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Die Gesichter des Wienerwaldes

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Mit zunehmender Freizeit der industriell-städtischen Bevölkerung gewinnt die Funktion der Großstadt als Erholungsstätte neben den bisher im Vordergrund gestandenen Aufgaben des Wohn- und Arbeitsortes immer mehr an Bedeutung. Schon wird die kommunale Verwaltung diesen wachsenden Anforderungen in der Weise gerecht, daß die Grünanlagen des Stadtkerns nach Möglichkeit vergrößert und verschönert werden. Damit gewinnt nicht nur die Wohnatmo- sphäre der überfüllten Stadtviertel, auch die Anziehungskraft auf die Touristen wird dadurch verstärkt.

Dennoch ist diese begrüßenswerte Tätigkeit der Stadtverwaltungen schon deshalb nicht ausreichend, weil die Grünflächen in der Innenstadt nur einen relativen Erholungswert besitzen. Der Bewegungskreis der Benützer ist doch nur auf die Wege beschränkt, die Wiesen dürfen im Hinblick auf uttSere kJimatischeh’Verhältnisse "nicht betreten werden. Außerdem sind die irr Wien ö’ffentlichf’Ägängljchiti G’iit- tenanlagen mit rund 1250 Hektar unzureichend, da sie nur etwa drei Prozent des gesamten Wiener Stadtgebietes umfassen.

51.0 gingen verloren

Während die Wiener Parkanlagen mit ihrem wesentlich kleinen Erholungswert aus ästhetischen Gründen im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen, wird die Erholungsbedeutung der Wälder, der Wiener Forste, allgemein viel zuwenig erkannt. Immerhin ist doch ein Fünftel des Wiener Verwaltungsgebietes von der Kulturart Wald bedeckt. Die Hügel des Wienerwaldes einerseits und die Reste des Auengürtels der Donau anderseits sind ausgedehnte Reservate für die Erholung der städtischen Bevölkerung. Hier wäre Platz genug, um die an Umfang zunehmende Freizeit in frischer Luft und in freier Natur zu verbringen.

Leider hat man den Erholungswert dieser Forste bisher völlig außer acht gelassen. Vielfach wird die Aufgabe der Wiener Wälder darin gesehen, der wirtschaftlichen Nutzung, sei es als Holzlieferant oder als Platzhalter für künftige Industriebetriebe, zu dienen. Die Waldfeindlichkeit zeigt sich doch in der ständig zunehmenden Rodungstätigkeit für andere Verwendu-ngs- zwecker Zwischen 1955 und 1959, also innerhalb von nur fünf Jahren, wurde die Wiener Waldfläche um 127 Hektar verkleinert. Das entspricht einem Areal, wie es der Gemeindebezirk Mariahilf für sich in Anspruch nimmt!

Erst unlängst wurde betont, daß innerhalb der letzten zwei Jahre in Wien 12.000 neue Nadelbäume und

16.0 neue Laubbäume gepflanzt worden sind. Man dürfe nicht immer nur von den einzelnen gefällten Bäumen reden, sondern müsse auch die große Zahl der neuen Bäume beachten. Abgesehen davon, daß es ja nicht gleichgültig ist, an welcher Stelle der alte Baum beseitigt und der neue hingestellt wird, so braucht doch der Setzling rund fünfzig Jahre, bis er nur die halbe Umtriebszeit, die wahrscheinlich der alte Baum erreicht hat, mit der damit verbundenen Schatten- und Klimawirkung wird einnehmen können. Selbst bei wohlwollendster Berechnung steht fest, daß beispielsweise im Jahre 1959 in den Wiener Gartenanlagen und Forsten rund 27.000 neue Bäume gesetzt wurden, gleichzeitig aber ein Waldgebiet von 51.000 Bäumen für immer verlorengegangen ist.

Wie ist nun die Einstellung Wiens gegenüber seinem Wald beschaffen? Weder wird nach dem forstwirtschaftlichen Grundsatz der Walderhaltung gehandelt noch wird die Erholungsbedeutung der Wälder verstanden. Die Wiener Forste werden für die Holz- und Jagdnutzung, aber auch für landwirtschaftliche Produktionsmethoden rationell verwendet, dienen aber sonst hauptsächlich als Ratimreservoir für kommende bauliche und industrielle Zwecke. Die mächtigen Interessen der wirtschaftlichen und baulichen Expansion einer Großstadt stehen hier den sozialen Interessen der menschlichen Erholung gegenüber. Die verhältnismäßig leicht erreichbare Waldzone des Stadtrandes sollte aber in Zu- küttft" mehr als heute ;das Erholungsgebiet für die nichtmotorisierte Stadt- bdMkerirti sein. Diese Stadtteile mit rein wirtschaftlichen Funktionen zu versehen, heißt den minderbemittelten Erholungsuchenden jede Möglichkeit der seelisch-körperlichen Wiederherstellung nehmen. Die kurzfristige wirtschaftliche Rentabilität darf der langfristigen Nutzung für soziale Zwecke nicht vorgezogen werden.

