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Für Gegenwart und Zukunft bauen

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Im Frühjahr 1961 wurde zum letztenmal an dieser Stelle ein größerer Bericht über die Bautätigkeit der Gemeinde Wien gebracht. Wenn nun wieder ein Überblick über die Ereignisse auf diesem Gebiet während der vergangenen fünf Jahre gegeben wenden soll, so ist vorerst festzuistellen, daß in. diese Zeit der Beginn eines nach besonderen Gesichtspunkten gelenkten Abschnittes der Wiener Baugeschichte fällt.

Am letzten Novembertag des Jahres 1961 hat der Wiener Gemeinderat „Das städtebauliche Grundkonzept von Wien“ beschlossen. Wie der Titel bereits ausdrückt, handelt es sich dabei um eine Aufstellung neuer Grundsätze für die weitere Entwicklung Wiens. Bis zu diesem Zeitpunkt waren noch Flächenwid- mungs- und entsprechende Bebauungspläne bestimmend für die Gestaltung der Bundeshauptstadt gewesen, die in ihren Grundzügen bis in das letzte Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts zurückgingen und demzufolge bereits überholte Auffassungen über den Städtebau verfolgten. Die frühere Vorstellung, eine Stadt müsse möglichst hoch und dicht verbaut werden, wobei Höhe und Dichte insbesondere gegen das Zentrum stark anwach- sen, kann den heutigen Erkenntnissen nicht mehr standhalten.

Welche Bedeutung allein den geänderten Ansprüchen an gesundes Wohnen zukommt, mag idanaus ersehen werden, daß die ersten drei des elf Punkte umfassenden Grundkonzeptes dazu Stellung nehmen:

• Auflockerung der zu dicht verbauten Stadtgebiete,

• Verdichtung der zu locker verbauten Stadtgebiete,

• Entmischung von gemischt genützten Wohngebieten.

Bei der Projektierung von neuen Bauten während der zurückliegenden fünf Jahre wurde nun schon die anzustrebende künftige Entwicklung berücksichtigt. In dieser Zeit wurde eine Reihe von neuen, großen Wohn- hausänlagen errichtet: Wien hat sich zur Entlastung der Innenbezirke mehr als bisher in den Bezirken im Nordosten der Donau, aber auch im Süden erweitert. Die neuen Anlagen, die in diesen Stadtteilen entstanden, wo noch größere Baugründe erworben werden konnten, sind große, zusammenhängende Wohnungseinheiten mit tausend und mehr Wohnungen.

Ein erfolgreicher Schritt zur großzügigen Wohnbauplanung gelang mit der Einführung des Montagebauverfahrens. Die erste Wohnhausanlage in dieser Bauweise wurde am linken Ufer der Donau im Gebiet um die Erz- herzog-Karl-Straße errichtet. Rund 3000 Wohnungen konnten hier trotz der Anlaufschwierigkeiten, die jede neue Arbeitsmethode mit sich bringt, innerhalb von vier Jahren fertig- gestellt werden. Die mit dem Montagebau- verfahren erzielte B au Zeitverkürzung und Baukostenverminderung, die Vereinfachung des Arbeitsablaufes an der Baustelle und vor allem die Möglichkeit, auch im Winter bauen zu können, sichern eine großzügige Planung im kommunalen Wohnungsbau. Nach dem Erfolg mit der Siedlung in Neu-Kagran wurde der

Bau einer Wohnhausanlage mit 1000 Wohnungen in der Eipeldauerstraße in Angriff genommen und als dritte Montagebauanlage im Norden von Wien wurden die Arbeiten in der Großfeldsiedlung für 5000 Wohnungen, dem bisher größten Vorhaben auf dem Gebiet des sozialen Wohnungsbaues, bereits begonnen.

Die neuen großen Wohnhausanlagen sind nicht mehr unselbständige Teile eines Bezirkes, sondern sie sind mit kleinen selbständigen Wohn- und Versorgungsbereichen zu vergleichen. In Wien sollen in Zukunft zahlreiche Zentren städtischen Lebens sich rund um den Stadtkern ausbreiten, dem jedoch seine überragende kulturelle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Funktion gewahrt bleiben muß.

Wesentlich schwieriger als die Bebauung der zu locker besiedelten Gebiete Wiens gestaltet sich die Auflockerung der dichtverbauten Stadtteile. Grundsatz muß dabei sein, daß Flächen, die durch Abbruch von alten, nicht erhaltenswerten Gebäuden gewonnen werden, nicht überall neuerlich verbaut werden dürfen, sondern wo sinnvolle Voraussetzungen gegeben sind, für Erholungs- und Verkehrsflächen oder für sonstige öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten, Kulturstätten, Bäder und ähnliches genützt werden müssen.

Wie sich die Stadtverwaltung die Gesundung alter übervölkerter Stadtteile vorstellt, kann an dem Beispiel des Magdalenenviertels im 6. Bezirk gezeigt werden. Heuer konnte mit dem Abbruch einiger alter Gebäude in der Hofmühlgasse begonnen werden. Das so gewonnene Bauland wird zur Beseitigung der Straßenenge in der Hofmühlgasse und für die Errichtung einer Parkanlage genützt. Nach Freiwerden weiterer anschließender Grundstücke soll diese Grünfläche bedeutend vergrößert und damit in dem an Erholungsflächen armen Bezirk Mariahilf eine wesentliche Verbesserung geschaffen werden.

