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Fehlende Gelassenheit

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Das gehäufte Auftreten des Regriffes Zukunft in Zusammenhang mit der Stadtentwicklung macht stets vorsichtig. Gerade wenn er auf politischer Ebene gehandhabt wird, entsteht der irrige Eindruck, daß mit einem Kurswechsel eine rasche Veränderung zu erzielen wäre. In Wien verstärkt sich die Skepsis, wenn der Superlativ Großstadt hinzutritt. Wien hat seit der Entfestigung und der darauffolgenden Arrondierung der Ringstraßen- und Gürtelzone keine großstädtische Vision mehr entfaltet; höchstens die Regulierungen der Donau und des Wienflusses sind noch Eingriffe von dementsprechendem Format. Auch oftmalige Beschwörun-gen einer Großstadt, zuletzt anläßlich der mißglückten Weltausstellungskampagne „Brücken in die Zukunft”, reichen nicht aus, um sie Wirklichkeit werden zulassen.

Wien ist zweifellos groß, trotzdem entbehrt es in vielen Aspekten seiner gebauten Wirklichkeit des Metropo-litanen, des Großzügigen, des Abgeklärten, des Anonymen, aber auch der Härte und der Unübersichtlichkeit einer Großstadt. Viele Wiener wollen eine solche weitläufigere Stadt vielleicht gar nicht anstreben, weil angestammte Bilder bedroht wären. Wien wird aber immer wieder an Großstädten wie Berlin, London oder Paris gemessen und sollte sich auch auf einen interurbanen Wettbewerb mit allen Konsequenzen einlassen. Die Weichen für ein Groß-Wien könnten gestellt werden, die Kriterien einer solchen Ertüchtigung des Stadtkörpers sind seit langem bekannt.

Der Städtebau ist eine träge Disziplin, die einer erheblichen Reaktionszeit bedarf, um auf neue Anforderungen angemessen reagieren zu können. Ein urbanistisches Leitbild oder eine architektonische Doktrin muß gut bedacht sein. Es gibt keine Stunde Null in der Stadtentwicklung, keine tabula rasa in der Stadtplanung und im Objektentwurf - auch wenn sich das neue Verantwortungsträger in der Hoffnung auf einprägsame Epochen-merkmale wünschen würden. Denn alles zu ändern heißt, alle Vorbedingungen, also auch bereits realisierte Stadtelemente, neu zu bewerten, in

Aufregungen und

Anmaßungen kleinformatiger Medien behindern eine langfristige Baukulturpolitik, die Wien wirklichen Großstädten annäherte.

den öffentlichen und privaten Gebrauch der Stadt einzugreifen, sogar ein Versprechen auf die Zukunft abzugeben ohne vielleicht ganz die Tragweite der Vergangenheit zu erkennen.

Der tschechische Essayist Gabriel Laub bringt das Dilemma einer zu oberflächlich forcierten oder zu idealistischen Stadtvision auf den Punkt: „Zukunft ist die Zeit, in der man die ganze Vergangenheit kennen wird. Solange man die Vergangenheit nur teilweise kennt, lebt man in der Gegenwart.” In einer Wendezeit, bedingt durch das neuerliche Abflauen des Stadtwachstums, durch sich verknappende Ressourcen und durch den Wechsel in der parteipolitischen Verantwortungslage, ist die Frage nach dem Reformbedarf in der Stadtplanung besonders interessant. Kann die

Teilöffnung des Magistrats für externe Lösungen weiterentwickelt werden, oder droht ein Rückfall in die technokratische Verwaltung von Problemen?

In der von vielen als Phase des Zugewinns in der Stadtplanungs- und Stadtgesprächskultur, in der Transparenz der entwicklungspolitischen Entscheidungen empfundenen Ära Swoboda konnte die bauliche Umprä-gung Wiens mit den berechtigten Hoffnungen der Fach- und gelegentlich auch der Laienwelt nicht mithalten. Immerhin hat in dieser Zeit eine intensivere Kommunikation zwischen Politik, Verwaltung und Fachwelt im In- und Ausland begonnen, durch die der Stadtplanung Wien ein Ansehen zugewachsen ist, das die heimische Einschät- • zung übertrifft.

Mit Ausnahme des Schulbauprogramms 2000 ist es tatsächlich derzeit nicht möglich, einem ausländischen Gast mit internationalen Sehgewohn -heiten anhand fertiggestellter Architekturen und Stadträume das Phänomen Wien überzeugend zu erschließen. Stets muß das grundsätzliche Wiener Potential als Argumentationshilfe herhalten. Die Frage, warum nicht längst ein Bürgermeister die brachliegenden, kritischen Potentiale in Urbanistik, Architektur, Design und Landschaftsgestaltung nutzt, ist nicht vordergründig zu beantworten, liegt aber im Widerstand eines lange eingespielten Vergabesystems.

Die Zahl der vorerst versäumten Chancen (Museumsquartier, Expo-Platte, Karlsplatz, Europaplatz, Zentrum

Kagran, Wien Mitte, Spittelau, U-Rahnlinien 3 und 6, Brünner Straße, Donau(kanal)querungen, Veterinärmedizin, ...) ist groß. Viele kleine Pretiosen, von privaten Bauherrn lanciert, überdecken die Absenz der öffentlichen. Ungelöste Problemzonen (Bahnhofsbrachen, Judenplatz, Messegelände, Handelskai,...) lassen vorerst nur ängstliche Optionen offen.

Um Wien wirklichen Großstädten anzunähern, müßte eine langfristige Stadtentwicklungs- und Baukulturpolitik für eine dynamische Ausweitung einer wirklich bizentrischen Stadtstruktur (Innere Stadt, Transda-nubien) sorgen, sie müßte sich auf ' Städtebau und nicht primär auf Wohnungsbau einlassen, sie müßte alle Da-' Seinsfunktionen gleichwertig und -zeitig behandeln (auch Verkehr, Bildung, Freizeit), sie müßte zeitgenössische Architektur als Instrument zur Sicherung fördern und nicht als Bedrohung von historischen Schutzzonen bremsen, sie müßte ein Vielfaches an planerischen Problemstellungen öffentlichen Ideen-findungen überantworten, sie müßte den öffentlichen Baum als diffizile Benutzeroberfläche verstehen, der einer präzisen und funktional unanfechtbaren Instrumentierung bedarf, sie müßte den Grünraum als unverzichtbare Ergänzung des Gebauten verstehen und nicht als schmückbaren Bestsektor, sie müßte Band und Mitte gleichbehandeln, sie müßte die Umweltverträglichkeit aller baulichen Leistungen im weitesten Sinn sicherstellen, also auch im Ethischen und Ästhetischen.

Sie müßte die besten Kräfte unserer Zeit aus Wissenschaft und Kunst ohne Scheu heranholen und in die Bealisierungen einbinden, sie müßte die Souveränität haben, sich auch gegen die Anmaßungen kleinformatiger oder -geistiger Medien für das Richtige und durchaus vorerst Unpopuläre zu entscheiden. Dann würde langsam auf hohem Niveau die Gelassenheit einer Großstadt einziehen. Vorerst werden noch Aufregungen als neuer Standard avisiert.

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