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Für Architektur mit Gesinnung

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Ihren 100. Geburtstag feierte kürzlich die erste Architektin Österreichs Schütte-Lihotzky: Anlaß für einen Rückblick auf ihr Schaffen und ihr Leben.

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Ihren 100. Geburtstag feierte kürzlich die erste Architektin Österreichs Schütte-Lihotzky: Anlaß für einen Rückblick auf ihr Schaffen und ihr Leben.

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DikFurchk: Wo sehen Sie die Verantwortung des Architekten? Margarete Sohüttk-Lihotzky: Die räumliche Gestaltung, die hat der Architekt, und zwar sowohl der Innenräume wie auch der Straßenräume. Jeder Mensch bewegt sich ja ununterbrochen, ob er will oder nicht, durch Räume und diese Räume wirken auf seine Nerven. Das ist eine künstlerische Wirkung, ohne daß das dem Menschen, der Architektur konsumiert, immer bewußt ist. Diese Innenräume, in denen er sich ständig bewegt, und die städtebaulichen Räume wirken auf seine Nerven ein. Nicht aufs Auge, das Auge ist ja nur der Vermittler. Und das ist das Schöne an der Architekur.

DIEFURCHE: Warum haben Sie eigentlich Architektur studiert? SCHÜTTE-LlHOTZKY: Da waren im wesentlichen drei Ursachen: erstens das Soziale an der Architektur. Ich war ja an der Kunstgewerbeschule, da wurden Mode, Malerei, Bildhauerei, Keramik, alle Gebiete der Kunst gelehrt. Aber die Architektur ist die einzige Kunst gewesen, die ständig auf den Menschen einwirkt. Das hat mich bewogen, Architektur zu studieren, vor allem, weil sie immer eine wirkliche Grundlage hat' Die Architektur kann hie im Wolkenkuckucksheim schweben: Ich kann nicht im Dachstübchen sitzen und Architektur machen, das ist unmöglich. Das zweite ist das mathematisch Präzise, das meiner Veranlagung sehr entspricht. Die Konstruktion eines schönen Dachstuhls aus Holz war für mich damals wesentlich schöner als irgendein Gemälde von Bem-brandt, auch das Technische daran, und das Material, das Holz, für das ich heute noch sehr viel übrig habe. Das hat eine große Bolle gespielt. Die dritte Ursache, natürlich, das Gestalterische der Architektur, Bäume zu schaffen für Menschen, in denen sie sich immer bewegen, wo sie sich wohlfühlen oder Mißbehagen empfinden. Das war für mich bestimmend, das ist der künstlerische Teil der Architektur.

DlEFlJRCHE: Sie haben das Politische nicht vom Leben getrennt..: SCHÜTTE-LlHOTZKY: Nein, natürlich nicht, ich hab damals schon erkannt, daß Architektur etwas zu tun hat mit Gesinnung.

DlEFlJRCHE: Viele Künstler haben aber im Dritten Reich, weitergearbeitet mit dem Argument, daß Kunst und Politik nicht zusammengehörten. SciltniE-LlHOTZKY: Der Meinung bin ich absolut nicht. Sie verstehen ja unter Politik nur Tagespolitik. Ich verstehe darunter die Verhältnisse der ganzen Gesellschaft, in der wir leben. Das ist nicht nur, was man momentan in der Zeitung schreibt. Politik ist alles, was Gemeinschaftsinteresse ist. Ein Architekt, der kein Interesse an der Entwicklung seiner Gesellschaft hat - ob es in seinem Land ist oder in der Welt - verdient meiner Meinung nach nicht den Titel Architekt.

DIEI'Yrchk: Gibt es eine männliche, eine weibliche Architektur? SCHÜTl'E-LlHOTZKY: Es gibt keine männliche oder weibliche Architektur. Ich war nie eine Feministiii, und auch nie eine besondere Kämpferin für die Frauen. Außerdem war ich damals ohnehin allein auf weiter Flur. Noch mein Vater hatte 1916 nicht geglaubt, daß jemand einer Frau den Auftrag geben könnte, ein Haus zu bauen. Ich selbst hatte es damals nicht gedacht. Ich habe mir immer vorgestellt, daß ich in einem Büro bei einem Architekten zeichnen würde. Nach 1918 wurde in der Siedlerbewegung sehr viel gebaut, ich nahm an einem Wettbewerb teil und gewann einen Preis. Ich rate heute allen jungen Architektinnen, recht viel bei Wettbewerben mitzumachen.

