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Flach durch den Brenner mit Schiene und öl

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Landeshauptmann Dr. Hans T s c h i g g-freys Geleitwort, das er am 17. April 1959 der Brennerflachbahnstudie gewidmet hat (Sonderabdruck aus der „Furche“ Nr. 21/1959 zum 21. Österreichischen Straßentag in Innsbruck, 24. bis 28. Mai 1959). gilt erst recht für die folgende Fortsetzung dieser Studie. Es lautet:

„Icli begrüße jede Untersuchung, die sich ernsthaft mit einer Dauerlösung des europäischen Verkehrsproblems Brenner im Lichte abendländischer Einheit und Freiheit auseinandersetzt, so auch die gegenständliche Studie und Projektsidee besonders deshalb, weil sie tirolischen, österreichischen und europäischen Interessen in gleicher Weise gerecht wird.

Überzeugt von der einigenden und versöhnenden Kraft eines Europa, das von wirklichen Europäern gebaut wird, wünsche ich den Bemühungen zu einer Grundsteinlegung für einen solchen Bau - Europastraßen und Europabahnen sind hierfür Grundsteine — besten Erfolg.“

Die Fortsetzung der erwähnten Brennerflachbahnstudie ist herausgefordert durch das mächtige Anwachsen des allgemeinen Interesses an mitteleuropäischen Erdölleitungen (Pipelines), sei es in oder ohne Verbindung mit Eisenbahnen oder Autobahnen. In diesem Zusammenhang seien erwähnt: die geplante, rund 730 Kilometer lange Ölleitung Marseille—Karlsruhe (Saharaöl!), die mit der von Wilhelmshaven über Köln kommenden zusammengeschlossen werden soll, die verschiedenen italienischen, schweizerischen und bayrischen Ölleitungspläne, vor allem aber die sich häufenden Veröffentlichungen in der Tagespresse, die für eine sogenannte Diret-tissima, für eine kürzeste und beste Verbindung München—Venedig immer wieder bald für Eisenbahn, bald für Autobahn, ein- und zweistöckig, via Zillertal—Ahrntal, werben.

-Nebenbei erwähnt: wie bescheiden einige hundert Kilometer mitteleuropäischer Ölleitungen gegen die vielen tausend, ja zehntausend Kilometer im Osten, die früher oder später auch das westliche Europa mit billigstem Öl zu überschwemmen drohen!

Außer Zweifel steht das Faktum, daß in der Fülle unserer Zeit Überlandölleitungen zu ebenso unentbehrlichen wirtschaftlichen Lebensadern geworden sind wie Überlandenergie-leitungen und Überlandverkehrswege, daß Verbund, Kräftekonzentrierung und Ausgleich unter Vermeidung jeder Zersplitterung in wirtschaftlichen Großräumen, aus denen sich Europa bald zusammenfügen soll, nicht nur auf dem Sektor „Wasser und Energie“ nötig sind. Vergleichbar mit einer riesengroßen Wasserversorgungs-Ring-leitung, wäre für die künftige Ölversorgung Mitteleuropas, Einigkeit der großen Ölkonzerne zum Nutzen aller vorausgesetzt, eine Ölver-bund-Ringleitung denkbar, die aus verschiedenen Quellen (Marseille. Genua, Venedig) gespeist und an beliebigen Binnenverbrauchszentren angezapft werden kann. Der Faktor Erdöl könnte dem Streben nach einer Dauerlösung des europäischen Verkehrsproblems Brenner eine entscheidende Wendung geben.

Sicher zieht eine Dauerlösung des europäischen Verkehrsproblems Brenner Kreise weit über Skandinavien und Suez hinaus. Hier als Studie mag es genügen, im Norden einen Großwirtschaftsraum Innsbruck—Stuttgart—Nürnberg—Regensburg—Linz—Salzburg—Innsbruck, im Süden die gegenwärtige Gesamtwirtschaft Norditaliens und die künftige Gesamtwirtschaft Süditaliens (noch unterentwickelt) unterzustellen.

