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Die gläserne Brücke

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WIR BLENDEN ZURÜCK: Hochsommerschwüle über den Ausstellungsbauten der „Exposition universelle et internationale de Bruxelles”. Leichte Zeichen der Ermattung bei den Tausenden von Schaulustigen. Da und dort Rummelplatzatmosphäre. In einzelnen Häusern nationalistische, als Folklore verbrämte Ekstasen. Im Oesterreich-Pavillon, wo unsere Musiker den Versuch machen, Musik „auszustellen”, herrscht eine ganz andere Stimmung. Es war schwer, in den mit hohen Glaswänden gegen die Flut des vorbeiströmeriden Publikums abgeschirmten, Würde und Sachlichkeit ausstrahlenden Raum der „Internationalen Musikakademie” zu gelangen. Es war aber auch nicht leicht, vor den Glaswänden einen einigermaßen befriedigenden Sichtplatz zu bekommen. Stunde für Stunde standen vor der Glaswand zwei, drei und mehr Reihen von Besuchern.

BILAN D’UN MONDE pour un monde plus humain — so lautete das Thema in Brüssel. Nach dem Urteil der Welt hat Oesterreich dieses Thema wirklich erfaßt und erfüllt. Was lag näher, als unseren Pavillon, dieses Sinnbild der Brücke und Verbindung, nicht der Spitzhacke anheimfallen zu lassen, sondern in Wien wieder aufzustellen. An diesen Gebäudewänden haftet hoch ein Hauch der Weltweite. Wir brauchen diese globale Sicht jetzt und in Zukunft nur noch als Symbol unserer West mit Ost, Nord mit Süd verbindenden Brückenlage an der Donau.

WIE STEHEN DIE AUSSICHTEN für die Zukunft? Zunächst ist festzuhalten, daß bei dem Pavillon, der moderne Bildungsaufgaben zu erfüllen haben wird, alle in Frage kommenden Stellen einträchtig Zusammenwirken. Das hat sich zunächst in der Widmung des Baugrundes durch die Gemeinde Wien und der nötigen Umgestaltung des Randrauipes erwiesen. _ Diplomingenieur Dr. Karl Schwanzes-der bekanntlich das Haus seinerzeit entworfen hat. wird auch mit der Neuaufstellung und den nötigen raummäßigen Veränderungen betraut sein. Hoffentlich ändert die Vollverglasung nach dem Boden zu nichts an der schwebenden Impression und läßt die Idee der Brücke unangetastet. Der Architekt erklärte uns, daß der vorgesehene Aufführungsraum ungefähr 130 Personen Platz geben wird. Im Saal befindet sich eine kleine, vorgezogene Bühne. Die Besprechungen des Architekten mit dem Leiter der Geschäftsgruppe III im Magistrat der Stadt Wien, dem Stadtrat für Kultur, Volksbildung und Schulerhaltung, Hofrat Mandl, und mit dem seinerzeitigen Regierungskommissär für die Weltausstellung in Brüssel 1958, Dr.-Ing. Manfred Mautner Markhof, sind durchaus zufriedenstellend verlaufen. Wenn es die Baulage und die Stellung der Arbeitskräfte ermöglichen, dürfte gegen Jahresende 1959 „Brüssel in Wien” sein. Ursprünglich hatte die Stadtverwaltung, wie Stadtrat Mandl uns sagte, gehofft, das Gebäude ganz in der Gürtelfront — dem neuen Südostbahnhof benachbart — aufzustellen. Die Anlage der Schnellbahnstraße hat dies vereitelt.

ES WIRD STIMMEN GEBEN, die gegen die Lage des Hauses Einwände erheben. Man behauptet ja immer, daß die Wiener nicht aus dem Stadtzentrum herauszubekommen seien. Nun muß bei aller Würdigung der Argumente die architektonische Bildhaftigkeit des Pavillons bedacht werden. Er ist in Brüssel für jeden, der ihn gesehen hat, auf dem richtigen Platz gestanden. Die Brücke will Weite, um Verbindung andeuten zu können. Wir haben den Stadtrat für Kultur und Volksbildung gefragt, wie er sich zur Idee des Hauses der modernen Kunst, die auch eine tönende Brücke sein wird, stellt. „Die hier zur Wirksamkeit kommende Idee wird von der Stadt Wien sehr begrüßt”, lautete die Antwort, und uns wurde angedeutet, daß man die Funktion des Hauses auch für die Musikerziehung würdige, die gerade bei uns durch die Musikschulen der Stadt Wien als auch durch die Akademie mit ihrem bedeutsamen ausländischen Frequentantenkreis die nötige Resonanz sichert. Auch am Minoritenplatz, im Unterrichtsministerium, herrscht eine dem Projekt ausgesprochen günstige Stimmung. Wie wir dort erfuhren, wird an ein etwa zweimal wöchentlich abzuhaltendes Musikstudio und an Aufführungen mit beschränkter Besucherzahl — wie das nun einmal der Raum vorschreibt — gedacht. Bei diesem StudiöT” das man wohl als Kern des Unternehmens, ja als Richtstrahler in die Welt und als Relaisstation ebendieser Welt ansprechen darf, wird man „in enger Zusammenarbeit mit der Akademie für Musik und darstellende Kunst Vorgehen”. Der Präsident der Akademie, Dr. Hans Sittner, drückte uns seine volle Zustimmung zu dem Vorhaben aus und gibt dem künstlerischen Miteinanderwirken eine überaus günstige Prognose. Dr. Sittner war es ja, der vor zehn Monaten in der „Oesterreichischen Musikzeitschrift” von dem „Veredlungsverkehr” künstlerischer Art schrieb, den Wien seit je für die mit prachtvollem Naturmaterial begabten Sänger aus den Ländern des europäischen Südostens ausübt.

