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Gartenzwerge gegen Wienerwald

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„Der seit Jahrzehnten fortschreitende ständige Verlust an Erholungsflächen, vor allem in stadtnahen Bereichen, hervorgerufen durch die meist ungeordnete Siedlungsausstrahlung Wiens, die ungünstige Struktur vieler Siedlungen und die damit verbundene wirtschaftliche Belastung der Gemeinden geben zu berechtigten Sorgen Anlaß.“

„Der außerordentliche Reichtum an Erholungslandschaft in der näheren und weiteren Umgebung Wiens berechtigt freilich nicht zur Sorglosigkeit in der Behandlung der Landschaft. Gerade in den letzten Jahren sind an sehr empfindlichen und weithin sichtbaren Stellen Einbrüche und Entstellungen durch technische und andere Bauten zu verzeichnen, die mit der Verantwortung gegenüber unserem Erbe an Natur und Kultur nicht mehr zu vereinen sind.“

Diese Anklagen stammen nicht von weltfremden Naturaposteln, sondern vom Institut für Raumplanung und vom Wiener Stadtplaner Professor Rainer.

Aber was bedarf es überhaupt fachmännischer Urteile. Ein Spaziergang in die westliche Peripherie Wiens zeigt deutlicher als Expertengutachten die schreienden Sünden wider die Landschaft, die hier seit Jahrzehnten begangen werden.

Wer heutzutage im Wienerwald wandern will, muß vorher riesige Kleingartenreviere durchqueren — Friedhöfe zerstörter Landschaften. Man kommt sich in dieser Welt von Zäunen wie „ausgesperrt“ vor und begreift nicht, wie dem im Prinzip zwar gesunden und zu bejahenden, in diesem konkreten Fall aber katastrophalen Wunsch vieler Großstädter nach einem eigenen Fleckchen Erde so weite und noch dazu geschlossene Flächen geopfert werden konnten. Leider ist die Situation des Wienerwaldes noch weitaus trister als es den Anschein hat. Große Wiesenflächen, die vorläufig noch unverbaut sind, wurden bereits rechtskräftig parzelliert, sind also dem Moloch „Gartenzwerg“ auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert.

Verglichen mit der heutigen Gefährdung des Wienerwaldes mutet der Anschlag, den Schöffel vereiteln konnte, wie ein harmloser Lausbubenstreich an. Damals gab es klare Fronten. Eine Clique verbrecherischer Spekulanten — Schöffel nannte sie die „österreichische Mafia“ — wollte den systematischen Raubbau am Wienerwald zu ihrem Geschäftsprinzip erheben. Schöffel gelang es aber durch Mut und Zähigkeit, der Bande das Handwerk zu legen, bevor sie ihre üblen Absichten verwirklichen konnte.

Damals vermochte noch ein einzelner im Kampf um die Rettung des Wienerwaldes etwas auszurichten. Heute könnte nicht einmal ein Dutzend beherzter Männer vom Schlag eines Schöffel der fortschreitenden Einengung des Wienerwaldes Einhalt gebieten. Es gilt nämlich, nicht bloß einen einzigen, sondern tausende Anschläge abzuwehren, von denen jeder einzelne für sich betrachtet oft nicht der Rede wert erscheint, die aber in der Summe weit mehr Unheil anrichten, als das Komplott von Schöffeis Gegenspielern imstande gewesen wäre.

Die große Gefahr, in der sich der Wienerwald heute befindet, resultiert einerseits aus der desolaten Lage der bodenständigen Landwirtschaft, anderseits aus der außerordentlich starken Nachfrage nach Bau- oder Gartenparzellen in dieser Gegend.

Den hier ansässigen Bauern, deren Vorfahren sich durch Holzfuhren und Heuverkauf von Holzarbeitern zu selbständigen Landwirten emporgeschwungen haben, wurde durch den technischen Fortschritt die Existenzgrundlage entzogen. Autos fressen kein Heu, und das Holz des Wienerwaldes spielt für die Brennstoffversorgung heute keine Rolle mehr.

Dabei sind die natürlichen Voraussetzungen für die Landwirtschaft im Wienerwaldbe'reich nicht schlechter als für einen Großteil der bäuerlichen Nutzungsflächen im übrigen Österreich. Es ist die Winzigkeit der meisten Betriebe, die sich dem Aufschwung des Wienerwaldbauerntums hemmend in den Weg stellt.