Ein anderes Problem, das aber unmittelbar mit der zu dichten Bebauung zusammenhängt, weisen die Industrie- und Gewerbebetriebe innerhalb von Wohngebieten auf. Durch die technische Entwicklung arbeiten auch Kleinbetriebe heute in zunehmendem Maße mit Maschinen. Diese haben vielfach ein Ansteigen der Luftverunreinigung und besonders der Lärmentwicklung zur Folge. Auf die Dauer wird die Beeinträchtigung der Gesundheit der Wohnbevölkerung nur durch Trennung von, Wohngebieten und solchen Arbeitsstätten vermieden werden können. Erste Schritte dazu hat die Stadtverwaltung durch Errichtung von Werkstättenhöfem sowie durch Widmung und Förderung eines großen Industriegebietes in Liesing gemacht. Dieses Areal, dais 760.000 Quadratmeter umfaßt, wurde durch Versor- gungsleistung und Straßen großzügig erschlossen, wodurch der Anreiz zu Betriebsgründungen in diesem Gebiet geschaffen werden konnte.

Im engsten .Zusammenhang mit der planvollen Erweiterung und Gestaltung unserer Stadt steht die Bewältigung des ständig zunehmenden Verkehre. Die Richtlinien dafür werden ebenfalls im städtebaulichen Grundkonzept gegeben. Da der Baubestand von Wien nicht dem Straßenverkehr geopfert werden soll, müssen leistungsfähige Massenverkehrsmittel geschaffen werden, die den Anreiz bieten, innerhalb der Stadt auf das eigene Kraftfahrzeug zu verzichten. Auf der Basis der freiwilligen Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln soll der Individualverkehr, der letztlich die Ursache des Verkehrsproblems ist, in Grenzen gehalten werden.

Ein gut ausgebautes modernisiertes Stadtbahnsystem ist für Wien die geeignetste Betriebsart. Mit dem Umbau der Lastemstraße, deren unterirdische Tunnelstrecke für die Straßenbahn anfang Oktober dieses Jahres eröffnet wird, wurde das erste Teilstück für dieses Verkehrssystem geschaffen. Vorläufig — bis zur Verlängerung des Tunnels, welcher im Endausbau die Aufnahme eines Untergrundbahnbetriebes gestattet — wird die Strecke noch durch die Straßenbahnlinie 2 befahren. Damit kann dem Individualverkehr die gesamte Breite der Lastenstraße zur Verfügung gestellt und eine echte Entlastung der überbeanspruchten Ringstraße herbeigeführt werden. Mit anderen untetrindisdhem modernen Stadtbahnlinien, die den 1. Bezirk durchqueren werden, schafft die unterirdische Linie 2 die Voraussetzung, auf der Ringstraße den Straßenbahnverkehr aufzulassen. Am Matz- leinsdorferplatz wurde ebenfalls mit der Verlegung der Straßenbahn unter die Straße begonnen und ein weiterer Schritt zur Verbesserung der Verkehrsbedingungen auf der durch Kraftfahrzeuge überlasteten Gürtelstraße unternommen.

Wenn der Bau von Anlagen für die öffentlichen Verkehrsmittel auch stark in den Vordergrund, ggruckt ist, so będeutet dies,, abep nicht, daß nicht auch die Arbeiten am Straßennetz vorangetrieben werden. Im Jahre 1964 wurde mit der Nordeinfahrt das erste Stück Autobahn innerhalb der Stadtgrenzen dem Verkehr übergeben. Ein Jahr später folgte die Südeinfahrt mit dem Anschluß der Autobahn an die Triester Bundesstraße in Inzersdorf. Die Westeinfahrt mit der Anschlußstelle „Auhof“ im Wiental steht knapp vor der Vollendung.

Nicht unerwähnt soll bleiben, daß die Stadtverwaltung auch andere Bauaufgaben, wie die Errichtung zahlreicher neuer Schulen, durchführen konnte. Allen voran muß die dritte Zentralberufsschule in Meidling genannt werden. Mit dem Umbau des Rudolfsspitals konnte begonnen werden, und das Allgemeine Krankenhaus wird iin Zusammenarbeit mit dem Bund neu errichtet.

Eine Anzahl von neuen Bädern und Sportstätten sowie großen Grünanlagen sind gebaut worden, und aus der Reihe der Nutzbauten, denen für Leben und Wohlbefinden der Bewohner von Wien besondere Wichtigkeit zugesprochen werden muß, müssen das Grundwasserwerk in der Lobau und die Müllverbrennungsanlage am Flötzersteig sowie der Beginn der Arbeiten für Abwasserkläranlagen herausgehoben werden.

Alle Bauten, die hergestellt wurden, sind selbstverständlich nicht allein nach den derzeitigen Verhältnissen und Gegebenheiten projektiert worden, sondern immer mit dem Blick auf die voraussehbare künftige Entwicklung. Etwaige Befürchtungen, der Ausbau Wiens ginge nicht planmäßig vor laich, können leicht widerlegt werden. Nun werden zwar gewisse Ziele des städtebaulichen Planes — mehr Licht und Luft, mehr Grünflächen, die Trennung von Wohn- und Arbeitsstätten; der Schutz der Landschaft und die Erhaltung des historischen Stadtbildes, der Ausbau der Verkehrs-und Versorgungsanlagen usw. für immer Gültigkeit haben. Aber unser Wien ist zu unserer Freude keine sterbende Stadt, es lebt, es wandelt sich ebenso wie sich die Lebensformen und Bedürfnisse der Menschen ändern, die in ihm wohnen. Das Grundkonzept und alle Pläne, die danach erstellt wurden und noch werden, sind nichts Starres. Sie können sich ändern und werden sich ändern. Das ist aber nicht eine Folge von kurzsichtiger Planung und unzulänglicher Arbeit, sondern auf die dynamische technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung zurückzuführen, die ja die Triebfeder jeden Fortschrittes ist. Es wäre ein verhängnisvoller Fehler, wenn dem nicht eine ebenso dynamische Entwicklungsplan uag.entspräche, die derrfc,Wesa un- serer Stadt Rechnung trägt.

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