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Innsbruck wird olympiareif

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DER AUSDRUCK „OLYMPISCHES DORF“, traditionelle Bezeichnung für die Unterkünfte der Olympioniken und Funktionäre, erschien schon für die Bauten der Sommerolympiade in Rom nicht mehr ganz zutreffend. Hatten die Weltklassesportler zu Nurmis Zeiten beim Großkampf im Zeichen der fünf Ringe ihre müden Häupter unter den Dächern leichter Bungalows gebettet, so logierten sie am Tiber in soliden, mehrgeschossigen Häusern. Statt temporärer Holzwände hatte man permanente Betonfundamente und Glasfronten errichtet; da konnte man normale Wohnungen schaffen, als das olympische Feuer verlöscht war. Das kostete zwar von Anfang an mehr, ist aber besser, als die leerstehenden Sportlerquartiere (es gibt noch keinen Denkmalschutz für olympische Dörfer!) schließlich zu Kleinholz zu machen.

Auch in Innsbruck entschied man sich im Zuge der großen Vorbereitungsarbeiten für die Olympischen Winterspiele 1964 für ein Mehrzweckprojekt. Das Olympische Dorf mußte gebaut werden, aber es sollte nicht nur den internationalen Ski-, Rodel-und Hockeyassen zugute kommen, sondern schließlich Wohnungssuchenden „Schbruggern“ samt Familien. Denn auch im Schatten der Nordkette sind Wohnungen rar. Folkloristisch timbrierte Pläne und Anregungen für eine richtige Dorfanlage im heimischen Stil blieben in den Mappen, stattdessen errichtete man am Innsbrucker Stadtrand, in Neu-Arzl, eine moderne, großstädtische Anlage, die während der Winterolympiade 1964 3000 Sportler und Funktionäre beherbergen wird. Es sind acht Hochhäuser mit je elf Geschossen, die vor wenigen Tagen im Rohbau fertiggestellt wurden. Fünf der Häuser stehen unter der Bauherrschaft der Tiroler Landeshauptstadt, die für diese Zwecke beträchtliche Zuschüsse aus dem Wohnungs-Wiederaufbau-Fonds des Bun-desiniiiisteriums für Handel und Wiederaufbau erhielt. Dies wurde Minister Dr. Bock anderwärts als Bevorzugung übel vermerkt, doch bekanntlich kann man Olympische Winterspiele nicht auf dem Kinderrodelhang abhalten, und Innsbruck ist nun einmal von der Natur bevorzugt, ausgezeichnete Geländeverhältnisse für die Wettkämpfe der Weltelite des Wintersports bieten zu können.

Die drei übrigen Hochhäuser errichten private Genossenschaften. Insgesamt werden den Sportlern mehr als 1800 Räume zur Verfügung stehen. Im Frühjahr 1964, wenn die Fahnen mit den fünf Ringen wieder eingezogen sind, beginnen dann die erforderlichen Adaptierungsarbeiten, um aus den Olympionikenquartieren 689 Wohnungen zu machen. Wer weiß, vielleicht wächst in Neu-Arzl, auf „traditionellem“ Boden, eine künftige Größe der Olympischen Winterspiele 1984 heran!

„MANDER, 'S ISCHT ZEIT!“ Unter dieser klassischen tyrolischen Devise arbeitet das Organisationskomitee für die Olympischen Winterspiele 1964 schon seit langem daran, Innsbruck „olympiareif“ zu machen. Im Zusammenwirken zwischen „Offiziellen“ und pistengerechten alten Hasen wurde rechtzeitig die kurvenreiche organisatorische Slalomstrecke abgesteckt und ein präziser „Generalstabsplan“ erstellt, der mit seiner wohldurchdachten Gruppierung aller Details bereits die Anerkennung des Auslandes gefunden hat.

