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Eine Lanze für die letzte Bastei

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Seit einiger Zeit hängt in der Nähe des Gartenbaukinos, dort, wo einst der Eingang zu den Tennisplätzen war, eine Tafel: „Betreten des Baugrundes verboten!“ Und daneben eine andere, die den Namen zweier Baufirmen nennt, die hier bauen sollen.

Tatsächlich aber wird nicht gebaut. Hinter dem Drahtgitter stehen ein paar kahle Bäume in den Winterhimmel und dahinter erhebt sich, in erhöhter Position, das Palais Koburg. So wird man auf ein Stück von Wien aufmerksam, das bisher beinahe ganz im Verborgenen lag. Und man wünscht sich, daß hier noch lange nicht gebaut wird. Am besten nie. Denn hier sollte ein Park sein, ein innerer Stadtpark — auf keinen Fall ein Bürohochhaus.

Schon seit langem besteht der Plan, daß das Gartenbaukino, das der „Kiba" gehört, ver- schwinden soll. Aber nicht etwa, um hier am Parkring Raum für einen Park zu schaffen, sondern um zwei Hochhäusern zu weichen. An der Stelle, wo jetzt das Kino liegt, ist eine Straße projektiert, die senkrecht auf das Palais Koburg zuführen soll. Eine zweite Straße soll, parallel zur Seilerstätte, von der Schellinggasse zur Stubenbastei geführt werden. In der Fläche, die durch die auf diese Art verlängerte Stubenbastei sowie durch Weihburggasse, Parkring und Liebenberggasse begrenzt wird, soll gebaut werden: und zwar sollen in der linken Hälfte der durch die an Stelle des jetzigen Kinos geplanten Straße zweigeteilten Gartenbaugründe die Verwaltungszentrale der Alpine Montan AG. und auf der anderen Seite ein neues Großkino der „Kiba" in Verbindung mit einem Wohnblock entstehen. Außerdem bestand der Plan, hier noch ein Bürohochhaus der Donaukraftwerke AG. unterzubringen.

Bisher war man allgemein der Ansicht, daß auf den „Gartenbaugründen" nicht gebaut werden dürfte, zumindest nicht über die Höhe des jetzigen Gartenbaukinos hinaus. Zugunsten des Palais Koburg ist nämlich eine Aussichtsservitut intabuliert, die den Sinn hat, dem Palais die Aussicht auf den Stadtpark zu erhalten. Als man daher zum ersten Male von Bauplänen auf den Gartenbaugründen hörte, zweifelte man, wie sich diese mit der bestehenden Servitut würden 'vereinbaren lassen. Nun ergab sich aber, daß die Servitut nicht eine absolute Höhenbeschränkung der etwa auf den Gartenbaugründen zu errichtenden Gebäude vorsah, sondern nur eine Beschränkung der Stockwerkzahl. So kam es, daß die juridischen Schwierigkeiten, die den Bauplänen zunächst entgegenstanden, überwunden werden konnten und bei der Bauverhandlung die Baugenehmigung erteilt wurde. Auch die Vertreter des Bundesdenkmalamtes, denen der Schutz der letzten Reste der hier gelegenen Jakober- oder Braunbastei oblag (auf unserer Skizze die schraffierte Fläche), erhoben leider gegen die Verbauung keinen Einwand, da ihnen die noch vorhandenen Ueberreste nicht wesentlich genug erschienen! Ja, sogar der Plan, in die alten Basteireste, auf denen das Palais

Koburg steht, Geschäfts lokale einzubauen (die dann an der fortgesetzten Stubenbastei gelegen wären) besteht noch immer.

Wenn diese Bauvorhaben bisher noch nicht verwirklicht wurden, ist dies einem anderen Umstand zu danken. An der Weihburggasse haben sich eine Reihe von Firmen etabliert, die sich nicht einfach kündigen lassen wollten. Die Rechtslage dieser Mieter ist insoferne eine besondere, als sie auf . dem gemieteten Grund aus eigenen Mitteln Bauten (eben ihre Geschäftslokale) errichtet haben. Eine eingehende Erörterung dieser Streitigkeiten, die übrigens juridisch hochinteressant sind und sowohl beim Verwaltungs- wie auch beim Verfassungsgerichtshof anhängig gemacht wurden, müssen wir uns hier versagen. Auf jeden Fall kann als vorläufiges Ergebnis der Streitigkeiten die Nachricht notiert werden, daß sich die Donaukraftwerke AG. entschlossen haben sollen, ein Baugelände an der Peripherie zu suchen und darauf zu verzichten, hier ein Hochhaus zu errichten.

Diese Nachricht scheint uns bedeutsam, weil sie einen Ausweg andeutet: es ist nicht unbedingt erforderlich, daß alle Bürohochhäuser am Ring gebaut werden. Anderswo — etwa im angrenzenden 3. Bezirk — ist auch noch Platz für sie: und dort könnten sie stehen, ohne störend zu wirken. Eine Lösung läßt sich finden, wąpn man nur will; — wenn man das G e- m_e i n w o h 1 will und nicht Grundspekulation. Die Gartenbaugründe gehören heute zu den teuersten in Wien. Sollte sich aber nicht trotzdem ein Weg finden lassen, sie dem Gemeinwohl nutzbar zu machen?

Das Bürohochhaus der Alpine Montan AG. soll, wie man hört, nach den Plänen der Architektengemeinschaft Carl Appel-Erich Boltenstern errichtet werden. Auf Architekt Appels Konto gehen das Haas-Haus am Stephansplatz und an der Ringstraße zwei eben fertiggestellte Bauwerke, der neue' Heinrichshof und das Steyr- Gebäude, Bauwerke, die etliche architektonische Sünden in sich vereinigen. Es sind Bauten ohne Stilgesinnung, die in pseudomoderner Manier Marmor und Glas, Prunk und Funktion zu verbinden suchen.