Gerade die Errichtung eines Hauses der modernen Kunst wird die Möglichkeiten einer Ausweitung des künstlerischen Zusammenwirkens mit dem slawischen Raum begünstigen. Daneben ist es klar, daß die verhältnismäßige Nähe des romanischen Raumes genützt werden kann, abgesehen von den Fäden, die uns mit den Ländern jenseits des Atlantik, mit dem Nahen und Fernen Osten verknüpfen. Die Nationen, welche in unserer Brüsseler Musikakademie vertreten waren (Belgien, USA, Holland, Japan, Südafrika, Ungarn, Deutschland, Schweden, Frankreich, Schweiz, Luxemburg, England, Kanada, Jugoslawien, Griechenland, Philippinen, Brasilien, Italien, Kolumbien, Venezuela, Iran, Portugal, Korea und Neuseeland), deuten ungefähr die Richtung an. Gewiß konnte das Gastland Belgien mit 44 Teilnehmern die Spitze leichter nehmen — aber wir haben aus Kreisen der hiesigen diplomatischen Vertretung Belgiens bereits im vorigen Sommer ein deutliches Bedauern über die Einseitigkeit des kulturellen Verkehrs gehört. Wir müssen uns um Gäste von dort und anderwärts bemühen. Der einstige Weltausstellungspavillon muß ein geistiger Globus, ein diplomatisch-kulturelles Zentrum werden. Dieser Ansicht ist auch Dr.-Ing. Manfred Mautner Markhof. „Die Idee, moderne und eigenständige Kunst zu pflegen und in der Musikstadt Wien das ihre zu geben, ist zwingend. Wir haben in Brüssel mit unserem Wirken viele Straßen zur Brücke Oesterreich gebaut.”

WIE SOLL DAS PROGRAMM AUSSEHEN, das sich ein Haus der modernen Kunst vornimmt? Ohne den Entwicklungen, die noch im Fluß sind, vorzugreifen, wird man schon aus rein kaufmännischen Gründen, auch wenn es sich, um kein Erwerbsunternehmen handelt, so doch, um die nötigen Zuschüsse möglichst mäßig zu halten, dem Film eine führende Position zugestehen müssen. Wenn wir Film sagen, dann meinen wir Streifen, die, iih neuen Haus aufgeführt, von anderen Unternehmungen keinesfalls als Konkurrenz empfunden werden können. Es geht also zunächst um die nötige Förderung des österreichischen Kulturfilms. Seine Spitzenproduktion soll wissen, wo sie willkommen ist und ein verständnisvolles Publikum vorfindet. Dann könnte man an die Vorführung jener Filme denken, die Geschichte gemacht haben, die heute nur selten und, wenn überhaupt, für einen stark fachlich ausgerichteten Kreis gezeigt werden. Das Haus der modernen Kunst wird sich auch des Experimentalfilms annehmen können, ein Unternehmen, das anderwärts aus kommerziellen Gründen gewissen Hindernissen begegnet. Man wird weiter ausländische Filme, für, die ejne Synchronisation schwer oder überhaupt nicht möglich ist, in der Originalsprache vorführen können, was bei dem geringen Fassungsraum des Saales auf keinen Fall leere Plätze bedeuten wird. Bei den Vorträgen ist an spezielle Darlegungen namhafter in- und ausländischer Wissenschaftler, an Forschungsberichte in Verbindung mit Filmen und Dias gedacht. Da es im Hause auch eine Bibliothek geben wird, kommt ihm als Zentrum von Buchausstellungen und Dichterlesungen — die bis jetzt meist an unzweckmäßigen Orten stattfinden — erhöhte Bedeutung zu.

MUSIK WIRD MAN GROSS SCHREIBEN MÜSSEN. Die Darbietung von Kompositionen kann jungen Schaffenden ein Bild der Eubli- kumsresonanz geben. Hier werden zweifellos die IGNM (Internationale Gesellschaft für neue Musik), die entsprechende österreichische Gesellschaft, dann besondere Vereinigungen, wie die Gustav-Mahler-Gesellschaft und andere zeitzugewandte Kreise ihr Forum finden. Beim Studiobetrieb können Operneinstudierungen, kann die Arbeit des Reinhardt-Seminars und unserer Tanzklassen dem Publikum gezeigt werden. Es sieht ansonst immer fertige Aufführungen. Hier wird demonstriert werden, wieviel mühevolle Kleinarbeit nötig ist, bis ein Werk „steht”. Das Podium, das ungefähr ebenso groß wie jenes in Brüssel sein wird, gestattet Besetzungen bis zur Größe eines Kammerorchesters. Unsere zwei „Weltausstellungsklaviere” sind heimgekehrt und werden auch in Wien Aufsehen erregen. Vielleicht wäre es angezeigt, eine „Gesellschaft der Freunde des Hauses der modernen Kunst” zu gründen, eine wirklich aktive Körperschaft, die effektive Anregungen gibt und nicht bloß Beiträge zahlt. Das ganze Unternehmen müßte eine gewiegte, das Theater- und Konzertleben sowie die wichtigsten Aeußerungen der bildenden Kunst, des Films und der Literatur beherrschende Persönlichkeit als Manager betreuen, die ohne Dazwischenreden von allen möglichen Seiten nur da:s eine Ziel für den Pavillon verfolgt: die Kunst ins Volk, das Volk zur Kunst zu bringen, Brücke im Land und ein Knotenpunkt von Straßen aus Oesterreichs Nachbarschaft und aus der Welt zu werden.

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