Ist schon der Umstand, daß man als Bauer im Wienerwald schlechter lebt als anderswo, für viele Grund genug, den Landwirteberuf an den Nagel zu hängen, wird diese Neigung noch dadurch verstärkt, daß man jede Wiese, jeden Acker um ein Vielfaches des Gewinns, den man bei jahrzehntelanger landwirtschaftlicher Nutzung erzielte, an den Mann bringt.

Der Ausverkauf landwirtschaftlicher Grundstücke schreitet in beängstigender Weise voran. Eine vor kurzem in der Gemeinde Preßbaum durchgeführte Erhebung ergab, daß sich auch von der heute noch landwirtschaftlich genutzten, unparzellierten Fläche ein erheblicher Teil bereits im Besitz von Berufsfremden — „Hobby “-Landwirten oder Spekulanten — befindet.

Im einzelnen führt das Erhebungsergebnis aus: Der Anteil des landwirtschaftlich genutzten Bodens, für den kein bäuerlicher Erbe da ist oder der sich heute schon in der Hand von „Nfchtlandwirten“ befindet, beträgt in den Katastralgemeinden Pfalzau 31,75 Prozent, Rekawinkel 20 Prozent, Au am Kraking 28,30 Prozent und Preßbaum 26 Prozent der gesamten Nutzungsfläche. Weibliche Nachfolger sind in Pfalzau“- für 21 Prozent, in Rekawinkel für 15 Prozent, in Au am Kraking für 14 Prozent und in Preßbaum für 5 Prozent der Fluren zu erwarten.

Die eben geschilderten Besitzverhältnisse in der Gemeinde Preßbaum stellen keine Ausnahme dar. Sie sind für den Wienerwald charakteristisch. Im unmittelbaren Ausstrahlungsbereich der Wiener Stadtregion ist die Landflucht noch stärker. So sind in der Gemeinde Gablitz gar 3 8,25 Prozent des landwirtschaftlichen Bodens an Berufsfremde übergegangen. Weitere 11,36 Prozent werden bald auch abgeschrieben werden müssen, da es an männlichen Nachkommen fehlt.

Angesichts einer solch krisenhaften Entwicklung ist es nicht weiter verwunderlich, daß im Wienerwald immer mehr Grund und Boden der schleichenden Parzellierung zum Opfer fällt. Ein Trost bleibt immerhin. Der Großgrundbesitz ist bedeutend weniger parzellierungsanfällig als die kleinbäuerlichen Fluren, doch — selbst die Grenzen der Staats- und Kirchengüter boten für die Besiedlung in vergangenen Jahren keine Barrieren.

Im Jahre 1954 kam mit den ehemaligen Randgemeinden der weitaus größte Teil des Wienerwaldes an Niederösterreich. Der für die Erholung der Großstadtbevölkerung so wichtige Raum ist dadurch zum Großteil der direkten Einflußnahme der Wiener Stadtverwaltung entzogen worden. Niederösterreich trachtete seiner Verantwortung für den Wienerwald dadurch gerecht zu werden, daß es das gesamte Erholungsgebiet im November 1955 unter Landschaftsschutz stellte. Ein Jahr darauf wurde auch für die bei Wien verbleibenden Teile des Wienerwaldes eine Landschaftsschutzverordnung erlassen, der jedoch mehr proklamatorische als praktische Bedeutung zukommt, da ja die Gemeinde Wien durch das Instrument der Flächenwidmungspläne Möglichkeiten besitzt, die ungesunde Ausbreitung der Bauzonen im Westen zu unterbinden.

Für Niederösterreich sah die Einführung des Landschaftsschutzes zunächst wie ein echter Fortschritt aus, bis sich nach einiger Zeit mit aller Deutlichkeit zeigte, daß die Bestimmungen über den Landschaftsschutz im niederösterreichischen Naturschutzgesetz aus dem Jahre 1952 eine glatte Fehlkonstruktion sind. Der Gesetzestext verlangt zwar, daß im Landschaftsschutzgebiet ohne Zustimmung der Naturschutzbehörde keine Baubewilligung erteilt werden darf, legt aber der Parzellierung von Grundstücken keinerlei Schranken auf.

Die Parzellierungsgenehmigung erteilt die zuständige Bezirkshauptmannschaft, und die Zustimmung zur Baubewilligung in einem Landschaftsschutzgebiet ebenfalls. Wie soll der einfache Staatsbürger je begreifen können, daß ein und dieselbe Behörde zuerst keinerlei Einwände gegen die Parzellierung eines Grundstückes erhebt, dann aber das Bauen darauf verbietet.

