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Domplatz oder Geschäftszentrum?

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Die „österreichische Furche“ hat in ihrer Nummer vom 7. Jänner dieses Jahres gefordert, daß die mit der baulichen Neugestaltung des Wiener Stephansplatzes befaßten Stellen ihren Absichten und Plänen ein größeres Maß an Publizität verleihen mögen. Insbesondere wurde darauf hingewiesen, daß die Projekte für den Neubau des Philipp-Haas-Hauses — der das Gesamtbild des Platzes entscheidend bestimmen wird — ob ihrer Wichtigkeit zur öffentlichen Diskussion gestellt weiden müßten. Diese Ausführungen riefen Zustimmung von selten unserer Leser und Proteste der zuständigen Stellen hervor, welch letztere allerdings durch inzwischen eingetretene Ereignisse und Entscheidungen einigermaßen überholt wurden.

Das Projekt des Architekten Appel gilt nunmehr offiziell als maßgebend; es bedarf lediglich noch der Zustimmung des die denkmalpflegerischen Belange vertretenden Fachbeirates im Stadtbauamt, der allerdings nur das Recht des Einspruchs besitzt. Ob dieses Projekt des ungeteilten Beifalls der Öffentlichkeit sicher sein darf, bleibe dahingestellt; es sieht einen gegenüber dem ehemaligen Bau bedeutend in die Höhe gerückten Geschäftspalast vor, der dem Platzbild, möglicherweise zuungunsten des Domes, einen sehr dominierenden Punkt einfügen wird. Die Meinung auch der Nicht-fachleute über diesen Plan einzuholen, wäre wichtig und von Nutzen, weshalb wir sehr hoffen, daß die derzeit in einem Sitzungssaal des Rathauses gezeigten Pläne doch noch dem Publikum allgemein zugänglich gemacht werden. An Platz dürfte es fn dem Siesengebäude des Neuen Rathauses nicht fehlen.

Die „österreichische Furche“, deren Mahnung zur öffentlichen Klarstellung und Diskussion dieses Falles nicht erfolglos geblieben ist, wird den Problemen der Stephans-platzgestaltung in Ihren Spalten weiter Raum geben.

Nachstehend hat ein bekannter Wiener Architekt, dessen Mitspracherecht durch einen Preis bei dem ersten Stephansplatzwettbewerb genügend legitimiert sein dürfte, das Wort. „Die österreichische Furche dem Problem Stephansplatz beschäftigten, und es is.t naturgemäß ungemein schwierig, sie alle unter einen Hut zu bringen. Dennoch können gewisse Voraussetzungen als gegeben angenommen und als Grundlage für die künstlerische Gestaltung verwendet werden. Diese Voraussetzungen sind die bestehenden Straßenlinien Rotenturmstraße — Kärntnerstraße und Graben — Singerstraße, die erhalten gebliebenen Platzteile vom Erzbischöflichen Palais über die Schulerstraße und Churhausgasse zum Churhaus, d e r D o m selbst und der Umstand, daß dieser ein gotisches Bauwerk ist. Dieser Bestand, der als unabänderlich zu betrachten ist, soll durch die Verbauung der Westseite des Platzes seine Ergänzung und Vervollständigung erhalten.

Ein gotisches Bauwerk fordert erfahrungsgemäß eine enge Verbauung. Das ist eine grundsätzliche Erkenntnis. Jede Erweiterung des Platzes würde die wuchtige Wirkung der Gotik vermindern. Die vorhandene Baulinie von der Rotenturmstraße über den Rothberger-Block zur Goldschmiedgasse darf daher keinesfalls verlegt werden.

Für die Gestaltung dieser Platzwand gibt es im wesentlichen drei Möglichkeiten. Die einfachste Lösung wäre die Wiederherstellung der von Van der Null und Siccardsburg seinerzeit geschaffenen Fassade mit der Abrundung und der Durchführung der Goldschmiedgasse, wobei das Singer-Haus ebenfalls unverändert bleiben würde. Diese Gestaltung war gut, ist den Wienern seit Jahrhunderten zur Gewohnheit geworden und entbindet Künstlerschaft, Kirche und Behörden der Verantwortung für die Durchführung eines neuen Projekts.

Nach einer anderen Lösung würde die Westseite des Platzes mit dem Churhaus einen bescheidenen, ruhigen Rahmen für den Dom bilden, der so als Mittelpunkt und Wahrzeichen der Stadt zu einer besonderen Wirkung käme. Dazu müßte die westliche Platzfront zur Kärntnerstraße vorgezogen werden, damit sie den Verkehr in diese lenkt und gegen den Graben mit einem scharfen Eck abschließt. Die Gebäude hätten in diesem Falle einheitlich die augenblickliche Höhe des Rothberger-Blocks zu erhalten. Die Goldschmiedgasse wäre zu überbauen, das Singer-Haus abzutragen und dii wenig repräsentative Kuppel des Equi-tablepalais zu entfernen.

Eine dritte Möglichkeit wäre schließlich die, aus der Straßenkreuzung Graben— Kärntnerstraße einen Platz zu gestalten, der vom Equitablepalais-, dessen Kuppel erhalten bliebe, einem Haas-Haus, das als moderner Geschäftsbau die anderen Gebäude um ein beträchtliches Stück überragt, und dem Singer-Haus umrahmt würde.

Grundsätzlich handelt es sich bei der Lösung des Problems darum, ob der Stephansplatz in Zukunft den bescheidenen Rahmen für den Dom bilden oder aber unter Entstehung eines eigenen Stock-im-Eisen-Platzes unmittelbar an ein modernes Geschäftszentrum anschließen soll, wodurch das kirchlich-kulturelle Moment vom rein weltlichen getrennt und dem Dom ein sachlich-nüchternes Gegengewicht entgegengestellt würde, das ihn notgedrungen in den Hintergrund drängen müßte. Die verschiedenen Auffassungen der einzelnen Künstler haben demnach in den unterschiedlichen Widmungsabsichten für den zur Debatte stehenden Teil des Platzes ihre Ursache.

Im wesentlichen geht es also gar nicht um diese oder jene architektonische Lösung, sondern einzig und allein um die Frage, ob der Stephansdom weiterhin das seine Umgebung überragende Wahrzeichen Wiens bilden oder ob er in den Schatten eines modernen Geschäftshochhauses gestellt werden soll. Ein derartiges Gebäude würde an sich ohne Zweifel auch eine Sehenswürdigkeit darstellen, doch ist es sehr fraglich, ob es angebracht ist, ihm die Wirkung eines der bedeutendsten Bauwerke der Welt zu opfern, das zudem ein österreichisches Nationalheiligtum darstellt.

Die Entscheidung „Domplatz oder Geschäftszentrum“, um die es letzten Endes geht, darf keinesfalls hinter verschlossenen Türen gefällt werden, sondern ist eine Angelegenheit, die alle Wiener angeht. Kein Gemeinderat, kein Stadtsenat, und schon gar nicht eine Einzelperson hat das Recht, die künftige Funktion des Platzes zu bestimmen. Die Fachleute lieferten die künstlerischen Unterlagen für beide Möglichkeiten, die Bevölkerung selbst soll nun wählen. Es geht dabei nicht nur um die Gestaltung des einen oder anderen Gebäudes, sondern darum, wie das Zentrum der Stadt in den nächsten Jahrhunderten aussehen wird, und welche Aufgabe dem Stephansplatz in Zukunft zufallen soll. Möge die Entscheidung so gefällt werden, daß künftige Generationen damit zufrieden sind!

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