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Die Herbergssučhe

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EIN MANN SUCHT EINE WOHNUNG. Ein Mann, der eine Wohnung sucht, studiert die Inseratenspalten der Zeitungen. Da findet er auf Anhieb eine Vierzimmerwohnung mit Dienerzimmer auf der Mariahilfer Straße, Küche, Bad, Speisekammer, alles zusammen 150 Quadratmeter, Monatsmiete 120 Schilling. Eine ruhige Dreizimmerwohnung mit Küche, Vorzimmer, Dienerzimmer, Bad, in guter Lage, 280 Schilling im Monat. Eine Wohnung mit zwei Zimmern und Kabinett, Bad komplett eingerichtet, gekachelt, Parkettböden, ruhige Lage, sofort beziehbar, Miete monatlich 130 Schilling.

Die erste Wohnung wird von einer Realkanzlei X angeboten, die zweite von einem Wohnungsvermittler namens Y, die dritte einfach vom Büro Z.

„Ich interessiere mich für die Wohnung, die Sie gestern in dem Inserat angeboten haben.“

„Wir bieten viele Wohnungen an. Welche meinen Sie?“

„Die um 120 Schilling im Monat.“

„Um 120 Schilling .. . einen Augenblick! Hier hätte ich beispielsweise etwas um 150 Schilling Monatszins Drei Zimmer, ein Kabinett, Parkettboden, alles innen, 65.000 Schilling. Oder hier — 230 Schilling Zins. Vier Zimmer und zwei Kabinette. Alles wie neu. Da könnten Sie noch sehr billig untervermieten. 120.000 Schilling. Oder das hier, zwei Zimmer, Küche, Bad …"

„Ich habe 15.000 Schilling!“

„Um 15.000 Schilling hätten wir da einen Einzelraum mit Parkettboden, Gasanschluß, Klosett und Wasser auf dem Gang, eigentlich kostet er 17.000 Schilling, aber den Rest werden Sie schon aufbringen. Dafür ist die Miete sehr niedrig."

„Ein Einzelraum ist sehr wenig." „15.000 Schilling sind auch wenig.“ „Für mich ist’s viel. Lind meine Frau bekommt ein Kind. Wir wohnen bei den Eltern, aber das geht nicht mehr. Wir müssen zu einer Wohnung kommen. Aber ein Einzelraum . .. und dafür 17.000 Schilling ᾠ“

„Ich kann Ihnen vielleicht auch eine LIntermiete vermitteln, aber leicht wird es nicht sein für ein Ehepaar mit Kind, und billig auch nicht. Die Leute wollen nicht einmal Ehepaare ohne Kind nehmen. Wenn Sie mich fragen — schicken Sie Ihre Frau arbeiten und sparen Sie weiter!"

WIEN ZÄHLT HEUTE ZU DENJENIGEN STÄDTEN IN MITTELEUROPA, in denen die Herbergssuche am schwierigsten und am teuersten ist. Es gibt hauptsächlich folgende Wege zur eigenen Wohnung:

Den Weg zum Vermittlungsbüro. Ein Großteil der Wohnungen, die Woche für Woche in unzähligen kleinen Anzeigen angeboten werden, werden nicht direkt, sondern von einem Vermittler vergeben. Dabei handelt es sich zum Teil um Wohnungen in Neubauten, meistens Eigentumswohnungen, zum Teil um Altwohnungen.

Den direkten Weg zum privaten Hausherrn beziehungsweise zum Verwalter. Angesichts der stagnierenden privaten Wohnbautätigkeit in Wien sind auf diesem Weg fast nur alte Wohnungen zu bekommen, die aus irgendeinem Grund freigeworden sind. Bei dieser Gelegenheit wechseln einige Zehntausender den Besitzer. Da die Geschäfte mit der Ablöse ungesetzlich sind, wechseln sie den Besitzer ohne Quittung. Irgendwelche Zahlungserleichterungen gibt es bei dieser Gelegenheit selbstverständlich nicht, hier das Geld, da die Wohnungsschlüsseln, erledigt.

Den Weg zu einer Wohnbaugenossenschaft, die mi. öffentlicher Unterstützung, das heißt mit Bundes- und Gemeindemitteln baut. Der Wohnungswerber hat dabei normalerweise zehn Prozent der Baukosten selbst aufzubringen, das mag bei einer Wohnung von 65 bis 70 Quadratmetern gegen 20.000 Schilling ausmachen. In vielen Fällen kommt der Anteil zu den Kosten für den Baugrund dazu,

doch dafür gibt es meistens Zahlungserleichterungen.