Legt sich bei einem frischgebackenen Eigentümer einer Wienerwald-parzelle die erste Enttäuschung über das Bauverbot, fängt er in der Regel an, nach Möglichkeiten Ausschau zu halten, wie er die Landschaftsschutzbestimmungen umgehen kann. Er wird auf seinem Grundstück, nachdem er es sorgsam eingefriedet hat, zunächst einmal eine Werkzeughütte errichten. Schließlich kann niemand von ihm verlangen, daß er sein Gartengerät im Freien herumliegen läßt oder stets mit nach Hause schleppt. Beim Werkzeugschuppen bleibt es aber gewöhnlich nicht. Die Hütte, die schon so geräumig und stabil gebaut wird, um unschwer in ein Weekendhaus verwandelt werden zu können, wächst sich langsam zu einer Villa aus. Und was einmal steht — so will es ein ungeschriebenes österreichisches Gesetz — darf nicht mehr abgerissen werden.

Man könnte diesem Unfug dadurch ein Ende bereiten, daß man im Wienerwald das Parzellieren erst gar nicht gestattet. Doch wäre es nicht zutiefst ungerecht, den Bauern des Wicner-waldes die letzte Möglichkeit zu beschneiden, sich aus eigener Kraft über Wasser zu halten, ohne gleichzeitig für die wirtschaftliche Sanierung dieses Gebietes zu sorgen?

In Wien geht man gegen die Verletzung der Baubestimmungen kaum rigoroser vor als in Niederösterreich. Schließlich hat die Gemeinde Wien, da sie selbst mehr als einmal gegen die Erhaltung des Wienerwaldes auf eklatanteste Art verstoßen hat, die moralische Berechtigung verspielt, gegen wilde Siedler scharf vorzugehen.

Wie kann man beispielsweise von den Kleingärtnern im Michaelerwald bauliche Disziplin verlangen, wenn man selbst gleich nebenan das Landschaftsbild durch die Errichtung von neun riesigen Wohnblöcken in brutalster Manier entstellt hat. Wie zum Hohn pflanzte man neben diese Ver-schandelung eine Tafel mit der Aufschrift: „Landschaftsschutzgebiet Wienerwald“ auf.

Hoffen wir, daß die guten Absichten des Wiener Stadtplaners, die weitere Ausdehnung der Verbauung nach Westen zu unterbinden, nicht Theorie bleiben.

Aber selbst wenn es der Initiative des Stadtplaners gelänge, auf Wiener Boden jede weitere Einengung des Erholungsgürtels abzuwenden, bleibt immer noch die Frage offen, wer den viel größeren, zu Niederösterreich gehörenden Teil des Wienerwaldes retten soll.

Es gibt nur ein Rezept für die Rettung des Wienerwaldes. Dieses lautet: Sanierung der Landwirtschaft und planmäßiger Ausbau des Fremdenverkehrs. Die Anwendung dieses Rezeptes kann nicht den kleinen, finanzschwachen Wienerwaldgemeinden zugemutet weiden, sondern muß gemeinsame Sache von Wien und Niederösterreich werden. Man könnte die Rollen der beiden Bundesländer bei der Rettung des Wienerwaldes etwa so aufteilen, daß Niederösterreich die Sanierung der Landwirtschaft übernimmt und Wien für den Ausbau dieser Gegend als Erholungsgebiet sorgt.

Dieser Ausbau müßte die Ausgestaltung der Gasthöfe in Fremdenunterkünfte, die Schaffung von Ferienkolonien H die natürlich die Landschaft nicht beeinträchtigen dürfen —, die Ausstattung der Bauernhöfe mit Fremdenzimmern sowie die Anlegung von Parkplätzen und Wanderwegen einschließen. Der Wienerwald sollte wie ein Naturpark behandelt werden. Nicht nur seine Erhaltung, sondern seine Pflege müßte das Ziel sein.

Die Zivilisation hat dem modernen Menschen viel gegeben, sie hat ihm aber auch viel geraubt. Der natürlichen Landschaft fällt daher die Funktion zu, ihm das Verlorene zu ersetzen. Sie muß Korrektiv des in die Steinschluchten der Großstadt verbannten Lebens sein. Daher dient der Landschaftsschutz letztlich dem Schutz des Menschen1. Hoffentlich setzt sich die Erkenntnis, daß die Pflege der natürlichen Landschaft nicht minder wichtig ist, als die Lösung von Verkehrsproblemen oder die Beseitigung der Wohnungsnot, endlich in stärkerem Maße durch, und hoffentlich ist es bis dahin nicht bereits zu spät!

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