6690661-1962_36_14.jpg
Digital In Arbeit

EIN GROSSER BAROCKBAUMEISTER

Werbung
Werbung
Werbung

Die Kunstgeschichte kennt zahlreiche Fälle, in welchen von Künstlerfamilien eine Reihe von Künstlern auf ein und demselben Gebiet hervorgebracht wurde. In der Barockbaukunst sei hier ein solcher Fall angeführt, wo in einer Familie gleich fünf Künstler in zwei Generationen (im Zeitraum von 1720 bis 1780) aufscheinen, die M u n g e n a s t. Zwei Brüder erlernten das Maurerhandwerk und gaben dies an drei Söhne weiter. Alle fünf, die beiden Väter und die drei Söhne, brachten es vom einfachen Handwerk des „Murarius“ bis zur selbständigen künstlerischen Formgebung und Ausführung des „Paumeisters“.

Aus der Reihe der Mungenast verdient aber Josef Munggenast (1680 bis 174'l) künstlerisch gesehen wohl das größte Interesse. Dies vielleicht weniger wegen seines berühmten Lehrmeisters Jakob Prandtauer als vielmehr wegen seiner monumentalen Kunstwerke, die er in Niederösterreich geschaffen hat. Diese Darstellung möge daher das Leben und Lebenswerk des zu Unrecht so wenig bekannten Barockbaumeisters umreißen und seine Beziehungen zu Prandtauer, dem „Schöpfer von Melk“, historisch erläutern.

Josef Munggenast wurde am 5. März 1680 als ältester Sohn der mäßig begüterten Tiroler Familie Severin und Juliane Munggenast, geborene Wolf, in Schnann im Stanzer Tal geboren. Seine Jugend und Lehrzeit liegt völlig im historischen Dunkel. Da sein jüngerer Bruder Christian nach dem Tode des Vaters im Jahre 1712 den väterlichen Grundbesitz übernahm, dürfte der damals 32jährige Josef schon lange vorher in der Lehre und auf der Walz gewesen sein. Außer Josef und Christian scheinen noch als Geschwister die beiden Schwestern Katharina und Juliane auf, die beide in Schnann ehelichten, und die beiden Brüder Matthias und Sigismund. Sigismund, Josefs jüngster Bruder, 1694 geboren, wandert wie so viele andere Tiroler nach Luxemburg aus und läßt sich 1728 in Echternach als Abteibaumeister nieder. Sein heute noch erhaltenes größtes Werk ist die Orangerie von Echternach. Sein Sohn Paul Mongenast bringt große architektonische Leistungen hervor, darunter, neben vielen Kirchen, den Parkpavillon von Echternach und dös Prunkschloß der Abtei von Echternach in Weilerbach. Paul Mongenast wird in der Luxemburger Kunstgeschichte als der größte Barockbaumeister Luxemburgs im 18. Jahrhundert bezeichnet.

Uber die Gesellenzeit von Josef Munggenast weiß man sehr wenig. Man nimmt an, daß er bei jener Schar junger Baugesellen gewesen sei, die der Innsbrucker Baumeister Alexander Christiani 1698 nach Wien hatte kommen lassen, um das Palais des Prinzen Johann Adam von Liechtenstein zu errichten, das Martineiii entworfen hatte. Von dort aus hatte er 1712 die Polierstelle in Prandtauers Kirchenbau auf dem Sonntagsberg angenommen. Prandtauer mußte sich deshalb um einen Bauführer umsehen, weil er, der den Sonntagsberger Bau seit 1706 selbst leitete, nun durch den Baubeginn der Abtei von-Melk zu sehr in Anspruch genommen wurde. Finanziell war die Polierzeit auf dem Sonntagsberg sehr günstig für Munggenast, so daß er nach fünf Jahren bereits imstande war, das Heinrich-Thoma-Haus im Klosterviertel von St. Pölten (heute Domgasse 8) zu erwerben. Am 5. März 1717 verlieh der Stadtrat von St. Pölten dem auf den Tag genau 37 Jahre alten Maurer Josef Munggenast das Bürger- und Meisterrecht, das dieser vom bürgerlichen Maurermeister Heinrich Thoma erworben hat. Seine erste urkundlich belegte selbständige Arbeit ist der Turmbau der Pfarrkirche in Göstling im Jahre 1717. Im gleichen Jahre dürfte Munggenast auch geheiratet haben, denn 1718 lassen der Meister und seine Gattin Maria Theresia ihr erstes Kind Anna Catharina im Dom zu St. Pölten taufen. Später folgen fünf weitere Kinder, 1720 Maria Elisabeth, 1721 Josef Mattin, 1724 Franz Karl, 1727 Maria Anna und 1729 Matthias, wie aus dem St.-Pöltner Domtaufbuch hervorgeht. Die Patenschaft über alle drei Söhne hat der St-Pöltner Bürger und Vergolder Martin Wibel übernommen.