DIEFURCHE: Ist die heutige, angespannte, soziale Situation mit der am Beginn des Jahrhunderts vergleichbar? Könnte man ähnliche Maßnahmen dagegen, wie in der Siedlerbewegung treffen? SCHÜTTE-LlHOTZKY: 1912 gab es in der Monarchie 90.000 Menschen, die im Laufe dieses Jahres in Obdachlosenasyle eingewiesen werden mußten. Als 1914 der Krieg ausbrach, wurde vier Jahre weder gebaut, noch renoviert. Damals gab es Demonstrationen am Bing, bei denen die Menschen für ein Dach über dem Kopf auf die Straße gingen. 1921 saß ich neben Loos auf der Tribüne. Tausende zogen vorbei, um für Grund und Boden um Subventionen zu kämpfen. Es gab kaum Baumaterialien, die Siedlerbewegung bemühte sich, daß die Menschen viel selbst bauen konnten, und einen Garten zur Selbstversorgung bekamen. Das paßt zur Wiener Schrebergartentradition. 500 m2 legten wir damals als Höchstmaß für Haus und Land fest, weil das eine Größe ist, die zwei Leute bearbeiten können. Mit der heutigen Lage kann man das überhaupt nicht vergleichen.

DIKFurchK: Was würden Sie als einschneidendste Veränderungen in diesem Jahrhundert bezeichnen? SCHÜTTE-LlHOTZKY: Mir fallen dazu vor allem drei Dinge ein: zuerst einmal das Auto. Wir sind ja damals noch mit der Kutsche gefahren und hatten ein ganz anderes Verhältnis zur Natur. Außerdem die allgemeine Berufstätigkeit der Frau. Dadurch hat sich die Gesellschaft sehr verändert, und das sollte sich auch im Wohnungsbau auswirken. Ich finde das erstaunlich, daß wir noch dieselben Zwei- und Dreizimmerwohnungen bauen wie in den zwanziger Jahren, obwohl sich das Familienleben so verändert hat. Und dann fällt mir noch die Industrialisierung des Bauens ein. Als ich 1915 -1919 bei Heinrich Tessenow Baukonstruktion lernte, war alles aufs Handwerk ausgerichtet. Innerhalb eines Jahrhunderts hat sich das Bauen dann vom reinen Handwerk zum industriellen Bauen entwickelt. Daß das die Architektur gänzlich verändert hat, ist selbstverständlich.

DlEFlJRCHE: Und wie sollte man in Zukunft bauen?

SCHÜTTE-LlHOTZKY: In meiner Jugend war das Ideal ein Häuschen mit Garten. Ein Haus mit eigenem Garten bedeutet ja Arbeit. Wenn nun Mann und Frau arbeiten, können sie ja nicht auch noch einen Garten bewirtschaften. Wir müssen ja heute schauen, daß die Leute aus dem Streß herauskommen. Ich glaube, daß der Dachgarten die Zukunft ist, weil man weniger Arbeit damit hat und direkt aus der W oh-nung in den Garten geht, und das ist ein ganz anderes Gefühl, als im Siedlerhaus über die Stiege hinunter. Ich glaube, daß das Terrassenhaus mit Dachgarten die Zukunft ist.

DlEFlJRCHE: Was sind Ihre Erinnerungen an die Sowjetunion? SCHÜTTE-LlHOTZKY: Ich habe sieben Jahre in der Sowjetunion gelebt, und mitbekommen, wie schwierig es war, dieses Land aufzubauen. Die Aufgabe unserer Gruppe war, im Bahmen des ersten Fünfjahreplanes Städte für den Aufbau der Schwerindustrie zu planen.

DIEFURCHE: Rußlands Städte sind ja durch den Zuzug vieler Bauern aus dem Umland so schnell gewachsen Wieso glauben Sie, daß es die Menschen vom Land so stark in die Städte gezogen hat?

SciIÜ'ITE-LlHOTZKY: Der russische Teil der Sowjetunion war ja im wesentlichen vor der Revolution ein Bauernstaat. Durch die Revolution ist bei den Bauern ein ungeheurer Bildungshunger entstanden. Sie strömten in die Städte, die sich sehr rasch vergrößert haben. Daher die ungeheure Wohnungsnot. Aber zum Bildungshunger fällt mir ein. Einen der ersten Abende in Moskau sind wir in das berühmte Bolschoi-Theater gegangen, das war voll mit Bauern, die Bastschuhe getragen haben. Es waren noch nicht einmal genug Schuhfabriken gebaut, um für jeden Menschen ein Paar Lederschuhe zu produzieren. Es lag nicht am Geldmangel, aber es gab die Ware eben nicht. Auch der Geruch in der Oper war nicht wirklich angenehm, denn die Bauern mußten ohne Fließwasser leben und konnten sich nicht einmal ordentlich waschen. Trotzdem war die Oper immer voll. Die Karten waren so billig, daß auch die ärmsten Menschen sie sich leisten konnten. Sie hatten nur Bastschuhe an, aber begeistert sind sie von der Oper weggegangen. Das war für sie eine neue Welt, und sie waren hungrig nach Bildung.

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