Im angegebenen nördlichen Wirtschaftsraum ist selbstverständlich München die Kapitale Nr. 1, aber nicht die einzige. Integrierend dürfen ihr Stuttgart, Nürnberg, Regensburg, Linz an die Seite gestellt werden. Es ma? einigermaßen überraschen, feststellen zu dürfen: Unter Anlegung des gleichen Maßstabes und gleicher Trassengrundlagen liegt Stuttgart mehr als 80 Kilometer näher am Mittelmeerhafen Venedig als am Mittelmeerhafen Genua. Man vergleiche die beiden Längenprofile: 625 zu 542 Kilometer.

Die Betrachtung der zwei südlichen Wirtschaftsräume bestätigt überzeugend, daß ihre kürzeste und beste Verbindung mit dem Norden nur der Brennerweg via Verona (nicht via Venedig) sein kann.

Obwohl die 730 Ölkiloinetcr von Marseille bis Karlsruhe im Gegensatz zu jeder Alpen-querung weder große bautechnische noch wirtschaftliche noch politische Schwierigkeiten aufwerfen (mehr oder weniger Flachlandgärtnerarbeit im geschlossenen EWG-Raum), weist doch die vorgeschlagene Dauerlösung auf dem Sektor Schiene als Flachbahn den Weg nicht nur für eine Direttissima München—Venedig, sondern auch für die kürzeste und beste Schiene-Öl-Verbindung Stuttgart—Venedig.

Das europäische Verkehrsproblem Brenner gliedert sich in die zwei Hauptsektoren Schiene und Straße, wie dies auch auf der in Bozen am 18. und 19. September 1959 veranstalteten internationalen Brennerverkehrstagung in sieben Diskussionsbeitragspunkten etwa so zum Ausdruck kam:

1. Europastraßen und Europabahnen müssen ohne Rücksicht auf kleinstaatliche Grenzen einander ergänzen, müssen sinnvoll koordiniert, anlagemäßig jedoch völlig getrennt sein.

2. Trasse und Rohbau von Europabahnen sollen endgültig, auch nach hundert Jahren, nicht überholt sein. — Wenn im gebirgigen Alpenraum bei der Trassierung von Europaautobahnen wegen Geländeschwierigkeiten ausnahmsweise auf 300 Meter Krümmungshalbmesser herunter- und auf sechs Prozent Neigung hinaufgegangen wird, so soll ausnahmsweise bei der Trassierung von Europaeisenbahnen im gebirgigen Alpenraum nur bis 1000 Meter Krümmungshalbmesser herunter-und höchstens bis zehn Promille Neigung hinaufgegangen werden. Auslegung auf 200 km/h, praktisch erstrebenswerte Fahrgeschwindigkeit 150 km/h. Höheren Geschwindigkeiten sind im Eisenbahndauerbetrieb durch zu hohen Luftwiderstand und zu hohe Materialbeanspruchungen Grenzen gesetzt.

3. Wie die Autobahn nur über den Brenner geführt werden kann, so die Massengüter-, Schnell- und Flachbahn als Eisenbahn nur unter ihm. Brenner: Natürlicher Hauptalpen-übcrgang in Luftlinie Hamburg—Rom, in 2000 Jahren historisch und organisch gewachsener Verkehrsweg zwischen München und Verona, die mit Innsbruck und Bozen die große Nord-Süd-Linie im Ostalpenbereich bestimmen. Keiner dieser vier Sammel- und Knotenpunkte darf auch künftig weder von Schiene noch von Straße künstlich umgangen werden.

4. Die untersuchte Flachbahntrasse Garmisch—Bozen ist -dreigeteilt. Der- erste und wichtigste Bauteil Innsbruck-Tunnelscheitel, fäMlpW'^&iczM$ kann genau so selbständig für sich allein ausgeführt werden und bestehen wie der dritte Garmisch—Innsbruck, während der zweite Bauteil Tunnelscheitel „Tribulaun“—Meran—Bozen die Verwirklichung des ersten voraussetzt.

