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Flachbau, nicht Hochhäuser

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Dennoch werden seit 1945 vor allem im öffentlichen Wohnungsbau fast ausnahmslos Hochhäuser mit sechs bis < sieben Geschossen gebaut (allerdings in weniger dichter Grundverbauung als bei den alten Privathäusern), angeblich aus Gründen niedriger Baukosten. Glückliche Ausnahmen sind etwa die schon erwähnte Per-Albin-Hansson-Siedlung (Wien X) oder die Siedlung in Groß-Jedlersdorf (XXI). Nun ist der Hochhausbau bei der Ausfüllung von Baulücken im geschlossenen verbauten Gebiet gewiß noch verständlich, er findet aber auch bei der Neu-verbauung großer Flächen Anwendung — und das ist schlechterdings unbegreiflich.

Die Flauptnachteile der Hochhäuser und die Vorteile des Flachbaues liegen aber auf sozialem Gebiet. Die „Wohnkaserne“ unterbindet die natürlichen Funktionen der „kleinen Gemeinschaften“ (besonders der Familie). So fehlt in den isolierten Zellen dieser &#9632; Termitenbauten die „Nachbarschaft“, jene statistisch nicht ohne weiteres. faßbare, aber menschlich äußerst wichtige und besonders in Notzeiten unentbehrliche Bekanntschaft mit dem Nächsten und gegenseitige Hilfeleistung. Den Kindern fehlt „Spielraum“; die Bindung an Grund und Boden und damit die seßhafte Verwurzelung geht verloren, ebenso fehlt eine gewisse wirtschaftliche Unabhängigkeit, die beispielsweise durch einen Hausgarten geschaffen wird. Das Wohnhochhaus verlangt im allgemeinen eine hochorganiserte, unpersönliche und verhältnismäßig starr festgelegte Art der Lebensführung, für die die

meisten Familien wenig Neigung zeigen und noch weniger Begabung aufweisen. Eine wirkliche Gemeinschaft ist aber nur zu erreichen, wenn die einzelnen zuerst einmal- ein Privatleben führen können und ein gewisses Maß persönlicher Freiheit und Verantwortlichkeit haben. Die Menschen neigen, je enger sie zusammengedrängt werden, von einem gewissen Punkt an zu einer abwehrenden, zurückgezogenen und asozialen Haltung. Wo an allen Seiten Nachbarn wohnen, besteht die Neigung, sich gegen jede Freundschaft und jeden Umgang abzuschließen. Bei Beobachtungen in Wiener Gemeindebauten ergeben sich darauf mancherlei Hinweise. So ist zum Beispiel die Sorgfalt in der Behandlung der Wohnbestandteile (Fenster, Türen, Gasherd) um vieles geringer als bei Eigenheimen. Bei Bombenschäden in privaten wie öffentlichen Zinshäusern konnte festgestellt werden, daß vielfach außer den unmittelbarsten Schutzmaßnahmen für die Wohnung (Fenster, Notdach usw.) nichts für den Wiederaufbau unternommen wurde. In Wien geht diese Haltung teilweise so weit, daß eine regelrechte Flucht vor der Verantwortung besteht; man zieht eine parasitäre Wohnweise — als Mietengeschützter gegenüber dem privaten Hausherrn, als Gemeindemieter gegenüber dem Steuerbeitrag der Allgemeinheit — in manchen Bevölkerungskreisen sogar einem Eigenheim vor.

In einer Pressekonferenz stellte ein Wiener Stadtrat eine erstaunliche Behauptung auf: Der einzige Ausweg aus der komplizierten

Wohnungssituation sei die Wohnbautätigkeit der Gemeinde Wien, wie sie seit 1945 in Angriff genommen wurde.

Wie sieht diese Bautätigkeit aus? Von 1947 bis 1953 werden 28.270 Wohnungen von der Gemeinde Wien fertiggestellt sein, das heißt im Jahr wachsen durchschnittlich nur 4000 Wohnungen zu. Mit anderen Worten, die Gemeinde allein würde bei einem Bedarf von 70.000 Wohnungen 17 Jahre brauchen, um den gegenwärtigen Bedarf nachzuholen! Für den jährlichen Zuwachs durch Familiengründung usw., der erst zu bestimmen wäre, aber größenordnungsmäßig mehrere tausend Wohnungen jährlich betragen muß, ist dabei überhaupt noch nicht gesorgt! Wie will die Gemeindeverwaltung allein das Problem lösen?

Hier müssen alle bauwilligen Kräfte mobilisiert werden! Die Stadtverwaltung könnte mit den immensen Summen, den der Wohnungsbau in eigener Regie verschlingt, viel effektivere Erfolge erzielen, wenn sie diese, etwa in Form von zweckgebundenen Krediten, als „Ankurbelungskapital“ an Private, Genossenschaften und gemeinnützige Bauunternehmen ausschütten würde. &#9632;

Aus dem Gesagten ergeben sich für den Wohnbau folgende Thesen und Forderungen:

1. Die Großstadt, die nicht mehr in überschaubare Einheiten gegliedert ist, das Wohnhochhaus gefährden die natürlichen Gemeinschaftsbeziehungen der Personen.

2. Die Trennung von Haus und Garten bzw. der Verzicht auf Hausgärten und Streifen natürlicher Landschaft in der Stadt, führen zu mannigfachen Schäden der Großstadtbewohner, wie: physische, psychische und soziale Krankheiten, zu Bodenverschwendung, Naturentfremdung, Nomadismus usw.

3. Die bisherigen Wohnverhältnisse dürfen nicht Norm des Wohnbauprogrammes sein.

4. Die Kleinwohnung ist kein Familienheim. • , .-&#9632;

5. Die Wohnung ist keine Maschine (auch die Küche nicht).

6. Die Behörde allein kann nicht und braucht auch nicht die Masse 4er Wolv nungen zu beschaffen; sie soll dagegen allen • Bürgern die Möglichkeit zum selbständigen-, Erwerb einer Wohnung geben (durch Rah-menplanung, Kredite Usw.).

7. Die Siedlung muß harmonisch in die Landschaft eingefügt und in sich „organisch“, überschaubar gegliedert sein. Unmittelbare. Verbindung zur Natur ist dabei zu bewahren.

8. Die Anlage von Gartenstädten :n Flachbauweise ist mit allen Mitteln zu' fördern'. Einer der Vortragenden des heurigen Wiener Städtekongresses, Bürgermeister Kessen aus Holland, einem Land, das vorbildliche Gartenanlagen besitzt, erklärte, als man ihn über die Wiener Wohnviertel befragte, folgendes:, „Das alte kaiserliche Wien ist prächtig, doch, die modernen Mietkasernen, die man uns, dieser Tage als ,idealen Wohnungsbau sehen ließ, sind unmöglich, um darin eine gehörige Familie zu formen. Sie töten jede Persönlichkeit und sind meiner Meinung nach einer der Hauptgründe für den erschreckenden Rückgang der Geburten.“

9. Die Familienwohnung soll um einen Wohnraum mehr als Bewohner haben, bei durchschnittlicher Raumgröße von 20 Quadratmeter.

10. Die Wohnung soll nicht nur hygienisch, sondern auch richtig gegliedert und modern ausgestattet sein.

11. Die Wohnung (das Heim) soll Eigentum des Benutzers sein.

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