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Eine Idee wird Wirklichkeit

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Für die erfreuliche Tatsache, daß innerhalb von kaum dreieinhalb Jahren Bauzeit in Salzburg das größte Theater Österreichs entstand, das mit einem Fassungsraum von 2340 Personen alle Wiener Staatstheater übertrifft, darf man die Gründe nicht nur in der jahrzehntelangen provisorischen und unzureichenden Unterbringung der Salzburger Festspiele im zu kleinen und gegenüber neuen Theaterbauten in allem zurückgebliebenen alten Haus suchen, sondern man muß einen entscheidenden Anteil dem Gedanken Professor Clemens Holzmeisters zumessen, erstmalig eine Festspielbrei t-b ü h n e angeregt zu haben. Dieser jetzt erstmalig verwirklichte bühnentechnische Hauptgedanke, durch ein System von beweglichen Vorbühnenlamellen in Verbindung mit zwei Portaltürmen ein veränderliches Bühnenportal schaffen zu können, das von Festbühnenbreite mit einem BüRnenausschnitt von 30 X 9 m bis auf eine normale Breite von 14 X 9 m verkleinert werden kann, wird von Fachleuten als ideal bezeichnet. Ebenso ideal sind die Möglichkeit der Verwendung als dreiteilige Simultanbühne und die Anordnung von Vorbühnenzonen.

Der Plan Prof. Holzmeisters bestach weiter auch vor allem durch die Idee, das neue Festspielhaus unmittelbar anschließend an das alte Gebäude, unter Einbeziehung des historischen Marstallkomplexes, zu errichten. Dadurch wurde eine einmalige Geschlossenheit des Festspielbezirkes bei fast unverändertem altem Stadtbild erreicht. Gewiß, es gab trotzdem Debatten, wie zum Beispiel, ob der notwendige Ausbau von Dachgeschoßräumen eine Giebel- oder Attika-form aufweisen sollte, aber in sachlich bemühter Zusammenarbeit konnten diese Fragen gelöst werden.

Die sonstigen Vorzüge des Projektes waren jedoch so offensichtlich, daß der Ministerrat vom 24. Jänner 1956 den Bau des Salzburger Festspielhauses beschloß. Als Kostenträger beteiligten sich die Republik Österreich, Land und Stadt Salzburg und der Fremdenverkehrsförderungsfonds des Landes Salzburg. Die Baudurchführung erhielt das zuständige Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau übertragen, das durch seine nachgeordnete Dienststelle, die Bundesgebäudeverwaltung I, Wien, ein Bauleitungsteam entsenden konnte, das sich eben bei der Vollendung des Wiederaufbaues der Wiener Staatstheater bewährt hatte.

In weiterer Ausarbeitung der Grundidee und zur Erlangung endgültiger Pläne war die Heranziehung von Experten jeder Richtung notwendig. So nahmen Akustiker zum Beispiel Einfluß auf die Gestaltung des Profils des Zuschauerraumes, in Bühnentechnik erfahrene Fachleute lösten die Probleme der horizontalen Lastbewegung bei den Szenenverwandlungen und die Ausrüstung der Hauptbühnenfläche mit den Hubpodien. In Zusammenarbeit der staatlichen Bauleitung mit dem Planverfasser, besonders auch mit dem Statiker, konnten so alle Einzelheiten festgelegt und in die Wirklichkeit umgesetzt werden.

Schließlich erhielt das Haus durch die Mitwirkung einer Anzahl bedeutender Künstler seine künstlerische Note. So wurde ein Theater geschaffen, das nicht nur alle zeitgemäßen bühnentechnischen Einrichtungen aufweist, sondern mit seiner variablen Bühne neue Probleme stellt, die anregend und beeinflussend auf künftige Inszenierungen und musikalisches Schaffen wirken werden.

