte im Umgang mit Verkehr?
Knoflacher: Es gibt in vielen Städten Einzellösungen, aber es gibt keine Gesamtstadt. Der Bürgermeister in Seoul hat z. B. die Autobahn, die saniert hätte werden müssen, abgerissen und stattdessen Bussysteme eingeführt, Fußgängerzonen gemacht, den Fluss frei gelegt und so die Stadt lebendig gemacht. Und Wien darf man auch nicht vergessen: Wien war ja bisher immer vorbildhaft, was den öffentlichen Oberflächenverkehr betrifft, Fußgeherzonen z. B., oder der Radverkehr in Wien - entgegen der seinerzeitigen Vorstellungen, dass man in Wien nie Rad fahren wird.
Die Furche: Woran lag das?
Knoflacher: Wien hat keine Fahrradtradition. Im Gegensatz zu Kopenhagen, Münster, oder auch in Holland. Wien hatte stattdessen die Straßenbahnen und einen oft engen Stadtraum. Am Anfang wurde der Radverkehr möglichst auf den Gehsteig verlegt. Sie dürfen nicht vergessen, der Autofanatismus war ja damals ungleich größer als heute: Straßenbahnen wurden eingestellt, damit der Autofahrer mehr Platz hat und solche Schwachsinnigkeiten. Ich habe damals alle Hände voll zu tun gehabt, die Ringlinien zu retten. So war damals der Zeitgeist, und ich war dagegen.
Die Furche: Was ist der jetzige Zeitgeist, gegen den sie sind?
Knoflacher: Diesen Zeitgeist gibt es immer noch, was natürlich schade ist. Wir haben leider viele Chancen versäumt, etwa beim Parkraum: Man hätte systematisch einen Straßenzug nach dem andern von parkenden Autos befreien müssen, hätte so Lebensräume einrichten können, Geschäfte wären zurückgekommen, usw. Da fehlt der Mut. In den letzen Jahren beschäftigt man sich mit so Absurditäten und geradezu Verbrechen an der Stadt wie dem Lobau-Tunnel. Das ist eine schwere Sünde an der Stadt und den Menschen, die dort wohnen.
Die Furche: Welches Potenzial haben Freiflächen?
Knoflacher: Das überlässt man am besten den Leuten, die dort leben. Die Wirtschaft wird sehr schnell feststellen, dass eine Menge Brieftaschen auf einmal zu Fuß unterwegs sind und wird Kassen aufstellen, Waren anbieten. Zweitens: Die Menschen werden nicht mehr in Wohnungen zurückgedrängt, sondern die Wohnungen öffnen sich zu den Straßenräumen. Man wird bei offenem Fenster schlafen können. Und die Kinder werden wieder vor der Haustür spielen können.
* Das Gespräch führte Gerlinde Wallner