Schließlich gibt es noch die Möglichkeit, sich beim städtischen Wohnungsamt in der Bartensteingasse um eine Gemeindewohnung zu bewerben. Abgesehen von einigen sozialen Wohnbauaktionen ist dies für Leute ohne Sparkonto heute in Wien praktisch die einzige Möglichkeit, eine Wohnung zu bekommen. Jungverheiratete Ehepaare haben sehr oft kein Sparkonto, wenigstens keines, das den Ankauf einer Wohnung ermöglicht. Der Andrang nach Gemeindewohnungen ist entsprechend groß. Wie leicht — beziehungsweise wie schwer — es in Wien ist, eine zu bekommen, braucht man niemandem zu erzählen.

„GANZ FRISCH AL1SGEMALT, WIE SIE SEHEN. Und tadellose Parkettböden. Rauchen Sie? Trinken Sie?

Meine Untermieter haben sich nach mir zu richten, das möchte ich Ihnen gleich sagen. Haben Sie ein Radio? Wann gehen Sie morgens fort? Wann kommen Sie abends heim? Haben Sie einen sicheren Posten? Sind Sie ein reinlicher Mensch? Die Bilder müssen an der Wand bleiben, das sage ich Ihnen gleich. Bedienung ist im Preis inbegriffen. Bettmachen und Kehren. Wasser müssen Sie sich selbst holen. Die Küche können Sie nur in der Früh benützen. Und Damenbesuche sind natürlich ausgeschlossen. Wie? Sie sind verheiratet? Warum haben Sie denn das nicht gleich gesagt? Und ein Kind haben Sie auch? Also das ist etwas viel auf einmal. Das ändert doch alles. Und überhaupt bin ich noch einem anderen Herrn im Wort. . . Das muß ich mir noch gründlich überlegen.. . Anderseits möchte ich nicht grausam sein. .. Sagen wir — zur doppelten Miete? Können Sie das bezahlen?“

GESPRÄCH IN EINEM WIENER REALITÄTENBÜRO. Hinter dem Schreibtisch: ein Mann im dunklen Anzug, so um die Vierzig, mit schütterem Haar. Vor dem Schreibtisch: ein jungverheirateter Angestellter, der zehn Monatsgehälter zusammengespart hat, zehn Monatsgehälter, die nun auf dem Schreibtisch des Vermittlungsbüros wie ein Pappenstiel aussehen und auch fast so achtlos behandelt werden.

Der Mann hinter dem Schreibtisch: „Gut, verbleiben wir so. Ich gebe Ihnen jetzt eine Quittung über den heute bezahlten Betrag, den haben Sie bei uns gut, den Rest bringen Sie übermorgen. Die Wohnung kann dann sofort bezogen werden.“

GESPRÄCH IM GLEICHEN WIENER REALITÄTENBÜRO, zwei Tage später. Im Vorraum.

Die Sekretärin zum gleichen jungverheirateten Angestellten: „Sie sind der Herr X und wollen den Rest erlegen — ich muß Ihnen aber leider mitteilen, daß sich die Sache mit Ihrer Wohnung zerschlagen hat.“

„Wieso zerschla . .."

„Sie bekommen Ihre Anzahlung zurück, hier, würden Sie bitte quittieren. Eine Firma will in dem Haus ein Büro einrichten und hat Sie überboten. Da hat der Hausbesitzer selbstverständlich. zugegriffen. Wir werden sie gerne verständigen, wenn wir wieder etwas Passendes für Sie haben.“

„Aber ich will die zugesagte Wohnung. Ich habe schon lang genug gewartet. Die Sache war schließlich perfekt. Sie können sie einfach nicht mehr rückgängig machen!“

„Haben Sie etwas Schriftliches?“

„HAST DU WAS, SO BIST DU WAS.“ Dieser Werbeslogan eines Geldinstituts drückt das aus, was heute die meisten Menschen denken, ob sie nun etwas haben oder nicht. Dieser Slogan, ein, pardon, zutiefst antichristlicher Slogan, gilt auch auf dem Wohnungsmarkt als Richtschnur.