5. Die Anwendung der unter 2. angeführten Trassierungselemente für Europabahnen ist für die große Nord-Süd-Linie Hamburg-Rom beziehungsweise Berlin—Rom voll vertretbar, nicht aber für eine Zweiglinie, wie Sterzing—Pustertal—Venedig über Caprile oder Cortina, die tatsächlich auch mit Mindestkrümmungshalbmessern von 500 Metern und Höchstneigungen von 15 Promille projektiert ist.

6. Eine Zusammenlegung von Ölleitungen mit einer längeren elektrisch betriebenen Tunnel-schienen strecke kann vom bautechnischen und Sicherheitsstandpunkt vertreten, sogar befürwortet werden. Eine solche Zusammenlegung mit einem längeren Tunnel Straßen-weg muß aber abgelehnt werden. („Selbst bei unvertretbar überdimensionierten Tunnelprofilen von 13 X 20 oder 15 X 15 Metern im Lichten ließen sich die plötzlich auftretenden Erstickungsgase durch keine Lüftungsanlage der Welt sofort unschädlich machen, wie sich auch ein plötzlich auftretendes Katastrophenhochwasser nicht durch ein Mausloch ableiten läßt. Gefährlichen Gasen und Abgasen soll überhaupt nicht- Gelegenheit geboten werden, in das Berginnere zu dringen.“)

7. Für die Aufbringung der absolut hohen, relativ aber wirtschaftlichen und daher auf weite Sicht vertretbaren Anlagekosten müßte, entsprechend der überragenden Bedeutung und Konkurrenzlosigkeit des Brenners und seines internationalen Verkehrs, auch auf internationaler Grundlage vorgesorgt werden.

Hieraus erhellt, daß größter Wert auf Wahrung des Flachbahncharakters, möglichste Vermeidung verlorener Steigungen, natürliche, das beißt kostenlose Tunnelbelüftung und -ent-lüftung, Flurbereinigung Schiene—Straße zu legen ist.

Das europäische Verkehrsproblem Brenner larf auf dem Sektor Straße durch den in Aus-ührung begriffenen Bau der Brennerautobahn nnsbruck—Schönberg und die eindeutig fest-

stehende Bauabsicht der Autobahnführung Kufstein—Modena über die nur 1372 Meter hohe Brennersenke bereits als dauergelöst angesehen werden.

Die Zusammenpferchung von Bahn und Straße in einen gemeinsamen Brennertunnel Steinach—Sterzing wäre mit einer ernsthaften Dauerlösung unvereinbar und würde keinen Fortschritt, sondern einen Rückschritt um 80 Jahre bedeuten, weil die Brennerbahn, verglichen mit der St.-Gotthard-Bahn, dann höchstens auf einen Stand käme, wie er durch den 15 Kilometer langen St.-Gotthard-Tunnel Göschenen— Airolo bereits vor 80 Jahren erreicht war. Vergleiche die zwei Längenprofile. Der St. Gotthard braucht früher oder später seinen von Ing. Eduard Gruner (Basel) projektierten 48 Kilometer langen Bahnbasistunnel Amsteg—Bodio ebenso notwendig wie der Brenner den analogen Innsbruck—Passeier (50 Kilometer).

Wie dem St.-Gotthard-Weg in den Westalpen Bevorzugung und Vordringlichkeit zukommen, so in den Ostalpen dem Brennerweg.

