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Die Stadt von morgen

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Die moderne Stadtplanung geht bei der Erarbeitung ihrer Grundsatzkonzepte in der Regel von den einzelnen städtischen Funktionen — Wohnen, Arbeiten, Erholen, Bewegen (Verkehr) — aus und versucht, jeder dieser Funktionen mit ihren vielfältigen wechselseitigen Beziehungen gerecht zu werden. Dabei ist es natürlich, daß in der Praxis. gewöhnlich jene Probleme im Vordergrund stehen, die auf Grund zunehmender Schwierigkeiten als überaus dringend einer Lösung harren. So stellt die fortschreitende Motorisierung die Verkehrsprobleme stark in den Vordergrund. Manche Gemeinden wieder bevorzugen Aufgaben, deren Lösung optisch mehr in Erscheinung tritt, so die Anlage von innerstädtischen Erholungsflächen. Hingegen erscheinen die Probleme, die sich aus den Beziehungen von Wohnen und Arbeiten ergeben, noch weitgehend vernachlässigt. Wohl betreiben viele Gemeinden einen beachtlichen Wohnungsbau bzw. eine umfassende Wohnbauförderung. Aber dies geschieht gewöhnlich ohne Überlegungen, auf welche Weise die Zuordnung von Wohnen und Arbeiten erfolgen soll. Die meisten Groß- und Mittelstädte leiden heute unter einer übermäßigen Vermischung von Wohn- und Arbeitsstätten. Dies zeigt sich schon darin, daß vielfach die „gemischten Baugebiete“ schon im Flächenwidmungsplan überwiegen. Sowohl das Wirtschaften als auch das Wohnen wird durch diese zu weitgehende Vermischung beeinträchtigt. Dennoch werden weiterhin Wohnungen in diese gemischten Gebiete hineingebaut, ebenso neue Betriebe. Langfristig wäre aber anzustreben, wo immer es auch möglich ist, gewerbliche Nutzung und Wohnen zu trennen, um beiden städtischen Funktionen eine zweckentsprechende Entfaltung zu ermöglichen.

In Österreich müssen die Beziehungen zwischen Wohnen und Arbeiten für die größeren Städte vielfach erst erforscht werden. Grundsätzlich hätten auch die Bauordnungen durch die Schaffung brauchbarer Kategorien für die Flächenwidmungspläne die Voraussetzungen für eine klarere funktionelle Gliederung unserer Städte zu geben. So sind Novellierungen dieser Bauordnungen notwendig; die Arbeiten an einer Musterbauordnung durch die Forschungsgesellschaft für den Wohnungsbau haben hier grundlegende Vorarbeit geleistet. Noch sind aber gerade die Grundfragen der Beziehungen zwischen Wirtschaften und Wohnen zu wenig erforscht. In Wien befassen sich Arbeitskreise, die nach einer im November 1960 abgehaltenen Arbeitstagung „Wirtschaft und Stadtplanung“ von der Wiener Handelskammer einberufen wurden, mit diesen Fragen.

Warum hängt soviel von einer zweckmäßigen Lösung des Verhältnisses von Wohnen und Arbeiten in der modernen Stadt ab? Je größer der Teil der Bevölkerung ist, der in Groß-und Mittelstädten wohnt, desto größer werden auch die Gefahren einer Vermassung und Nivellierung eines Volkes. Überdies drohen biologische Gefahren: Die Groß Stadtbevölkerung ist nach wie vor relativ kinderarm. Beide Gefahren können nur überwunden werden, wenn die Städte organisch in überschaubare, möglichst geschlossene Einheiten gegliedert werden, wenn die Wohnverhältnisse von Grund auf gebessert werden und auch im innerstädtischen Raum gesunde Familienwohnungen entstehen, die als Heim empfunden werden. Eine Reihe von Demonstrativbauprojekten haben beachtliche Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt; es sei in diesem Zusammenhang nur an das Hansaviertel in West-Berlin und an die durch Ausstellungen nunmehr auch in Österreich bekanntgewordenen“' 'zahlreichen Dftrftoflstrativ-bauprojekte des deutschen1' Buftcres-ministeriums für WohnungsbauvStädte-bau und Raumplanung erinnert.

Das städtebauliche Grundkonzept, das der Wiener Stadtplaner, Professor Rainer, erarbeitet hat, kennzeichnet das Problem der gemischten Baugebiete mit wenigen Worten in verständlicher Art: Die beim familiären Handwerksbetrieb .ideale Vereinigung von Wohn- und Arbeitsstätte bringe im Zeitalter der Mechanisierung schwere Belästigungen der angrenzenden Wohnungen durch Maschinenlärm, Lastfahrzeuge und dergleichen mit sich. Nach Auflösung der alten wirtschaftlichen Bindungen sind in Wien — ebenso wie in anderen Städten — die niedrigen Häuser weitgehen durch Mietkasernen ersetzt worden, und die Wohnungen liegen einerseits zwischen den lauten Verkehrsstraßen und anderseits den Garagen und Werkstätten in den Höfen. In Wien wohnen nicht weniger als drei Viertel der Bevölkerung in solchen gemischten Baugebieten, in anderen Städten ist es nicht viel besser. Durch diese unzeitgemäßen Wohnverhältnisse wird aber ein den Bedürfnissen der Familien entsprechendes Wohnen in der Regel nicht ermöglicht. Die Lösung dieses Problems kann nur durch ein auf weite Sicht erstelltes Entmischungskonzept gefunden werden. Dabei geht es einerseits um die großräumige Entmischung, die Absiedlung von Betrieben oder von Wohnungen aus einem gemischten Baugebiet, je nach der für die Zukunft vorgesehenen Flächenwidmung.

