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Hospitäler der Zukunft

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Dr. Jaro, der Verfasser dieses Artikels, ist der Direktor der Sammlungen des Medizinischen Museums des ,,International College Of Sur- geons“ in Chikago. Die amerikanische Abteilung der gegenwärtigen Krankenhausausstellung im Österreichischen Bauzentrum ist von ihm zusammengestellt worden. Zwar be- . tont der Autor, daß er ausschließlich über amerikanische Spitalsverhält- nisse berichtet, aber im Hinblick auf den projektierten Neubau des Allgemeinen Krankenhauses in Wien können seine Ausführungen auch für uns manchen wertvollen Hinweis geben.

Die Redaktion der „Furche"

Wir leben in einem Zeitalter der Entdeckungen und wissenschaftlichen Fortschritte, das der Renaissance gleichzusetzen ist. Viele Krankheiten, die gestern noch zur größten Besorgnis Anlaß gaben, sind fast verschwunden. Das Eindringen in die genetischen Entwicklungen hat uns die „Antibiotics“ finden lassen, deren mehr-oder minder effektive Wirkung ein unumstößlicher Bestandteil der Heilkunde geworden ist. Die Altersgrenze ist über das 65. Lebensjahr hinaus verlängert, und wir müssen uns in die Zukunft projektieren, um Bedingungen und Anforderungen gerecht zu werden, die eine wissenschaftlich korrekte Lösung erheischen.

Als wir in unserem Chicago Museum Of Surgical Science vor die Aufgabe gestellt wurden, eine Hospital-Ausstellung zu machen, wandten wir uns unter anderen an zwei der führenden Persönlichkeiten der Hospitalarchitektur: Todd Wheeler, der mit den Architekten Perkins & Will ungefähr 70 Krankenhausprojekte durchgeführt hat, und den medizinischen Baukonsulenten Dr. Charles U. L e t o u r- ntait, dessen medizinische und Ver- waltungserfahrung, verbunden mit praktischer Philosophie, das traditionsgebundene Denken der Hospitalbildner in einer fast revolutionären Form geändert hat.

Hospitäler hat es in den verschiedensten Zeiten gegeben. Ein Bild von der Sammlung des International College Of Surgeons, von der Hand des italienischen Künstlers Calvi di Ber- golo, zur Zeit im Österreichischen Bauzentrum in Wien ausgestellt, zeigt, wie in den Spitälern des Mittelalters in einem Raum Kranke behandelt, operiert und in Betten zusammengepfercht wurden. Es ist knapp hundert Jahre her, daß Ignaz Semmehveis hier in Wien für das Waschen der Hände, der antiseptischen Reinlichkeit in den Operationssälen einen heroischen Kampf führen mußte, der Engländer Joseph Lister „carbolic acid“ einführte und die Protestantin Florence Nightin- gale, von katholischen Ordensschwestern angeregt, die Organisation der weltlichen Krankenpflegerinnen, deren Ausbildung als Sachwalter hygienischer Maßnahmen in Spitälern, in ihre energieerfüllten Hände nahm. Von diesem Zeitpunkt an wurden die Architekten vor Aufgaben gestellt, in denen sie erst einmal die Funktionen der Krankenbausdepartments studieren mußten, bevor sie ihre Entwürfe niederlegen konnten.

Mensch und Medizin

Der Verfasser dieses Aufsatzes möchte vorausschicken, daß er in den folgenden Ausführungen von amerikanischen Bedingungen der Zukunft und dann der Gegenwart, gesehen von E. Todd Wheeler und Charles U. Letourneau, berichtet.

Wir werden in dem knapp bemessenen Zeitraum von 15 Jahren ungefähr zweihundert Millionen Menschen in den Vereinigten Staaten Amerikas haben. Es herrscht ein großer Mangel an Studenten der Medizin, der Krankenhausprofession und Krankenschwestern. Die Menschen ziehen aus den Städten in Vororte hinaus, und zwischen Vororten und Städten bilden sich neue Wohngebiete, die als „Inter- suburbia“ bezeichnet werden. Wie wird das Krankenhaus einer solchen gigantischen Entwicklung gerecht werden können, da seine Notwendigkeit als unbestritten angenommen weiden muß?