Eine ausschlaggebende Teilung und Senkung der absolut hohen, relativ niedrigen Baukosten ließe sich besonders durch Einbeziehung der Faktoren Öl und Zeit erreichen. Wiederum Einigkeit vorausgesetzt, wäre eine Schnellbahnverbindung Innsbruck -Garmisch, 44 Kilometer, mit 20 Minuten Fahrzeit sogar bis zur Winter-olympiade 1964 denkbar.Venedig, Eingangstor vom Mittelmeer nach Europa, berufen und prädestiniert zur konkurrenzlosen Abendlandmetropole und Mittlerin zum Orient wie in großer Vergangenheit gemäß dem Wahrspruch: „Ein Ort am Meer ist niemals weit entfernt“, der nur vom billigen Seetransport herrührt und analog für Binnenorte gilt, wenn sie an Seehäfen entsprechend verkehrsnahe und gut angeschlossen sind. Für Großwirtschaftsräume kommen nur die wirtschaftlichsten Verkehrsmittel in Frage: Schiff, Ölleitung, Bahn. Besonders gegenüber der Straßenbeförderung verringern sich die Bahnbeförderungskosten mit wachsender Geschwindigkeit und wachsender Entfernung.

Folgende Vergleichswerte (Dr.-Ing. A. Zam-bons Zillertaler Alpenbahnprojekt ex 1956 entnommen) stammen zwar aus dem Jahre 1942, können aber doch auch heute noch relativ und größenordnungsmäßig das oben Gesagte bestätigen, wobei die Währungseinheit keine Rolle spielt (Beförderungskosten je Tonnenkilometer): Lufttransport: 10.000 bis 100.000.

Straßentransport: 380 bis 2280, Wertartikelbeförderung auf mittlere Entfernung.

Bahntransport: 76 bis 760, Massengüterbeförderung auf große Entfernung.

Ölleitung: 23 bis 38.

Binnenschiffahrt: 8 bis 38, 500 bis 1000 Tonnenkilometer mit geräumigen Schiffen. Seetransport: Noch niedriger.

Die Konkurrenzlosigkeit Venedigs gründet sich auf seine einmalige geo-, kultur-, wirt-schafts- und handelspolitische Stellung und Lage zwischen Mitteleuropa und dem Orient. Die 370 Ölkilometer München—Venedig, Wahrspruch und Vergleichswerte wie oben angegeben, sowie der außerordentliche Aufschwung der Erdölindustrie (Ölverkehr 45 Prozent des Weltgüterverkehrs, Welttankerflotte ein Drittel der Welthandelsflotte) in Zusammenhalt mit der wachsenden Bedeutung des asiatischen Mittleren Ostens — sein Anteil an den Welterölreserven soll 62,5 Prozent betragen — sind geeignet, diese Konkurrenzlosigkeit bei der angestrebten wirtschaftlichen europäischen Zusammenarbeit erneut ins richtige Licht zu rücken.

Venedig ist auf den drei Gebieten Schiene, Straße und Öl durch die teils schon bestehenden, teils noch auszubauenden Linien MailandVenedig in Verona in den Brennerweg eigentlich schon eingebunden.

Wenn aber die durch die Entfernung Verona— Mestre (Luftlinie 100 Kilometer) gegebene Leitungsverlängerung nicht in Kauf genommen werden kann, so ist ein kürzerer Anschluß an den Brennerweg zu suchen, nicht der Brennerweg mit einer neuen, sehr kostspieligen, unwirtschaftlichen und im Grunde durchaus entbehrlichen Berg-und-Tal-Bahn auf Kosten des Dolomitenlandes, Ahm- und Zillertales zu umgehen.

Ein solcher kürzerer Anschluß an den Brennerweg findet sich in der Valsuganalinie.Tunnels bis zu acht Kilometer Länge hier außer Betracht gelassen, könnte mit einem einzigen, rund 25 Kilometer langen Tunnel der gesuchte Anschluß in der Verbindung Salurn— Venedig (126 Kilometer) hergestellt werden. Wenn nämlich schon von einem 43 Kilometer langen Marmolatatunnel, von einem Tunnel zwischen Gufidaun und Bruneck, der rund 24 Kilometer lang würde, und von einem mindestens ebenso langen zwischen Inntal und Tegernsee gesprochen und geschrieben wird, darf mit größerer Berechtigung ein 25 Kilometer langer Tunnel zwischen Barco und Valstagna vorgesehen werden.Vergleichsweise ergeben sich folgende Tras-senlängen:

München—Verona, laut Studie, 373 km.