Dagegen stellt sich die kleinräumige Entmischung das Ziel, vor allem dem konsumnahen Gewerbe ein Verbleiben in Wohngebieten grundsätzlich zu ermöglichen, wobei eine Trennung von Wohngebäuden und Betriebsgebäuden durch die Errichtung eigener abgesonderter Gewerbebauten (Werkstättenhöfe) erfolgen wird. Es gibt ja auch zahlreiche Gewerbe, deren Ausübung die umliegende Wohnbevölkerung nicht stört und die sich ebenfalls ohne Schwierigkeiten in ihrer Tätigkeit ausweiten können. Überdies müssen auch in den reinen Wohngebieten gewisse Gewerbe erhalten bleiben, nicht nur Handelsbetriebe, sondern auch gewisse kohsumnahe Handwerksbetriebe (Bäcker, Fleischhauer, Installateur usw.) sowie auch nichthandwerksmäßige Dienstleistungsgewerbe, auch Gastgewerbe. Daraus wird ersichtlich, daß es keineswegs in der Regel um eine radikale Entmischung gehen wird, sondern um eine zwar grundsätzliche Trennung der Funktionen Wohnen und Wirtschaften, deren Verwirklichung aber an den wirtschaftlichen Realitäten orientiert sein muß.

„Entmischung“

Die hauptsächlichen Probleme im Verhältnis von Wohnen und Arbeiten liegen nicht bei der Neuerrichtung von Stadtteilen oder von Trabantenstädten (hier lassen sich Wohnen und Arbeiten leichter trennen), sondern eben bei der Entmischung von alten

Stadtteilen. Wie schon erwähnt, können hier Lösungen nicht von heute auf morgen, sondern nur auf weite Sicht gefunden werden. Um so notwendiger aber ist es, möglichst bald in allen in Frage kommenden Städten entsprechende Konzepte für die allmähliche Entmischung zu erarbeiten und darnach die Flächenwidmung zu ändern. Diese Entmischung muß mit der Auflockerung der weitgehend zu dicht verbauten Stadtgebiete einhergehen. In diesem Zusammenhang sprechen deutsche Stadtplaner vom „Auskernen“; darunter ist die Auflok-kerung der Mietskasernen insbesondere im Blockinneren, also „das Niederreißen der Hinterhäuser und die Umsetzung der im Blockinneren ansässigen Handwerks- und Gewerbebetriebe“ (Werner Herhaus) zu verstehen.

Es ist eine alte Weisheit, daß zuerst der Mensch das Haus formt und dann das Haus den Menschen. Das gleiche läßt sich — in vielleicht noch eindeutigerer Weise — von der Stadt sagen. Die Stadt ist das Produkt menschlichen Schaffens, auch immer menschlicher Planung. Doch formt die Stadt wiederum den Menschen, sie bestimmt seine Lebensformen. In unserer Zeit besteht nun weitgehend die Befürchtung, daß der Staat und die anderen Gebietskörperschaften ohnedies schon ein Übermaß an Planung betreiben, daß die“ weitreichenden Interventionen in Wirtschaft und Gesellschaft ohnedies den Freiheitsraum immer mehr einschränken. Aus diesem Grund besteht vielfach Mißtrauen gegen eine mit realer Macht ausgestattete Planungsbehörde der Gemeinden. Das Bedenken ist zweifellos angesichts zahlloser überflüssiger und schädlicher öffentlicher Eingriffe berechtigt. Man muß aber bedenken, daß gerade eine wirksame Orts- und Regionalplanung, wenn sie auch da und dort zu vermehrten Eingriffen in das Privateigentum an Grund und Boden führt, dennoch in ungleich größerem Ausmaß den Freiheitsraum der Menschen in der Stadt erweitert: Sofern eine solche Planung die Voraussetzungen für ein modernen Ansprüchen entsprechendes Wohnen und Arbeiten in der Stadt ermöglicht, führt sie auch zu einer wesentlich freieren und besseren Lebensform. Heute finden manche sehr wesentliche auf Grund der Menschennatur gegebene Freiheitsrechte an den Realitäten der städtischen Umwelt ihre Begrenzung: Es sei nur auf den mangelnden Lebensraum für die Familie und die daraus entstehenden Beschränkungen in der Familiengründung beziehungsweise -erweiterung gedacht.

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