Der älteste, Josef Martin Munggenast, studierte Theologie und war dann als Kooperator in Traismauer und später als Pfarrer in Thaya tätig. Franz Karl Munggenast setzte den Beruf des Vaters fort und fertigte zusammen mit dem Bildhauer Peter Widerin den St.-Pöltner Kalvarienberg an, einen heute noch erhaltenen Stadtplan von 6t. Pölten und 1747/48 den Melker Gartenpavillon. Im Jahre 1748 starb er, unverheiratet, im Alter von 24 Jahren. — Der jüngste Sohn, Matthias Munggenast, war beim Tode seines Vaters erst zwölf Jahre alt, erlernte später auch das M aurer hand werk. Sein künstlerisch größtes Werk ist wohl der 1767 ausgeführte Turm der Herzogenburger Stiftskirche.

Die Lebensarbeit Josef Munggenasts konzentriert sich zum größten Tei auf Kloster- und Kirchenbauten, was schon allein aus den Beschäftigungszeiten an dien einzelnen Werken gezeigt werden kann. Damit zählt Josef Munggenast zu den großen Stiftsbaumeistern des österreichischen Barocks. Seine ganze Meisterzeit hindurch beschäftigte ihn 23 Jahre lang der Stiftsneubau von Seitenstetten (1718 bis 1747). Elf Jahre war er mit Unterbrechungen (von 1722 bis 1724, 1729 bis 1733) im Stift Zwettl tätig, und zwar an der Gruftanlage der Stiftskirche, am Hochaltar und am Konventtrakt mit Bibliothek, 1725 bis 1733 arbeitete Munggenast am Stift Dürnstein. 1729 übernahm der 48jährige Meister die Turmausführung, überarbeitete Mathias Steindls Plan und gelangte zum Höhepunkt seiner künstlerischen Reife. Im Stift Herzogenburg arbeitete Josef Munggenast acht Jahre lang (1727 bis 1735) am Stiftsgebäude und am Hauptportal im Nordtrakt. Sein wohl größtes und einheitlichstes Werk, Stift Altenburg, begann er 1730, und es beanspruchte ihn bis zu seinem Tode. Von 1736 bis 1740 arbeitete er außerdem noch an Zubauten zum Stift Geras.

Will man das Lebenswerk Josef Munggenasts richtig sehen, so darf man nicht nur seine künstlerischen Werke betrachten. Neben den sakralen Bauarbeiten hatte Munggenast vor allem auch Profanbauten durchzuführen, wie die Höfe in Windigsteig und Herzogenburg (Meierhof des Stiftes), das Armenhaus in Strengberg, in St. Pölten die Häuser Wiener Straße 4, Riemerplatz 1, Rathausgasse 2 (Schuberthaus), das Schloßportal von Wasserburg und das Lusthäusohen in Pottenbrunn. Im Zuge der großen Straßenreformen unter Kaiser Josef I. und Karl IV. wurde Munggenast, der Bau- und Maurermeister aus St. Pölten, von der kaiserlichen Wegdeputation zur Bewältigung besonders schwieriger Bauaufgaben auf dem Gebiete des Brücken-, Straßen- und Wasserbaues eingesetzt. Die Zufriedenheit seiner Auftraggeber und Bauherren spiegelt sich in einem Brief des Wegbauleiters Graf Carl Ludwig Bartelotti von Partenfels wie im zunehmenden Wohlstand Munggenasts, der sich dadurch äußerte, daß der Meister 1733 sein Anwesen durch beträchtliche Zukaufe im Ledererviertel vergrößerte. 1740 weilte er noch in Strengberg, um den Baugrund für das Spital zu vermessen, und im - gleichen Jahre stattete er dem Stift Zwettl noch einen Besuch ab, wahrscheinlich schon als kranker Mensch, denn in seinem Todesjahr verließ er St. Pölten nicht mehr. Der Meister starb am 3. Mai 1741 im 62. Lebensjahr und wurde als wohlhabender Bürger mit halbem Geläute bestattet.

Die Persönlichkeit Munggenasts steht und fällt mit dem Namen Jakob Prandtauer. Dies vielleicht weniger, weil Munggenast mit Prandtauer verwandt war, als vielmehr deshalb, weil Munggenast durch seine Arbeit bei dem Schöpfer von Melk zuerst als Polier und dann als Mitmeister lernte und so durch ihn jene Grundideen und Anregungen erhielt, die er später selbständig in seinen eigenen Werken verwirklichte. Verwandtschaftlich war Munggenast ein Neffe Prandtauers, wie aus dem Kontraktnachsatz des Melker Baujournals hervorgeht, wo Munggenast selbst bezeugt, daß er bei seinem Onkel Jakob Prandtauer „anfangs seiner Jugent als Maurermeister affiner gestanden und viel erlernet habe“.

