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Einmal Liebenauer, immer Liebenauer

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„Autoritäre Zunft" nennen zwei angehende Architekten die Städtebauer und fordern: Weg vom Zeichenbrett, hinaus zu den Bürgern!

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„Autoritäre Zunft" nennen zwei angehende Architekten die Städtebauer und fordern: Weg vom Zeichenbrett, hinaus zu den Bürgern!

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Ausfallstraßen, Wohnsiedlungen, Gewerbebetriebe: Die Grazer Bezirke Puntigam und Liebenau sind typische suburbane Zonen. Am Band der Stadt gelegen, sind sie in den letzten Jahrzehnten unkontrolliert gewuchert. Landwirtschaftlich genutzte Flächen, Einfamilienhäuser und Einkaufszentren finden sich hier in unmittelbarer Nachbarschaft. Der Fremde, der die Grenze zwischen diesen beiden Bezirken passiert, erkennt keinen Unterschied. Wohl aber derjenige der dort wohnt: „Ich bin ein Liebenauer" erklärt der Friseur Michael Posch mit Bestimmtheit, obwohl er schon seit zehn Jahren am Bande der Innenstadt wohnt.

„Die städtische Wahrnehmung der Bezirke basiert auf Mythen", hat der angehende Architekt Dieter Späth herausgefunden. Das Gefühl, diesem oder jenem Bezirk zuzugehören, habe kaum etwas mit räumlichen oder architektonischen Gegebenheiten zu tun. Das spiele sich ausschließlich in den Köpfen der Bewohner ab und habe zum Beispiel mit Kindheitserinnerungen zu tun.

Auf dieses für Architekten überraschende Ergebnis ist Späth zusammen mit Bernd Knaller-Vlay bei einem großangelegten Experiment namens „City-Joker" im Herbst letzten Jahres gestoßen. Die Aufarbeitung dessen ist dieser Tage Thema der Diplomprüfung der beiden Architekturstudenten am Institut für Städtebau der Technischen Universität Graz.

Späth und Knaller-Vlay zogen auf dem Stadtplan eine gerade Linie über die steirische Landeshauptstadt. Beginnend in Liebenau führte diese durch das Bathaus bis nach Andritz, einem suburbanen Bezirk im Norden von Graz. Im Bahmen des Steirischen Herbstes 1995 folgten „Forschungstrupps" dem auf der Karte vorgezeichneten Weg. Häuser, die auf der Linie lagen, mußten durchquert oder überstiegen werden. Einmal wurde zur Überwindung eines Häuserblocks sogar ein Baukran zu Hilfe genommen. Das Projekt „City-Joker" war damals auf ein breites, positives Medienecho gestoßen.

Beim Durchqueren von Gärten, Häusern und Wohnungen entstand Kommunikation - und nach Angaben Späths sogar Freundschaft - zwischen den City-Joker-Trupps und den Bewohnern der Objekte. „Für die Leute wurde viel mehr erzeugt, als durch den Bau eines neuen Radweges", sagt Späth. Durch die Aktion begannen sie, über ihre Häuser und die Stadt nachzudenken. Und sie hatten die Möglichkeit, mit Architekten darüber zu sprechen. Dies war wiederum für die aus Architekten bestehenden Trupps sehr lehrreich. Auf ihrer Expedition stießen sie in Gebiete vor, die auf ihren Lehrplänen nicht verzeichnet waren. Knaller-Vlay faßt zusammen: „Als wir mit dem City-Joker fertig waren, waren wir andere Architekten".

„Als Städtebauer wundert man sich oft, warum die Leute gewisse Bauprojekte nicht annehmen", sagt Späth. Nun weiß er: „Die Architekten müssen weg vom Schreibtisch, weg vom autoritären Blick." Die Bürger würden durch die Architekten, die den gesamten Bereich der Stadtplanung für sich vereinnahmt haben, bevormundet. „Städtebau heißt nicht nur, daß etwas gebaut wird", hat Späth erkannt. Oft genüge ein Gespräch bei Kaffee und Kuchen, um den Bewohnern das Gefühl zu geben, auf ihre Bedürfnisse einzugehen. Umgekehrt eröffneten sich dem Architekten in solchen Gesprächen, die die City-Joker-Trupps zur Genüge führten, auch die alltäglichen Probleme der Stadtbewohner: Vor allem die immer mangelhaftere Nahversorgung kam oft zur Sprache - Stichwort „ Greißlersterben ".

Um der Bevormundung des Bürgers durch den Architekten vorzubeugen, fordert Späth eine „nutzungsoffene und nachhaltige Planung". Das heißt, Bauten müßten so geplant sein, daß sie für verschiedene Nutzungen geeignet seien und „von den Bewohnern mit Bedeutungen aufgeladen" werden könnten. Späth schwärmt in diesem Zusammenhang von den Häuserblöcken aus der Gründerzeit, die sowohl für Wohnungen, als auch für Büros, als auch für kleine Betriebe geeignet seien.

Bei modernen Bauten sei dies aufgrund des Baumaterials Stahlbeton meist nicht der Fall. Doch Späth weiß auch um die Problematik seiner Forderung: „Nachhaltiges Bauen kostetl mehr", seufzt er. In Zeiten allgemeinen Sparens steht die Forderung nach Nachhaltigkeit jedoch auf schwachen Beinen...

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