München—Verona, mit Abschneidung des Etsch-bogens bei Verona und anderen ßegradi-gungen, 363 km.

München—Verona, mit Abschneidung des Etsch-bogens bei Verona und anderen Begradigungen über Weilheim, 368 km.

München-Salurn (256 km)-Valsug.-Venedig: Schiene 382 km.

München-Salurn (244 km)-Valsug.-Venedig: Öl 370 km.

Der Unterschied von 382 - 370 = 12 km zwischen Schiene und Öl ergibt sich aus den zwei möglichen Ölleitungsverkürzungen zwischen km 123 Innsbruck-Peterbründl und km 129 Innsbruck-Gärberbach (Verkürzung 6-3 = 3 km) sowie zwischen km 215 Bozen— St. Cosmas und km 230 Bozen-St. Jakob (Verkürzung 15-6 = 9 km).

Den 370 Ölkilometern München-Venedig via Valsugana seien besonders die 388 km der projektierten ein- und zweistöckigen Autobahn München-Venedig via Ziller-Ahrntal gegenübergestellt.

Warum wird auf die Wahrung des Flachbahncharakters (Vermeidung Berg- und Talbahn, verlorener Steigungen), auf die Erarbeitung einer möglichst niedrigen Haupttunnelscheitelkote -728 m - so großer Wert gelegt?

Man berechne die nutzlose Leerarbeit und ihren Kostenaufwand, der durch das Heben von x-Millionen, x-Milliarden Tonnen Gütern über etliche zehn bzw. hundert Meter verlorener Steigungen durch 50, 100 und mehr Jähre für nichts und wieder nichts entsteht Beim Stand der modernen Technik muß doch die Leistun? solch nutzloser Schwerarbeit Jahr für Jahr, die Behinderung europäischer Großwirtschaftsräume durch die Alpenbarriere für völlig überflüssig bezeichnet werden. Relativ genommen waren der Brennerbahnbau vor 100 Jahren und der Arlberg- und St.-Gotthard-Tunnelbau vor 80 Jahren bedeutend größere Pionierleistungen, als es heute der Bau eines Basistunnels von 50 Kilometer Länge wäre. Stollensysteme von 50. 80 und mehr Kilometer Länge bei Kraftwerksgruppen sind Selbstverständlichkeiten, von denen kein Aufsehen gemacht wird, weil sie einfach dazugehören. Geht aber einmal die Länge eines vorgeschlagenen Tunnels zur Überwindung des Alpenhauptkammes über 30 und gar 40 Kilometer hinaus, spricht schon die Presse von gigantischen, phantastischen oder gar utopischen Projekten.

Die mögliche Verkürzung des Basistunnels Innsbruck-Passeier von 53,1 auf 50 Kilometer, das heißt das Südportal in St. Leonhard 673 Meter statt in St. Martin 596 Meter, bedingt eine Erhöhung der Rampenneigung Bozen—Passeier von 7.8 auf 8,9 Promille, die auf der Ausweichstrecke Bozen—Brixen—Sterzing leider nicht zu erreichen wäre. Die Tunnelscheitelerhöhung von Kote 728 („Tribulaun“) auf Kote 942 (Sterzing) würde eine neun Promille geneigte' Trasse um 24 Kilometer verlängern. Hingegen wäre als Folge einer Tunnelsüdportalverlegung von St. Martin, 596 m, nach St. Leonhard, 673 m, ohne Trassenverlängerung eine geringfügige Tunnelscheitelerhöhung von Kote 728 auf Kote 757 sehr wohl möglich, so daß sich die Neigung der Tunnelnordseite (29 km) von 5 auf 6 Promille erhöht, die der Tunnelsüdseite (21 km) von 2,6 auf 4 Promille, die der Ausfahrt nach Sterzing (14 km) sich aber von 15,2 auf 13,2 Promille erniedrigt.

