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Gegenwart und Zukunft

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Wenn ich mit diesen Zeilen die Probleme und Sorgen des Landes Tirol aufzeigen soll, so erfordert dies vorerst eine Situatnons-sohilderung, damit sich auch der Leser, der Tirol nicht oder nur wenig kennt, eine Vorstellung von diesem Land machen kann.

Tirol hat heute eine Fläche von 12.647 km' und zählt 462.899 Einwohner. Es gibt 287 Gemeinden, wobei die Landeshauptstadt Innsbruck schon über 100.000 Einwohner aufweist. Durch das Friedensdiktat von St. Germain wurde mitten durch das Land eine Grenze gezogen, und an die 230.000 Tiroler kamen unter italienische Herrschaft. So entstand das heute noch so bedrückende Problem Südtirol. Damit gingen auch die reichen Weinbau- und Obstbaugebiete Südtirols und flächenmäßig mehr als die Hälfte des Landes verloren. Mag das heutige Tirol auch noch immer das drittgrößte Bundesland Österreichs sein, so darf nicht übersehen werden, daß Tirol ein Land mitten im Gebirge ist. 25% der vorerwähnten Fläche sind unproduktives Ödland, vorwiegend Felsgebiet, und 34°/o sind nur forstwirtschaftlch nutzbar. Lediglich rund 3,8% sind Ackerland und etwa ebensoviel Wiesenland.

Von der Wohnbevölkerung gehören nur noch 86.227 Personen der Land- und Forstwirtschaft an. Die Bauern stellen jedoch vor allem politisch die geschlossenste Volksgruppe dar und sind daher auch entsprechend stark im Landtag und in der Landesregierung vertreten. In den vergangenen Jahrhunderten hat sich gezeigt, daß der Bauer stets auch mit seinem Hab und Gut, ja sogar mit seinem Leben für die Freiheit des Landes einzutreten bereit war. Ein starker und geschlossener Bauernstand ist auch in der Gegenwart und Zukunft von entscheidender Bedeutung, er stellt gewissermaßen das Rückgrat des Landes dar. Nach dem Berghöfekataster sind in Tirol 17.314 Bergbauernbetriebe, das sind 63,8% der Gesamtzahl der landwirtschaftlichen Betriebe. Die Existenzsicherung dieser Bergbauernbetriebe erfordert die Sicherung des Viehabsatzes durch eine planvolle Förderung des Viehexportes, die Erschließung der Bergbauernbetriebe durch Güter- und Waldwege und ausreichende Versorgung mit elektrischem Strom und Wasser, zielbewußte Grundzusammenlegungen und vor allem die Schaffung zusätzlicher Verdienstmöglichkeiten insbesondere durch den Fremdenverkehr, aber auch durch Ansiedlung von gewerblichen und kleinindustriellen Betrieben in den Notstandsgebieten.

Die bedeutendsten Einnahmequellen1 des Landes stellen die Industrie und der Fremdenverkehr dar. Die 422 Betriebe der Industrie samt Zweigniederlassungen erbrachten 1964 einen Bruttoproduktionswert von 5,4 Milliarden Schilling. Davon entfallen etwas mehr eis 20% auf den Export. Der Deviseneingang aus dem Ausländerfremdenverkehr im vergangenen Jahr ergab gleichfalls einen Betrag von rund 5 Milliarden Schilling. Da dieser Fremdenverkehr nicht nur auf Städte und ausgesprochene Fremdenverkehrsorte, auf Hotels und Gasthöfe konzentriert ist, sondern weit in die Täler, Dörfer und Weiler ausstrahlt, stellt gerade er eine bedeutende Stütze des Bauernstandes dar. 100.000 gewerblichen Betten stehen fast ebensoviele Privatbetten gegenüber. Die Zahl der Ausländer-nächtigungen betrug im Fremdenverkehrsjahr 1963/64 (1. November 1963 bis 31. Oktober 1964) an die 15 Millionen.

Ein Großteil des Tiroler Volkes findet Verdienst und Lebensunterhalt in den Betrieben der gewerblichen Wirtschaft. Gerade hier ist der Konkurrenzdruck besonders stark. Unentwegt wird an der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit besonders im Hinblick auf den sich immer mehr entwickelnden internationalen Markt gearbeitet. Insgesamt gibt es in Tirols gewerblicher Wirtschaft einschließlich Industrie 100.688 Beschäftigte.