Wenn heute einer daherkommt und eine Wohnung haben will, und er pocht darauf, daß er verheiratet ist und ein Kind hat und daß ein zweites Kind unterwegs ist, und er meint, es sei sein Recht, eine Wohnung zu bekommen, dann wird man ihm wohl erwidern: „Warum haben Sie nicht gespart, mein Herr? So viele Leute konnten zehn Monatslöhne zurücklegen, warum konnten Sie es nicht? Hätten Sie gespart, dann hätten Sie jetzt eine Wohnung." Und wenn er antwortet: 1 „Ich bin dreiundzwanzig Jahre alt, mein Herr, und verheiratet, wann hätte ich sparen sollen?" Wenn er das sagt, dann wird man ihm wohl erwidern: „Hätten Sie ebin mit dem Heiraten gewartet, junger Mann, und mit dem Kinderkriegen!“

GESPRÄCH IM VORZIMMER EINER FEUDALEN WOHNUNG IN DER WIENER INNENSTADT. Frau K. hat ein Zimmer in Untermiete zu vergeben und hat einer — vom Realitätenbüro vermittelten — Dame Platz angeboten.

„Was sind Sie von Beruf?“ „Graphikerin.“

„Graphikerin. Und aus welchen Kreisen stammen Sie? Was ist Ihr Vater?“

„Mein Vater ist Altersrentner.“

„Aber welchen Beruf hat er früher ausgeübt?"

„Mein Vater war Arbeiter.“

„Ach, Arbeiter . . . Sehen Sie, ich habe gar nichts gegen Arbeiter. Ich habe keine Vorurteile. Also Arbeiter ᾠ Und Sie sind nicht verheiratet. Warum sind Sie nicht verheiratet? Wollen Sie nicht heiraten? Leben Sie lieber allein? Rauchen Sie? Gut, Sie rauchen nicht. Kommen Sie abends spät heim? Nein. Gut. Haben Sieᾠ"

„Kann ich jetzt das Zi.. .“

„Sofort. Sehen Sie, ich bin überhaupt nicht neugierig, aber ich muß mich natürlich für die Menschen interessieren, die ich in mein Haus aufnehme. Ihre Mutter lebt nicht mehr, sagten Sie. Warum hat Ihr Vater nicht noch einmal geheiratet? Erzählen Sie noch mehr über sich!“

„Könnte ich das Zimmer jetzt sehen?“

„Das Zimmerᾠ Ja, das Zimmer ᾠ Sehen Sie, bei mir wohnen eigentlich nur höhergestellte Persönlichkeiten. Herren von der Botschaft und so. Vielleicht können Sie den Zins doch nicht bezahlen . . . Vielleicht ᾠ Ich habe mir die Sache überlegt. Guten Abend!“

„Guten Abend!“

„Glauben Sie mir, ich habe wirklich keine Standesvorurteile. Tut es Ihnen leid, daß Sie das Zimmer nicht bekommen haben?“

„Keineswegs. Ich habe es ja nicht einmal gesehen!"

Frau K. schließt indigniert die Türe.

MEHR ALS 30.000 MENSCHEN SUCHEN DRINGEND EINE WOHNUNG. Tausende Wohnungen stehen leer und warten auf zahlungskräftige Mieter. 65.000 Gemeindewohnungen entstanden seit dem Krieg, und zahlreiche Eigentumswohnungen, darunter mehr als 12.000 unter den Auspizien des Vereines der Freunde des Wohnungseigentums. Auch die Gemeinde schränkt den Bau herkömmlicher Gemeindewohnungen zugunsten der Förderung von Eigentumswohnungen ein.

„Sie gebar ihren Erstgeborenen, wickelte Ihn in Windeln und legte Ihn in eine Krippe, denn es war in der Herberge kein Platz mehr für sie.“

Heute wird kein neugeborenes Kind in eine Krippe gelegt, und in Obdachlosenheimen und sonstigen Notquartieren, wo die Ärmsten der Armen hausen, zählt man heute in Wien „nur“ etwa 1000 Personen. Und man sagt, sie seien selbst an ihrem Schicksal schuld.

Doch sind diejenigen, die keine zehn- oder zwanzig- oder mehrtausend Schilling zusammensparen konnten, die in unfreundlichen Untermietzimmern hausen, sind die Ehepaare* die ihre Kinder in der kleinen Wohnung der Schwiegereltern aufziehen müssen, sind die. die nicht heiraten können, weil sie keine Wohnung haben, sind die. denen keiner hilft, weil sie nirgends „dabei“ sind, die, die zu ungeschickt, sind sich in diplomatischem Schwänzeln in den Vorzimmern Protektion zu erschmeicheln, sind sie alle schuld an ihrem Schicksal?

Sie hungern nicht und frieren nicht.

Sie sind keine „Notstandsfälle“.

Sie sind nur die Stiefkinder des Wirtschaftswunders. Die Herbergssucher an den Rändern des Wohlstandes.

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