An Kühnheit reichte auch ein 50 Kilometer langer Brennertunnel noch lange nicht heran an die höchste Brücke Europas, an die in Ausführung begriffene Europabrücke (190 Meter über der Sill). Immerhin würden notwendige Überbrückungen von Inn bei Telfs, Passer bei St. Martin im Passeier, Levicosee und Brenta ansehnliche Bauwerke erfordern. Die zwei Etschbrücken zwischen Auer und S. Michele hingegen ließen sich durch Fortführung der gestreckten Linie Bozen—Auer am linken Etsch-ufer und Rekultivierung des aufzulassenden rechtsufrigen Linienteiles eliminieren.

Die allgemeine Entwicklung des Eisenbahnwesens geht wohl nach der Richtung, daß die Lokalbahnen mehr und mehr verschwinden, große Durchgangslinien aber an Bedeutung noch gewinnen werden und eine durchgreifende Flurbereinigung zwischen Schiene und Straße Platz greifen muß.

Diese Hurbereinigung ist im gebirgigen Alpen- und Erholungsraum besonders wichtig wegen der notwendigen Entlastung des Straßenverkehrs von Fernlastern und Schwergütern. Eine zunehmende Verlagerung des Güterverkehrs von Schiene auf Straße — Brennerstraße Güter 1% 1955, 13% 1959 - wäre höchst unerwünscht. Bei durchgeführter Flurbereinigung Schiene—Straße kann aber mit einer vierspurigen Autobahn auf unabsehbare Zeit auch bei stärkstem Reiseverkehr das Auslangen gefunden werden. Die anlagemäßige Gewährleistung gleichmäßig durchgehender Massenverkehrsabwicklung — ohne Engpässe, Steilrampen, scharfe Krümmungen u. dgl. — ist für Schiene und Straße das erste Gebot zur Verhinderung von Verstopfungen und Blockierungen.

Wenn das Öl hier hauptsächlich aus dem Sektor Schiene Nutzen ziehen kann und umgekehrt, so nicht zuletzt deshalb, weil ein Tunnellüftungsproblem hier auch bei 50 Kilometer Länge überhaupt nicht existiert. Denn diesen Brennertunnel lüftet die Natur kostenlos.

Großbauten solcher Art verwunden und beleidigen die Natur normalerweise bedeutend mehr, als es hier der Fall wäre. Durch die Mitbenützung bestehender Bahnstrecken und die ausgedehnte Trassenführung untertags sowie auf minderwertigem Kulturgrund ist die Inanspruchnahme hochwertiger Kulturlandschaft verschwindend gering. Die verhältnismäßig wenigen Oberflächenwunden werden rascher und schmerzloser als sonst vernarben. Möge das große Werk dann nur noch Segen bringen in Nord und Süd, Ost und West und in der Mitte Europas, wo ein sturmerprobtes Wappentier mit weltweit ausladenden Schwingen, starken Fängen und klarem, scharfem Auge als Hüter europäischer Ordnung und abendländischer Freiheit auch den richtigen Geist zum Bewußtsein bringt: Moderne Schnellbahnen und Ölleitungen? Jawohl, aber nicht auf Kosten unersetzlicher Erholungsräume, Kulturgüter, geistiger Werte. Denn Krone der Schöpfung ist der Mensch, nicht die Materie, der Mensch als Beherrscher, nicht Diener der Materie, der Mensch als Diener einer höheren Weltordnung, da ihm Naturwissenschaft und Technik Erfüllung der Schöpfung bedeuten.

Des Paß- und Durchzugslandes Tirol Bestimmung und Aufgabe ist es, Wässer zu scheiden, Völker aber zu verbinden, im Herzen Europas wahren Freiheitsgeist auch weiterhin hochzuhalten. Und weil der Brenner Mittelpunkt Tirols und somit Europas ist, sollen die drei lebenswichtigen Stränge Autobahn, Flachbahn und Ölleitung mitten durch Tirol auch starkes, dauerhaftes und lebensvolles Band echter europäischer Zusammenarbeit, echten europäischen Freiheitsgeistes sein.

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