Mit den Bauarbeiten selbst war im November 1956 nach Freimachung der alten Hofstall-Liegenschaft begonnen worden. Gleichzeitig wurden vom November 1956 bis Juli 1957 die Felsabbrucharbeiten durchgeführt. Als erstes wurde dann von Mitte 1957 bis zum Beginn der Festspielsaison 1958 der am dringendsten benötigte Werkstättentrakt mit Tischlerei, Kulissendepot und Malersaal errichtet. Nach der Festspielsaison 1957 begann der komplizierte Stahlbetonbau des großen Bühnenhauses, dessen Dachgleiche im Juli 1958 erreicht wurde. Von der einmaligen komplizierten und schwierigen Konstruktion möge eine Aufnahme des großen Windverbandträgers aus Stahlbeton eine Vorstellung geben. (Siehe S. 17.)

Der Bau des Zuschauerhauses wurde im Jänner 1958 begonnen. Im Oktober 1958 war die Dachgleiche erreicht. Zu den Festspielen 1959 stand die Straßenfassade wieder in ihrer ursprünglichen Form da. Die übrigen Baukörper, in denen sich Künstlergarderoben, Personal- und Verwaltungsräume befinden, wurden 1958 begonnen. Teile hiervon, und zwar die Künstlergarderoben, konnten schon zur Festspielsaison 1959 benützt werden.

Ab 2. Mai 1960 wurde termingemäß das fertige Haus für den Probenbetrieb zur Verfügung gestellt. Die Vorstellung von der Größe und dem Umfang der geleisteten Arbeiten möge noch durch einige wichtige technische Daten veranschaulicht werden:

Die Grundfläche des Bauplatzes beträgt rund 7600 Quadratmeter. An der 70 Meter hohen Mönchsbergwand wurden nach 125 Sprengungen mehr als 5 5.000 Kubikmeter Konglomeratstein abgebaut. Die Höhe der Mauerkante des Bühnenhauses über dem Straßenniveau beträgt 40 Meter. Das Bühnenhaus mit der Unterbühnenwanne umfaßt 7 2.0 00 Kubikmeter umbauten Raum. Zuschauerhaus mit Foyer und Nebenräumen 52.000 Kubikmeter, Werkstättentrakt mit Malersaal, Kulissendepot und linker Seitenbühne 22.000 Kubikmeter, Künstlergarderobentrakt 8000 Kubikmeter, Personaltrakt mit rechter Seitenbühne 10.000 Kubikmeter, D i-rektionstrakt und Nebenbühne 10.000 Kubikmeter und Pausensäle für Raucher und Nichtraucher 11.000 Kubikmeter, zusammen 18 5.0 00 Kubikmeter umbauter Raum. Die Baukosten belaufen sich insgesamt auf 208 Millionen Schilling. Der Anteil der Kosten der bühnen- und maschinentechnischen Ausstattung beträgt hiervon rund 72 Millionen.

Neben den eigentlichen, dem Publikum zugänglichen Räumen des Zuschauerhauses, die im wesentlichen aus der großen Eingangshalle im Erdgeschoß, dem großen Zuschauerraum, dem Rang mit dem hinter diesem liegenden Foyer mit zwei Logensalons sowie zwei großen Pausensälen bestehen, sind noch entsprechend den funktionellen Zusammenhängen zwei Probebühnen, eine ausreichende Anzahl von Probezimmern und -sälen für Solisten, Chor und Ballett, mit allen erforderlichen Nebenräumen und Magazinen, ein Kulissenaufzug, fünf kombinierte Lasten- und Personalaufzüge und ein Publikumsaufzug vorhanden. Selbstverständlich ist für sonstige technische Räume und auch für ausreichende Treppenanlagen vorgesorgt.

Im Zuschauerraum sind im Parterre und in den sieben Parterrelogen ansteigend 1360 Plätze, im Rang und den sechs Ranglogen 798, somit zusammen 2158 Sitzplätze vorgesehen. Dieser normale Fassungsraum kann bei Sprechstücken durch Hochfahren der vier Orchesterpodien um 182 Sitze erweitert werden, so daß der maximale Fassungsraum 2340 Sitzplätze beträgt. Die Entfernung der letzten und höchsten Rangsitzreihe von der Bühnengruppe beträgt 35 Meter, gegenüber 47 Meter im alten Haus, und stellt somit eine wesentliche Verbesserung da.