Drunt’ in der Lobau …

Es gibt kein besseres Beispiel für die waldfeindliche Einstellung als gerade die unvernünftige Beseitigung der früheren Donauwälder. Wer heute in die Stadtteile jenseits der Donau fährt, ist von dem dort vorherrschenden steppenhaften Landschaftscharakter überrascht. Kaum kann man derzeit noch etwas von dem breiten, bis nach Kagran reichenden Auengürtel von 1870 ahnen. Damals dehnten sich zwischen Langenzersdorf und Aspern die dichten Auwälder aus. Nach der Donauregulierung durchstießen zuerst die neuen Straßen und Eisenbahnlinien diesen Gürtel, dann schafften sich die Industriegründungen um Stadlau und Floridsdorf auf Kosten des Waldes den notwendigen Platz. Im ersten Weltkrieg und knapp darnach beseitigten die Kleingärtner die übriggebliebenen Auen, so daß für die wilden Siedlungen der nachfolgenden Periode nur noch die obere Lobau als Angriffsfläche vorhanden war. Im letzten Krieg wurden mitten in die Lobau eine Raffinerie und ein Tanklager hineingebaut, aber auch der Ölhafen und der Stumpen des Donau- Oder-Kanals schlugen weitere schwere Kerben in dieses Wiener Erholungsgebiet. Augenblicklich begnügt man sich gar nicht mehr mit der oberen Lobau, sondern man macht bereits den Sprung hinüber in das Reservat der unteren Lobau: in Kürze wird dort ein Grundwasserwerk angelegt. Damit wird bereits der erste Schritt zur Beseitigung der unteren Lobau getan.

Kann man sich aber augenblicklich in der Lobau richtig erholen? Auf den früheren Wald wiesen dehnen sich heute Weizen- und Zuckerrübenfelder r aus,; so daß man; sich dort nicht niederlassen kann. Anderseits ist auch die Auvegetation für solche Absichten zu dicht und darum ungeeignet. Das ist nur die Folge der rein wirtschaftlichen Einstellung, die auf die gesellschaftliche Wichtigkeit der Wiener Forste keine Rücksicht nimmt, ln den Wienerwaldrevieren versucht man wenigstens schon, durch Abtragen von Zäunen und Gittern das Landschaftsbild zu verschönern. Soweit das zu- gestandene Geld reicht, werden dort ebenso die Wege hergerichtet und stellenweise Sitzbänke aufgestellt. Auch Lagerwiesen und neue Hinweistafeln sind die ersten zarten Anzeichen fiir eine beginnende Umorientierung der Stadtverwaltung: ‘ die Wiener Wälder können nicht mehr länger reine Ertragsquellen bleiben. Der Wirtschaftswald muß zum Erholungswald der nichtmotorisierten Bevölkerung werden!

Der Erholungswald braucht jedoch eine entsprechende Ausgestaltung: In der oberen Lobau benötigt man beispielsweise einige Lagerwiesen, Campingplätze, Miichtrinkhallen, Bänke und ordentliche Wanderwege. Dabei wird es sich nicht vermeiden lassen, die agrarische Betriebsfläche des kommunalen Gutes Lobau zugunsten von Lagerwiesen zu verkleinern. Man wird sich allmählich davon überzeugen lassen müssen, daß die Stadtrandzone alle diejenigen Einrichtungen aufzuweisen hat, die von der innerstädtischen Bevölkerung in ihren Wohngebieten verständlicherweise nicht vorgefunden werden können. Die Wiener Wälder und Wiesen am Stadtrand müssen unter Hintanstellen der alleinigen wirtschaftlichen Verwendung zu Landschaftsparks umgestaltet werden. Darunter versteht man solche Waldflächen, die mit einem Minimum an Erhaltungskosten für Erholungszwecke aufgeschlossen sind. Man soll sich dort wirklich so verhalten können, wie es in den innerstädtischen Parks nicht zu erlauben ist. Neben der oberen Lobau kommt für eine solche Ausgestaltung der Stadt im Westen das nördliche Tiergartenvorland, das Gebiet des Roten Berges und der Küniglberg in Betracht. Solche Investitionen werden der Funktion Wiens als Erholungsstätte der Wohnbevölkerung entsprechen, Keinesfalls dürften die Wälder Wiens weiter beschnitten werden!

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