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Die Stadt und die Dörfer

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Ursprünglich bestand Salzburg aus Alt- und Neustadt, eingeschlossen zwischen dem Mönchs- und Festungsberg auf der einen Seite und dem Kapuzinerberg auf der anderen Seite der Salzach. Die Stadt war eingekreist von kleinen, untereinander völlig unabhängigen Dörfern, in denen hauptsächlich Landwirtschaft betrieben wurde. Sie versorgten die Stadt mit den notwendigsten Nahrungsmitteln, führten aber ein selbständiges Leben. Heute aber hängen diese ausgewachsenen Vororte mit der Altstadt eng zusammen.

Zwei solche Dörfer waren Aigin und Parsch im Südosten der Stadt. Gegen Norden liegen Gnigl, Schallmoos und Itzling. Hier konzentrieren sich Industrie, große Handwerksbetriebe und der Schienenverkehr. Es leben auch Menschen hier — nicht immer menschenwürdig! Die Gegend ist nicht besonders schön, so fährt man rasch gegen Westen nach Lehen und Maxglan. Zwar hat hier die Gemeinde die in ganz Österreich gebräuchlichen Ge-meindebauten wüst verstreut, doch wenn man den Kopf nicht hängen läßt und unermüdlich nach Gutem sucht, wird man auch belohnt.

In der Alois-Stockinger-Straße errichtete der Architekt Helmuth Freund zwei Wohnhochhäuser, die durchaus eine moderne Sprache sprechen, wenngleich sie ohne das geringste räumliche Konzept aufgestellt wurden. In Lehen wohnt ein weltbekannter Musiker, dessen Frau einmal sagte, sie ginge gerne zu Fuß in die Stadt — was sind schon zwanzig Minuten — doch sie fährt mit dem Bus, denn der Weg durch die Monotonie sei so grauenvoll und erscheine unendlich lang. Könnte man einer Gemeindevertretung und den Architekten einen größeren Vorwurf machen? Es wurde schwer an der kulturellen Tradition einer der schönsten Städte Europas gesündigt.

An Maxglan — ein sehr dicht besiedelter Vorort mit Flughafen(lärm) — grenzt einer der lieblichsten Bezirke um Salzburg: Leopoldskron. Das haben sogar die Politiker erkannt; sie ließen dort ein Freibad errichten, und man spricht von Ruhezonen. Daß hier auch die einzige Möglichkeit für einen gesund wachsenden Universitätsbezirk besteht, hatte man auch schon einmal erkannt, baut aber jetzt lieber an einer „Streu-Universität“, das heißt, an verschiedenen Punkten der Altstadt (die doch schon viel zu eng ist) werden die diversen Institute untergebracht. Wo Professoren und Studenten wohnen werden, weiß noch niemand. Sicher ist nur, daß auf diese Weise der Kraftfahrzeugverkehr stark angeregt wird.

Müßte nicht gerade das Gegenteil angestrebt werden, um Salzburg vor einem totalen Zusammenbruch zu retten? Von freien Architekten, Soziologen und Ärzten müßten, zusammen mit der Gemeindevertretung, bindende Pläne geschaffen werden, welche die Innenstadt entlasten und auflockern und gleichzeitig den Randbezirken ihre selbständige Funktion zurückgeben. Dies ist notwendig, denn eine Stadt muß leben, Tag und.Nacht. Sie darf niemals zur Stätte degradiert werden, in der man nur seinen Geschäften nachgeht, das Kino besucht, und wo Fremde gaffend umhertummeln. Nein, wenn der regelmäßige Puls einer Stadt zu schlagen aufhört, dann ist sie zum Sterben verurteilt. Daher muß der Kern einer Stadt vom Motorverkehr so weit als möglich befreit sein, Wohnhäuser dürfen nicht in Büros umgebaut werden, sondern gehören vielmehr unseren Anforderungen entsprechend modernisiert. Abbruchreife gehören weg, der freie Raum könnte zu Grünzonen gestaltet werden (nicht zu Parkplätzen, Autos gehören in Parkhäuser). Also die Altstadt nicht zusätzlich verdichten, sei es durch ein Festspielhaus, ein Museum oder durch Institutsgebäude, sondern sie echtem Leben zuführen! Vielleicht hat Salzburg hier eine Sonderstellung, denn normalerweise sind es gerade die Theater, Hochschulen und Museen, die in ein Zentrum gehören. Hier aber müßte es bei seiner baulichen Dichte von solchen zusätzlichen Verkehrserregern freigehalten werden.

Gleichzeitig muß man trachten, die Selbständigkeit der umliegenden Vororte zurückzugewinnen. Das heißt, man müßte die Kernzellen dieser Vororte entdecken — sie sind zum Teil noch sehr markant vorhanden — und sie zu echten Zentren entwickeln. Echte Zentren sollten über alle Arten von Geschäften, Kindergärten, Schulen, Clubs und sogar über kleinere Handwerksbetriebe verfügen. Solcherart würde die Altstadt entlastet, weil der Bewohner der Vororte nicht wegen jeder Kleinigkeit in die Stadt fahren müßte. Zentren sind aber nur möglich (wirtschaftlich), wenn um sie herum eine dichte Besiedlung entsteht. Es müssen daher entsprechende Gesetze der „Verhäuselung“, wie sie zur Zeit im ganzen Raum Salzburg um sich greift, entgegentreten. So würde wertvolles Grünland vor der vollständigen Verbauung gerettet.

So ein Rundgang gibt zu denken. Wie konnte eine Stadt mit einer baulich reichen Tradition so vollkommen wertlos weiterwachsen? In wenigen Jahrzehnten wuchsen Städte (die bis dahin Jahrhunderte der Entwicklung hinter sich hatten) zu doppelter, ja drei- und vierfacher Größe an. Wie nach jeder Revolution, folgte auch nach der industriellen eine Verschiebung jeglicher Gesellschaftsordnung und somit auch der Verlust des Gemeinschaftssinnes. Natürlich traten in aller Welt auch einige Architekten als großartige Stadtplaner hervor (Otto Wagner, Le Corbusier u. a.), doch sie waren Individualisten und ihrer Zeit weit voraus.

Der Mensch — und er ist ja der Auftraggeber — lebt seit damals nur mehr, ob Existenzialist oder Kollek-tivist, als einsamer Egoist. Egoismus und Architektur aber sind unvereinbar. Städtebau ist eine Kunst, die nicht von einem Menschen allein bewältigt werden kann, er bedarf der ständigen Mitarbeit von Soziologen, Ärzten, Juristen und — und das ist besonders zu unterstreichen — er braucht die Mitarbeit breitester Bevölkerungsschichten! Und wenn der Kunsthistoriker Siegfried Giedion in seinem Buch „Architektur und Gemeinschaft“ schreibt: „in der Architektur ist das Niveau des Klienten ebenso wichtig wie das des Planers“, dann begreift man vielleicht den Kern allen Übels.

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