E. Todd Wheeler meint, daß das Hospital, wie wir es heute kennen, völlig verschwinden wird und viele Entwürfe, die im Moment auf den Zeichentischen der Ingenieure und Architekten liegen, morgen vielleicht schon überflüssig sind. Er fragt sich: Wie wird der Mensch der Zukunft in einem elektronischen und atomaren Zeitalter aussehen, was werden seine Nöte und Krankheiten sein, und wie wird sich das Hospital diesen Änderungen anpassen?

Wheeler läßt nicht den Flug einer kühnen Phantasie walten, sondern basiert seine Zeichnungen und Entwürfe auf eine lebenslange Beobachtung und Zusammenarbeit mit Medizinern, Biologen, Therapeutikern, Chemikern, Pharmakologen und Anthropologen.

Wird der Patient der Zukunft aktiv oder mehr passiv sein, wird er in einem Zeitalter der elektronischen Druckknöpfe und Hebel überhaupt noch seine Beine gebrauchen, wird er mehr zerebral, dünner, dicker, vom Altern physisch beeinflußt sein?

Wie wird sich die Medizin ändern und die ihr verwandten Wissenschaften, wenn man annehmen muß, daß mehr Patienten, mehr Kinder und mehr alte Menschen auf unserem Kontinent weilen werden?

Es steht außer Frage, daß der Anlaß, geheilt zu werden und gesund zu sein, immer vorherrschend sein wird, daß das Hospital dem Doktor zur Seite stehen wird, die Kunst der medizinischen Applikation auszuüben, dem Patienten dSn größten Komfort zu bieten und zur gleichen Zeit eine lebendige Zentrale der Forschung zu sein.

Biochemie, Neurologie, Endokrinologie, Psychologie, Radiologie. Kardiologie. Mikrobiologie und viele andere bekannte und verwandte Gebiete werden die Pläne der zukünftigen Architekten beeinflussen, deren Talent den Ausdruck in Form und Stil finden wird.

Patient und Spital

Nach Wheelers Ansicht wird der Patient der Zukunft sofort bei seiner Einlieferung in das Hospital anästhesiert oder durch Hypnose für die ganze Dauer seiner Krankheit in einen Schlafzustand versetzt werden. Er wird künstlich ernährt, elektronische Apparate werden seinen Puls, die Temperatur, die Veränderung in seinem Befinden auf Leuchtzeichen außerhalb seines schmalen Kranken raumes registrieren, so daß — durch die Knappheit an Ärzten und Schwestern bedingt — eine dauernde Kontrolle vorgenommen werden kann. Er geht krank zu Bett und wacht gesund — ohne das geringste Schmerzgefühl — auf.

Ein solches Hospital sieht Wheeler als eine Ökonomielösung an, während er dem Menschen der Zukunft noch zwei andere Klassen von Hospitälern zubilligt: ein Luxuskrankenhaus, herrlich in freier Natur gelegen, und einen

„Standard“-Entwurf, der sich für Vor- fabrizierung eignet, schnell befördert und in größter Geschwindigkeit die Notwendigkeit einer Schnellkonstruktion erfüllen kann.

Eine von Wheelers Voraussagen hat sich schneller erfüllt, als er es wohl annahm. Es werden bereits Versuche mit einem Lift-Hospital gemacht. Jedes Krankenzimmer ist ein Fahrstuhl, den der Patient nach seinen individuellen Wünschen vom Bett her dirigieren kann. Er braucht nicht mehr verzweifelt nach der Krankenschwester zu klingeln, um seine Wünsche befriedigt zu wissen. Im Falle, daß er ein Buch oder eine Zeitung lesen möchte, ein Druck auf den Knopf, und sein ganzer Raum fährt zur Bibliothek. Er kann zum Restaurant, zum Garten, ohne sein Bett zu verlassen. Der einzige Weg, den er nicht seinem Verlangen gemäß „fahren“ kann, ist der nach dem Operationssaal.

Die Spitäler haben heute bereits unter dem Mangel an Parkplätzen für die automobilisierten Besucher zu leiden. An Besuchstagen sind die Treppenaufgänge, die Fahrstühle überfüllt, und sehr oft koordinierten, notwendigen Funktionen im Wege.

Wheeler hat auch dafür eine geniale Lösung. Ein Spiralenhospital, mit Auf fahrtsrampen bis zum obersten Stockwerk versehen, auf denen man bis zur Tür des Krankenzimmers oder eines bestimmten Korridors hinaufgelangen kann. Einfach, sachlich, zweckmäßig und stilistisch amüsant. Auch dieser ,,Entwurf der Zukunft“, in unserem Chicago-Museum das erste Mal zur Schau gestellt, sieht einer baldigen Ausführung entgegen.

Der gesamte Komplex des sogenannten „Hospitals der Zukunft"

wird, um es zusammenzufassen, von den folgenden Erwägungen ausgehen: „Was wird von dem Hospital verlangt werden, was wird in ihm vorgehen, welche Art von Equipment wird es benötigen, welche Schwesterwissenschaften der Medizin werden in der überwiegenden Mehrheit sein?“ Davon ausgehend, könnte der Architekt der Zukunft ein Gebäude errichten, das brauchbar, schön und wahrscheinlich völlig anders ausschauen wird als die Strukturen, die uns heute begrüßen.

Die rauhere Gegenwart

Nun von der Zukunft zu der etwas rauheren Gegenwart. In San Antonio, Texas, wird im Augenblick das erste strahlensichere Hospital von drei Architektenfirmen unter der Anleitung des Dr. Letourneau fertiggestellt. Sein Name ist „South West Methodist

Hospital“, es wird in Fachkreisen als der „Survival Complex“ betrachtet.

Wir wissen aus der naheliegenden Vergangenheit, daß Hiroshima und Nagasaki viele Überlebende hatte. Es wird auch — wenn der Wahnwitz triumphieren sollte — nach einer zukünftigen atomaren Attacke Patienten geben, die eingeliefert, von radioaktiven Schlacken gesäubert, in einer gewissen sicheren Umgebung betreut und geheilt werden müssen. Es ist das große Verdienst der South-West- Methodist-Gemeinde, den Anregungen ihres Direktors William D. Hamrick gefolgt zu sein, sich sofort der Herstellung eines subterritorialen Spitals zu widmen. Allen Voraussetzungen und wissenschaftlichen Kalkulationen zufolge sollte es 1200 Menschen Zuflucht bieten. Die in den Obergeschossen liegenden Kranken werden im Falle einer Angriffsgefahr zwei Stockwerke unter der Erde in klima- kontrolliette Geschosse gebradht. Essenproviant, Krankheits- und Hospitalequipment ist für Wochen im voraus eingelegt, weil es nahezu über 14 Tage dauert, bevor die außenseitige radioaktive Gefahr vorbei ist. Helikopterflugzeuge bringen Verletzte heran, Entscheidungen müssen in aller Schnelle über den „hoffnungslosen“ Fall getroffen werden. Radiokinegra- phen messen den Gehalt der Radioaktivität im menschlichen Körper, Hilfestationen für schnelle chirurgische Eingriffe sind in Mehrzahl vorhanden.

Das transportable Krankenhaus

Es hat Jahre der Forschung und Überlegung gedauert, bis Dr. Letourneau die Errichtung des Nuclearen- Hospitals gestattete. Er ist ein Mediziner, der während des Krieges die Verwaltung von Militärhospitälern übernehmen mußte. Von dieser Erfahrung her hat er dem neuen Universitätszweig der „Hospitalverwaltungslehre" Existenzberechtigung verliehen. Sein hier abgebildetes ,St.-Josephs- Hospital“ in Belvidere, Illinois, ist eine interessante Lösung zu den Problemen der Übervölkerung, der hastvoll erbauten Städte zwischen den Vororten, die Todd Wheeler angedeutet hatte. Das Hospital ist in einer Kleeblattform angelegt. Jeder Flügel repräsentiert eine Einheit von 100 Betten. !m Falle eines Bevölkerungszuwachses können neue Flügel „angesetzt“ werden. Dieses von dem Architekten F. Wolfenberger gebaute katholische Spital kann in einzelnen Teilen vorfabriziert und völlig equipiert per Flugzeug, Schiff oder Eisenbahn in Ortschaften gebracht werden, die im Krieg oder Frieden schnellste Krankenfürsorge benötigen.

Es ist für uns Amerikaner eine ganz besondere Ehre, vom Österreichischen Bauzentrum nach Wien mit unserer Hospitalschau eingeladen worden zu sein. Wien als ein Zentrum der medizinischen Kultur hat unserer Wissenschaft so viel anregenden Impuls verliehen, daß wir vom Museum of the International College of Surgeons in Chikago hoffen, einige Ideen durch unsere Modelle und Zeichnungen übermittelt zu haben, die sich in der Auswirkung als fruchtbar erweisen werden.

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