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Die Zukunft der Stadt

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Die Städte verlieren an Leben und Dichte. Konsum und Tourismus beherrschen die Zentren, die Peripherie wuchert ins Grenzenlose.

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Die Städte verlieren an Leben und Dichte. Konsum und Tourismus beherrschen die Zentren, die Peripherie wuchert ins Grenzenlose.

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Die alten Städte sind tot." In seinem jüngsten Buch „Die Telepolis" (siehe Buchtips Seite 17) bringt der deutsche Medien- und Architekturtheoretiker Florian Rotzer seine Einschätzung auf den Punkt. „Stadtpolitik heißt heute, nicht mehr die Zukunft zu planen, sondern bestenfalls den Urbanen Verfall aufzuhalten oder zu bremsen", lautet seine Schlußfolgerung. Auch wenn man diese Meinung nicht teilt - in den europäischen und amerikanischen Städten haben sich in den letzten Jahrzehnten gewaltige Veränderungen vollzogen.

Vor allem scheint den Städten eine wesentliche Eigenschaft immer mehr verloren zu gehen: die Urbanität. Traditionellerweise waren Städte dicht bebaute Orte, an denen sich Menschen, Waren, Informationen und Geld konzentrierten. „Stadt, das ist für uns eine hoch verdichtete, räumliche Struktur aus Gebäuden, Straßen und Plätzen, erfüllt mit Leben", beschreibt Rötzer die Art und Weise, wie Städte noch heute von den meisten Menschen gesehen werden. „Unser Bild von der Stadt oder vom Urbanen Leben ist noch immer vorwiegend von den Zentren geprägt, die zumindest in Europa die vom Land scharf abgegrenzte Struktur historischer Stadtkerne bewahrt haben", analysiert er.

Doch die Stadtkerne sind nicht mehr das, was sie einmal waren: Vor allem in den Vereinigten Staaten ist ein massiver Niedergang der Stadtzentren zu beobachten. Für diesen Trend gilt unter den Städtebauern Detroit als das krasseste Beispiel: Die eigentliche Stadt hat etwas über eine Million Einwohner, in den Vororten jedoch drängen sich dreieinhalbmal soviele Menschen. Die Innenstadt Detroits besitzt auf den ersten Blick alle Merkmale eines Urbanen Zentrums. Doch die meisten Bürohochhäuser, Hotelpaläste, Park- und Warenhäuser stehen leer, nur wenige Menschen bewegen sich durch die Straßen und über die Plätze. Die City von Detroit ist eine Potemkinsche Stadt. Nur nachts wird das Territorium von randalierenden Gangs in Besitz genommen.

In Europa beschränkt sich die Funktion der historischen Stadtkerne zunehmend auf Konsum und Tourismus. Als Wohn- und Lebensraum haben sie ausgedient. Die Zentren werden zu „ Disney worlds der verschwundenen Urbanität", wie Florian Bötzer es formuliert. Die Stadtkerne mutieren zu einem „kommerziell interessanten Kulissenraum für eine ins Museale umschlagende Inszenierung, in der nicht mehr gelebt wird, sondern die nur noch als touristische Attraktion erlebt werden soll".

Ein derart zur Simulation gewordenes Stadtzentrum unterscheide sich durch nichts von japanischen Freizeitparks, wo den Besuchern künstliche Strände, Vogelgezwitscher aus Lautsprechern und künstliche Vulkanausbrüche geboten würden, schimpft der Medien- und Architek-, turtheoretiker.

„Die zeitgemäße Urbanität findet sich in den explosionsartig wachsenden amorphen Agglomerationen der sogenannten städtischen Peripherie", befindet Rötzer. Unter der Peripherie versteht man jene Zone, bestehend aus einem kunterbunten Durcheinander von Wohnsiedlungen, Industriebetrieben, Brachland, Gewerbeparks, Einkaufszentren, Einfamilienhäusern und landwirtschaftlich genutzten Flächen, die in der aktuellen städtebaulichen Diskussion als „sub-urban" bezeichnet wird. Oft ohne Planung entstanden, ist die Peripherie wenig kompakt. Als „zerbröckelt und zerstückelt" charakterisiert sie Joost Meuwissen, Professor für Städtebau an der Technischen Universität Graz (siehe Interview Seite 14).

In den Augen des österreichischen Städtebau-Experten Dietmar Steiner, Leiter des Architektur Zentrums Wien, handelt es sich schon bei großen Regionen Europas um derartige suburbane Zonen. Er verweist auf das bananenförmige Gebiet, das von Nordengland über das Ruhrgebiet, die Rhein-Main-Region, Baden-Württemberg, Vorarlberg und die Schweiz bis Turin reicht. „Seit 1945 lebt die Mehrheit der europäischen Bevölkerung in der Peripherie und nicht in der Stadt" sagt Steiner.

Florian Rötzer betrachtet die meisten Städte nur noch als baulich verdichtete Inseln in der überall wuchernden Peripherie. Der französische Philiosoph Paul Virilio, der sich vor allem mit dem Einfluß der Technologie auf den Menschen beschäftigt, hat gar vorausgesagt, daß die traditionelle Stadt einer grenzenlosen Peripherie weichen werde.

Die Gründe für diese Entwicklungen reichen bis ins vorige Jahrhundert zurück.

(Fortsetzung Seite 14)

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