Tirol liegt mitten im Alpenbogen, es ist ein ausgesprochenes Gebirgsland. Das kommt vor allem der Energiewirtschaft zugute. Die Stromerzeugung beträgt jährlich bereits mehr als 2 Milliarden kWh, aber auch hier kam genau wie beim Fremdenverkehr dieser Erfolg nicht von selbst, sondern er setzte den Bau einer Reihe von bedeutenden Kraftwerken voraus. So wurde erst vor kurzem im Kaunertal ein Großspeiöher mit einem Nutzinhalt von 140 Millionen Kubikmeter errichtet. Das im Krafthaus Prutz abgearbeitete Speicherwasser ergibt eine Jahresleistung von rund 600 Millionen kWh.

Insbesondere durch den enormen Fremdenverkehr ist ein gutausgebautes Straßennetz unerläßlich. Mehr als 80% des grenzüberschreitenden Verkehrs spielt sich auf der Straße ab, und nur der Rest erfolgt mit Bahn und Flugzeug. Allein die Erhaltung der bestehenden Verkehrsflächen bedeutet schon eine enorme Belastung der Budgets der Gebietskörperschaften, da die Winter- und Frostschäden in einem Gebirgsland unvergleichlich stärker als im Flachland sind. Die im Bau befindliche Autobahn Kufstein— Innsbruck—Brenner ist ein gigantisches Bauvorhaben. Beweis dafür ist die Europabrücke, die zwischen Patsch und Schönberg in der Nähe von Innsbruck 190 m über dem Talboden der Sillschlucht hinwegführt Der Ausbau der Felbertauernstraße, die Nordtirol über das Land Salzburg mit Osttirol verbindet, dürfte 1967 zum Abschluß kommen. Von den 5883 km Gemeindewegen muß ein Großteil staubfrei gemacht werden, denn gerade Staub, Rauch und Lärm stellen die modernen Plagen der Menschheit dar.

Große Aufgaben stehen Tirol für die Zukunft bevor. Abgesehen von der Fertigstellung der erwähnten Autobahn und der Felbertauernstraße ist der zweigleisige Ausbau der Bahnstrecke Innsbruck—Landeck eine dringende Notwendigkeit. Weitere Elektrizitätskraftwerke müssen errichtet werden, um der ständigen Zunahme des Stromverbrauches Rechnung zu tragen. Die Errichtung einer Technischen Hochschule mit einer Fakultät für das gesamte Bauwesen in Angliederung an die Universität Innsbruck bedeutet für die Republik Österreich, das Land Tirol und die Stadt Innsbruck große finanzielle Opfer. Von den notwendigen Hochbauten seien die Fertigstellung der Chirurgischen Klinik in Innsbruck mit rund 250 Betten, der Totalumbau des Tiroler Landestheaters, die Errichtung von weiteren Mittelschulen bzw. Lehrerakademien, um nur einige Beispiele aufzuzeigen, erwähnt. Die Hochwasserkatastrophen im Juni und September dieses Jahres haben von neuem wieder die unbedingte Notwendigkeit von Wasserschutzbauten erwiesen. Darüber hinaus gilt es, gewaltige Schäden, welche die zweimalige Flut an privatem und öffentlichem Eigentum, an Straßen und Brücken angerichtet hat, zu beheben. Gerade hier bedarf es einer engen Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, aber auch der Hilfe der gesamten Bevölkerung, um mit Menschenkraft das gutzumachen, was Naturgewalt angerichtet hat. Auch dem Wohnbau muß in Tirol ebenso wie in anderen Bundesländern Österreichs weiterhin die notwendige Aufmerksamkeit gewidmet werden.

Schließlich darf eine Tiroler Landesregierung, der das Vertrauen des Tiroler Volkes gehören soll, niemals das Geschehen in Südtirol aus dem Auge lassen. Wenn schon das natürliche Recht der Völker auf Selbstbestimmung dem Südtiroler Volk vorenthalten wird, so muß zumindest die im Pariser Vertrag versprochene Autonomie in Gesetzgebung und Vollziehung Wirklichkeit werden. Die Erhaltung des Südtiroler Volkstums kann nur im Rahmen einer echten Autonomie gewährleistet werden, das haben die Ereignisse der vergangenen Jahrzehnte hinreichend bewiesen. Es darf nicht im Herzen Europas ein ständiger Unruheherd verbleiben. Hier wartet auf Österreich noch eine große Aufgabe und Verpflichtung.

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