Der zur Sicherheit: des Publikums und des Hauses vorgeschriebene eiserne Vorhang (Kurtine) mußte nach der größten Bühnenöffnung bemessen werden. Fischbauchförmig konstruiert, in der Mitte rund ein Meter stark, beträgt sein Ausmaß 35 X 10 Meter bei 38 Tonnen Gewicht. Er wird elektrisch angetrieben, ebenso wie die beiden eisernen Hubtore, die die beiden Seitenbühnen von der Hauptbühne feuersicher trennen können. Der eiserne Vorhang, der im übrigen dem Zuschauer sein wahres Material zeigt, nur durch verschiedene Schlifftechnik belebt, trennt die Hauptbühne mit ihrer 1600 Quadratmeter großen Grundfläche vom Zuschauerhaus. Auf ihr erfolgen die Verwandlungen auf horizontaler Ebene mittels 19 Büh-nenhilfswagen zu je 6X3 Meter und auf zwei Seitenbühnen von je 200 Quadratmetern. Für szenische Effekte sind fünf elektrisch betriebene, drei Meter über oder unter Bühnenniveau verfahrbare Bühnenhub-p o d i e n von 18X3 Meter Größe vorhanden. Bei großer Portalöffnung reicht ihre Länge von 18 Meter nicht aus, sie können daher auf jeder Seite durch kleinere Podien (3X3 Meter) auf 24 Meter verlängert werden.

Um die Bühnenbilder nach hinten abschließen zu können, stehen zwei Leinen-Rundhorizonte, einer für 14 Meter und ein zweiter für die große Portalöffnung mit 30 Meter Breite, zur Verfügung.

Die obeire Bühnenmaschinerie besteht aus 77 Prospektzügen von 18 Meter Länge und vier zusätzlichen Panoramazügen. Ein Teil der Prospektzüge kann ebenfalls verlängert werden, um den Bedürfnissen der Breitbühne zu entsprechen. Es ist selbstverständlich, daß eine ausreichende Zahl Beleuchter- und Portalbrücken sowie die notwendigen Arbeitsgalerien vorgesehen sind.

Die Bühneneffektbeleuchtung arbeitet nach dem Magnetverstärkersystem und umfaßt 300 mittelbare Stromkreise. Eine Speicheranlage erlaubt vier Lichteinstellungen zu speichern, womit lichttechnisch schnelle Verwandlungen jederzeit möglich sind.

Nicht vergessen sei die Einrichtung einer elektroakustischen Anlage, die es unter anderem auch gestattet, Geräusche stereophonisch in das Bühnengeschehen einzublenden.

Erwähnenswert ist noch, daß die Wärmeversorgung durch das Salzburger Fernheizwerk erfolgt, daß ferner das Gebäude eine Winterheizung besitzt und somit auch außerhalb der Festspielsaison benutzbar ist. Die Publikumsräume sind voll klimatisiert, die Bühne und die übrigen Räume besitzen die notwendigen Lüftungsanlagen und sind zentral beheizt.

Im Rahmen dieses gedrängten Aufsatzes ist es nicht möglich, noch weitere Einzelheiten zu bringen oder den tatsächlichen Eindruck des neuen Festspielhauses wiederzugeben. Wer aber kommen wird, um selbst zu sehen und zu urteilen, wird schon beim Eintritt in die Eingangshalle mit Salzburger Marmorböden und Pfeilern aus ortsüblichem Konglomeratgestein, wie es aus der Mönchsbergwand gesprengt wurde, echte heimische Bautradition vorfinden. In der vornehmen Haltung des Zuschauerraumes, wo die Farben des Gestühls in verhaltenem Königspurpur mit dem in flammendem Rot-in-Rot getönten Vorhang zu dem gleißenden Silbergrau der eisernen Kurtine, den sattbraunen seitlichen Hplzwänden und zu den Farben der Decke in einmaliger künstlerischer Harmonie stehen, findet der Besucher eine Bestätigung für die künstlerischen Begabungen Österreichs, die sich damit wieder einmal vor aller Welt manifestieren.

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