Künstlerisch war Munggenast von 1712 bis 1717 als Polier und ab 1717 als Mitmeister gänzlich ein gelehriger und strebsamer Schüler des genialen Meisters. Er wurde in die Arbeit eines Baumeisters und Architekten eingeführt und erkannte schon kurze Zeit nach seiner Meisterwerdung, daß er im zwingenden und undankbaren Schatten seines Genius stehen und stets nur ausführende Hand des gefeierten Onkels bleiben würde, würde er sich nicht aus seinem Bannkreis lösen. Dieser künstlerische Existenzgrund mag Josef Munggenast bewogen haben, aus dem Arbeitsbereich und aus der Befürwortung des Onkels herauszutreten und sich auf eigene Füße zu stellen. Historisch äußert sich dies, daß nur selten von einem Zusammentreffen der beiden Meister berichtet wird. 1722 trafen einander beide im Stift Zwettl, und ein Jahr später wurden beide „Paumeister“ als Trauzeugen bei der Eheschließung von Josef. Mussabethin genannt.

Wenn auch sicher die verwandtschaftlichen Beziehungen dazu geführt haben, daß Prandtauer seinem Neffen 1712 eine so wichtige Führung wie die des Baues der Kirche auf dem Sonntagsberg überließ, so hat ganz sicher nur das Vertrauen Prandt-auers in die künstlerischen Fähigkeiten Munggenasts dazu geführt, daß Josef Munggenast die großen Werke Prandtauers nach dessen Tode vollenden durfte, wie zum Beispiel Stift Melk und Stift Herzogenburg. Im allgemeinen sieht man in Josef Munggenast den zwar tüchtigen, doch viel weniger begabten Nacheiferer des großen Lehrers, eben den „Prandtauer-Schüler“. Indessen wird die künstlerische Abhängigkeit Munggenasts von Prandt-auer weit überschätzt. Es bedeutet im Grunde genommen wenig, wenn Munggenast sich architektonische Gebilde Prandtauers zum Muster für seine Arbeiten nimmt: denn er übernimmt stets nur die Leitgedanken, „was darnach Form wird, spricht seine Sprache und ist neuartig und voller Ursprünglichkeit“, schreibt Gerhard Wagner zur künstlerischen Herkunft Munggenasts 1940 in seinen kunstgeschichtlichen Darlegungen.

T\ ie künstlerische Gestaltung Josef Munggenasts äußert sich in der Formenstrenge, den klaren Verhältnissen zwischen den Formelementen (zum Beispiel den ausgeschiedenen Ecksäulen) und in der schlichten Einfachheit hn einzelnen. Er erkennt als Prinzip nur die Fläche, die zusammengeklammert erst den Raum ergibt, den er als Stellung von Flächen zueinander sieht. Wie Pozzo aus Italien, Prandtauer von Beduzzi, Carlone und Fischer von Erlach, so nimmt sich Munggenast von Prandtauer die Grundideen und umkleidet diese mit ökonomischer Maßhaltigkeit mit den schlichten Elementen seiner barocken Vorstellungswelt. Damit wird er in seinen größten Werken, wie Stift Altenburg, Seitenstetten, Zwettl, Dürnstein oder Geras, vom gewöhnlichen Maurermeister zum großen Barockbaumeister. Sei es Dürnstein, dessen Turm in seiner Landschaft zu den schönsten Barocktürmen der Welt zählt, Stift Altenburg, in dessen Harmonie sich Bauwerk und Natur die Hände reichen, oder andere Großleistungen dieses schlichten „Pau- und Maurermeisters“, wie er sich immer unterschrieb. Er verfolgte mit künstlerischer Konsequenz die Gestaltung einfacher Elemente zu einem Vielklang aus Begriffen, wie Schönheit, Größe, Freude, Demut, Ernst und Würde, als ein sichtbares und beinahe hörbares Gloria dem Bewohner seiner Kirchen. Ob es nun gerade eine Brücke oder ein Kirchturm, ein Krankenhaus oder eine Kaiserstiege, eine Kapelle oder ein Stiftstrakt war, er blieb bei jeder Arbeit und jeder Formgebung der schlichte Maurermeister, der je nach technischer Notwendigkeit oder künstlerischer Erwägung, seinen „schlichten“ Vorstellungselementen Form gab, die wir in seinen Meisterwerken nur im Detail als schlicht, im gesamten aber als monumental und großartig bezeichnen müssen.

Was wir hier als Aneinanderreihung von Stiftsnamen und Jahreszahlen aufgeschrieben haben, ist für Josef Munggenast das steinerne Lebenswerk einer monumentalen Schöpfung, geformt zur Ehre Gottes und geschaffen zur Zufriedenheit des Bauherrn, für Österreich eine bleibende Zierde, für unsere Kultur ein wertvolles Stück österreichischen Barocks und für uns selbst ein sichtbarer Beweis der Leistung und der Genialität unserer Vorfahren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung