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Hotellerie fur Gsteanspruch gewappnet?

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In den letzten Jahren macht sich eine Wandlung der Lebens- und Reisegewohnheiten bemerkbar, deren Ursache nur zum Teil im technischen Bereich liegt; — bessere billigere und bequemere Verkehrsbedingungen bringen eine Umschichtung der Reiseströme mit sich. Die Rastlosigkeit, die den modernen Menschen kennzeichnet, tritt auch bei dem Hotelgast in Erscheinung: Er will möglichst viel in einer möglichst kurzen Zeit sehen und erleben; gleichzeitig will er sich erholen; und außerdem bezweckt er, oft unbewußt, eine Hebung seines. Sozialprestiges — . die vermehrte Inanspruchnahme von Dienstleistungen gilt als Statussymbol. Der Hotelgast von heute spiegelt letztlich in seinen Erwartungen und Ansprüchen die soziologischen, technischen und wirtschaftlichen Entwicklungen der Industriegesellschaft wider.

Die Wirtschaft produziert immer mehr in einem immer kürzeren Zeitraum. Dadurch kommen breitere Bevölkerungsschichten in den Genuß eines wachsenden Realeinkommens, das allerdings — trotz sinkender Arbeitszeit und verlängertem Urlaub — mit vermehrten physischen und insbesondere psychischen Belastungen erkauft werden muß. Die Bedeutung des Erholungsurlaubs wächst, wobei Erholung nicht nur im orthodoxen Sinn, sondern auch als Erholung vom Alltag verstanden werden muß. Der Wunsch nach neuen Eindrücken, einem Orts-, Klima- und Temperaturwechsel, einer intensiveren- Teilnahme am geistig-kulturellen Leben und auch die aktive und passive Beteiligung am Sport bewirken Reiseströme, die der österreichischen Hotellerie zu einer sehr dynamischen Entwicklung verholten haben. Neben einer gesteigerten Reise- und Erholungslust verursacht die wachsende Verflechtung der internationalen Wirtschaft, Politik und Wissenschaft eine kontinuierliche Verstärkung des Reiseverkehrs. Geschäftsleute ,und Politiker, Mitglieder internationaler Organisationen und Teilnehmer an wissenschaftlichen Kongressen bilden neben ande-* ren, die sehr heterogene Masse der Reisenden, die sich nicht nur auf Grund ihrer unterschiedlichen Individualität und Nationalität, sondern auch auf Grund des sehr unterschiedlichen Zwecks, den sie mit ihrer Reise verbinden, durch differenzierte Ansprüche unterscheiden.

.Selbst wenn von allen individuellen Komponenten abstrahiert wird, lassen sich diese Ansprüche nur sehr vereinfacht auf einen generellen Nenner bringen: Der Hotelgast setzt voraus, daß er jeden Komfort, den ihm sein eigenes Heim bietet, auch im Hotel vorfindet; er beansprucht daher zusätzliche Dienste und sachliche Aufwendungen, die ihm zu Hause nicht zur Verfügung stehen.

Der Dienst am Gast beginnt beim Empfang im Hotel — gegebenenfalls bereits bei der Abholung von Bahnhof oder Flughafen. Von diesem Zeitpunkt an bis zur endgültigen Abreise oder der Zubringung zu Bahnhof oder Flughafen will der Hotelgast betreut und umsorgt sein.

Während seines Aufenthalts im Hotel schätzt es der moderne Reisende, dessen Tagesablauf oft sehr hektisch verläuft, wenn er auch zu ungewöhnlichen Tages- und Nachtzeiten Küche und Keller in Anspruch nehmen kann

— möglichst sogar im Zimmerservice. Der ,Orts- und Landesunkundige erwartet ' dazu vielfach eine interessante und fachkundige Einführung in die gastronomischen Spezialitäten des Hauses, des Ortes und des Landes. Falls er das Hotel nicht nur als Durchreisestation benützt, will er auch über die sonstigen Möglichkeiten des Hotels und der Umgebung beraten sein. Je nach seinen persönlichen Neigungen und Interessen beansprucht er Informationen über Sehenswürdigkeiten, Verkehrseinrichtungen, Unterhaltungsmöglichkeiten, kulturelle und sportive Veranstaltungen. Es ist daher erforderlich, daß das Hotelpersonal vielseitig informiert und auch imstande ist, dieses Wissen in entsprechender Form weiterzugeben.

Dabei versteht es sich von selbst, daß der ausländische Gast, der die Landessprache nicht beherrscht, nach internationaler Gepflogenheit zumindest in den beiden Hauptsprachen — Englisch und Französisch — verstanden werden will.