Wir hoffen, daß sich auch für die Verwaltungszentrale der Alpine Montan ein anderer, lagemäßig entsprechender Platz wird finden lassen.

Denn hier, auf den Gartenbaugründen, sollte, wir sagten es schon, ein innerer Stadtpark liegen. Schon der Name der Gründe scheint dies zu verlangen; noch mehr aber verlangt es die städtebauliche Lage des Areals. Wir könnten uns diesen inneren Stadtpark unter Umständen auch durch eine in bescheidenen Maßen gehaltene Randverbauung eingefaßt vorstellen, die die Grünanlage nur zum Parkring hin offenlassen würde. In dieser Randverbauung ließen sich auch Geschäftslokale unterbringen.

Es gilt die letzten Reste der alten Bastei zu erhalten! Wien besitzt außer der Mölkerbastei gegenüber der Universität, die durch ihre Lage leider nur wenig zur Geltung kommt, keine Reste der alten Bastei mehr — außer dem, was von der Jakoberbastei vor dem Palais Koburg erhalten ist und bisher für die Oeffentlichkeit unsichtbar war. Die Bastei, ein Stück altes Wien, darf nicht völlig verschwinden!

Die bisherige Situation ist mehr als unbefriedigend. Sie wurde aber stets nur als Provisorium empfunden. Soll sie deshalb durch eine noch unbefriedigendere ersetzt werden, die von Dauer ist?

Heuer im Dezember werden es hundert Jahre, daß Kaiser Franz Joseph die Schleifung der Bastei anordnete, um einem städtebaulichen Bedürfnis, der Ausdehnung Wiens und der Verschmelzung der Altstadt mit den Vorstädten, gerecht zu werden. In einem kaiserlichen Handschreiben hieß es: „Es ist mein Wille, daß die Erweiterung der Inneren Stadt mit Rücksicht auf eine entsprechende Verbindung derselben mit den Vorstädten ehemöglichst in Angriff genommen und zugleich auch auf eine Verschönerung meiner Residenz- und Reichshauptstadt Bedacht genommen werde. Zu diesem Ende bewillige Ich die Auflassung der Umwallung der Inneren Stadt sowie der Gräbeh um dieselbe.“

Bis zu diesem Zeitpunkt war die Altstadt durch das mit Bäumen und Rasenflächen bedeckte Glacis und die Bastei von den ländlichen Vorstädten getrennt. Vom Glacis führten Brücken über den mit Pappeln bepflanzten Stadtgraben zu den zwölf Toren der Stadt. Das Bild auf dieser Seite, die Wiedergabe eines Photos aus dem Jahre 1858, zeigt die damalige

Situation: Stubentor, Braun- oder Jakoberbastei und Palais Koburg. Es zeigt auch, wie großartig sich gerade hier eine Parkanlage ausnimmt.

Das Palais Koburg, an der Seilerstätte auf der Bastei in den Jahren 1843 bis 1847 nach dem Entwürfe des Architekten Karl Schleps unter Verwendung alter Gebäude und Basteiteile erbaut, kann sich gewiß nicht mit dem Trautson- palais Fischers von Erlach messen. Aber auch hier ist die Gartenfassade (in klassizistischem Stile, nach Dehio „mit schwächlicher Säulenordnung, bezeichnet 1864") die bestimmende Hausfront. Und auch hier ist es nicht nur die Rücksichtnahme auf die Anlage eines alten Palais, sondern vor allem eine städtebauliche Notwendigkeit, wenn wir die Schaffung eines Parks fordern, der in diesem Falle überdies noch die Reste der letzten Bastei in entsprechender Form erhalten müßte. Denn soll in republikanischer Zeit der Wunsch des alten Kaisers, daß bei jeder Neuerung auf eine „Verschönerung“ der Stadt Bedacht genommen werden soll, keine Gültigkeit mehr haben? Ist diese selbstverständliche Forderung nicht gerade jetzt wieder durch die Empfehlungen des 23. Internationalen Städtebaukongresses, der im vergangenen Sommer in Wien tagte, besonders aktuell geworden? Dies war ja der Tenor der Empfehlungen des Kongresses: Im Mittelpunkt der Stadtplanung muß der Mensch stehen. Auf seine Bedürfnisse ist Rücksicht zu nehmen. Seine seelische und körperliche Gesundheit, die durch

Lärm, Hast, Luft der Großstadt und oft auch Enge der Wohnungen vielfach gefährdet ist, gilt es zu retten. Großstädte sind meist krank. Alles ist zu unterlassen, was zu weiteren Komplikationen (des Verkehrs, der Bauverhältnisse und so weiter) im Inneren der Stadt führen muß.

Aber was nützen uns die besten Kongresse, wenn ihre Empfehlungen nicht Praxis werden? Wenn nicht hier und jetzt ein Beispiel gegeben wird: wir haben endlich verstanden, um was es geht? Wenn von den für eine weitere Verbauung des Stadtkerns zuständigen Stellen nicht auch wirkliche Verantwortung gezeigt wird? Ist es wirklich so schwer, der vernünftigen Lösung, der Neuschaffung von Grünflächen im Stadtkern, zum Durchbruch zu verhelfen?

Nahe dem Zentrum Wiens liegen die Gartenbaugründe. Es besteht die Gefahr, daß sie verbaut werden. Es besteht die Möglichkeit, daß hier ein Park geschaffen wird. Hier sollen keine Hochhäuser stehen. „Hier sollen Rosen blühen“, wird jeder, der dieses Stück von Wien kennt, mit dem Dichter Jens Peter Jacobsen sagen. Rosen für uns alle.

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