Die sachlichen Anforderungen, die an einen modernen Hotelbetrieb gestellt werden, sind einem dauernden Wandel unterworfen: Eine gepflegte Außen- und Innenausstattung mit technischen Einrichtungen wie Lift, Zentralheizung, individuellem Bad mit Dusche und WC, möglichst unkomplizierte Zimmertele-phon- und Radioanschlüsse, Fernsehempfänger im Zimmer oder zumindest in einem für Hotelgäste zugänglichen gemütlichen Raum gehören zu den Selbstverständlichkeiten. Der von internationalen Standards verwöhnte Luxusgast erwartet darüber hinaus nicht nur in fashionablen Erholungszentren, sondern heute vielfach schon in erstklassigen Stadthotels eine Sauna und neuerdings sogar ein Schwimmbad.

In den großen internationalen Hotels darf der Reisende auch annehmen, daß er seine usuellen Bedürfnisse wie Friseur, die Besorgung von Theaterkarten, Flugtickets und sonstigen Fahrkarten, Souvenirs, Reiseutensilien und Artikel des täglichen Bedarfs (etwa Zeitschriften und Parfümeriewaren) unter einem Dach erledigen kann.

Ist die österreichische Hotellerie diesen modernen Gästeansprüchen gewachsen? Obzwar von mancher Seite die Befürchtung geäußert wurde, daß Österreich ein Land der Kellner und Skilehrer zu werden droht, liegen die größten Schwierigkeiten auf dem Personalsektor. Quantitative und qualitative Lücken im personellen Bereich verursachen jene Engpässe, die zu bestimmten Zeiten (den Saisonspitzen), an bestimmten Orten (dort, wo die Arbeitsmarktreserven bereits erschöpft sind) und in bestimmten Bereichen (zum Beispiel dem Verpflegungssektor) die österreichische Hotellerie vor große Probleme stellen. Generell ist festzustellen, daß in der Gegenwart, wo wachsender Wohlstand und längere Freizeit immer weitere Kreise der Bevölkerung in die Lage versetzen, die Dienste eines Hotelbetriebes in Anspruch zu nehmen, immer weniger Menschen bereit sind, jene personellen Dienste zu leisten, die damit verbunden sind. Darüber hinaus schafft die Verkürzung der gesetzlichen und der effektiven Arbeitszeit, die sich bei den Gästen zum Vorteil des Hotelbetriebes auswirkt, bei den eigenen Dienstnehmern einen nicht zu übersehenden Nachteil — die eigenen Dienstnehmer fordern natürlich auch mehr Freizeit. Wie alle Dienstleistungsunternehmen hat jedoch der Hotelbetrieb nur wenige Möglichkeiten, durch Rationailisierungsmaßnahmen Personal einzusparen. Bereiche, wo es unter bestimmten Umständen bis zu einem gewissen Grade möglich ist, Dienstleistungen zu speichern, sind rar. Im allgemeinen gilt, daß angebotene, nicht konsumierte Dienstleistungen unwiederbringlich verloren sind. Es entstehen Bereitschaftskosten, die durch keine Leistung kompensiert werden. Setzen aber schon die bestehenden Sozialgesetze — vor allem die Arbeitszeitbeschränkungen — dem personellen Service der österreichischen Hotellerie Grenzen, so muß mit allem Nachdruck darauf verwiesen werden, daß die Einführung der 40-Stunden-Woche im Hotelgewerbe die Dienstleistung, zu der sich der österreichische Hotelier dem Gast gegenüber verpflichtet fühlt, weiter einschränken oder, falls sie dennoch geboten wird, wesentlich verteuern würde.

In Fragen der Ausstattung ist die österreichische Hotellerie im großen und ganzen modernen Gästeansprüchen gewachsen. Die speziell nach 1955 begonnene Aufbauarbeit hat eine ausreichende Kapazität in den erforderlichen Kategorien geschaffen. Privatinitiative, Mut und Energie der österreichischen Hotellerie wurden durch ERP-Kredite, Kreditaktionen des Bundes, der Länder und Gemeinden unterstützt, so daß sowohl die Ansprüche der Gesellschaftsreisenden als auch die der verwöhnten Einzelreisenden im allgemeinen erfüllt werden können. Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Ansprüche dauernd steigen, der technische Fortschritt macht auch vor den Hotels nicht halt. Einrichtungen, die noch vor einigen Jahren durchaus entsprachen, sind heute überholt, so Aufzüge und sanitäre Anlagen, die in den Zwischenkriegs jähren gebaut wurden. Neuinvestitionen für Klimaanlagen, Thermostatregelungen usw. sind nicht mehr der Luxusklasse vorbehalten, wobei sich die österreichische Hotellerie naturgemäß an den Erfahrungen, die in anderen Ländern gemacht werden, orientiert. Last not least stellt der moderne Gast auch noch etwas weniger tangible Ansprüche — er will das glückliche Bewußtsein haben, in „seinem“ Hotel nicht nur notwendig, sondern auch gern gesehen zu sein. Die österreichische Hotellerie ist bestrebt, in dieser rein menschlichen Komponente riohtungsgebend zu sein, und setzt damit eine sehr bewährte österreichische Tradition erfolgreich fort.

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