Besondere Aufmerksamkeit wird den Vorbereitungen für einen glatten Ablauf der publizistischen Arbeit gewidmet, den in- und ausländischen Journalisten sollen die besten Möglich-lceiten geboten werden. Seit mehr als einem Jahr amtiert bereits das Olympische Pressereferat, dessen Leiter mehrere deutsche Großstädte bereiste, um die Kollegen über die Gegebenheiten zu informieren. Überdies schickte man eine „Olympia-Ausstellung“ mit Bildern, Plänen und Modellen auf große Fahrt: von Madrid über Athen bis Oslo.

Das neue Chemische Institut neben dem Hauptgebäude der Universität Innsbruck, vorläufig noch nackter Beton, wird im Februar 1964 als olympisches Pressezentrum dienen. Drei Geschosse werden den in- und ausländischen Journalisten zur Verfügung stehen, die Arbeitsräume nach Sprachgruppen eingeteilt, mit etwa 63 Fernsprechstellen und 35 Fernschreibern für Direktverbindung mit den Redaktionen. Überdies werden mehrere Photolabors mit Dunkelkammern und Bildfunkgeräten eingerichtet. In den oberen Stockwerken des neuen Baues sollen, laut Organisationsplan, Rundfunkreporter und Fernsehteams untergebracht werden, auf dem Flachdach schließlich wird man Parabolspiegel aufstellen, um TV-Direktübertragungen zu ermöglichen.

Wenige Schritte neben dem Institut liegt das moderne Internationale Studentenhaus, das wird sozusagen ein kleineres Gegenstück des Olympischen Dorfes, als Quartier der Olympioniken von Wort und Bild. Die größeren Konferenzen werden im Hauptgebäude der Universität abgehalten werden. Und schließlich wird in einem Turnsaal des Universitätsinstituts für Leibesübungen das Rechenzentrum eingerichtet. ' Wie schon bei der Winterolympiade in Squaw Valley, wird auch für 1964 ein großes amerikanisches Unternehmen zwei Datenverarbeitungsmaschinen zur Verfügung stellen, um die Resultate der Wettbewerbe in Bruchteilen von Sekunden zu ermitteln.

GESAMTBAUKOSTEN IN DER HÖHE VON 73 MILLIONEN SCHILLING werden für das neue Innsbrucker Kunsteisstadion veranschlagt, das zur Zeit noch eine Riesenbaustelle mit langsam emporwachsendem Betontribünen und Stahlgerüsten ist. Im Süden der Stadt angelegt, ist dieses Bauvorhaben der kostspieligste und bedeutsamste Punkt des Programms der Olympiadevorbereitungen. In seinen Außenmaßen wird das Eisstadion bei Fertigstellung fast die Größenverhälj-nisse der Wiener Stadthalle haben. Nach dem Süden zu, Richtung Berg Isel und Innsbrucker Mittelgebirge, wird das Gebäude abgeschlossen, um unerwünschte Sonnenbestrahlung der Kunsteisfläche abzuhalten. Dafür soll die Front nach Norden zur Gänze verglast werden, um den großartigen Blick auf die Nordkette freizugeben.

Diese Halle, Fassungsvermögen 9200 Personen auf 2000 Sitzplätzen und 7200 Stehplätzen, ist für die Wettbewerbe im Eiskunstlauf, Eisschnellauf und Hockey bestimmt. Auch hier wird, dem Weltereignis entsprechend, für die Presse großzügig geplant: Die Zeichnungen weisen zwanzig Fernseh-und ebenso viele Rundfunkkabinen auf, fünfzig Sitzplätze für Sportkommentatoren, die ihre Meldungen noch an Ort und Stelle ihren1 Zeitungen durchgehen müssen, erhalten direkten Telephonanschluß.

Als ein System im Oval dicht nebeneinander liegender Kühlrohre zeigt sich vorläufig noch die zukünftige Eisfreifläche vor dem gedeckten Stadion. Sie ist für das olympische Schnellauftraining und auch für Wettkämpfe bestimmt. Die fertige Kunsteisbahn wird 14 Meter breit und 400 Meter lang sein, mit einem Inneneisfeld von 30 X 112 Metern. Darauf werden die Kunstläufer beim Training ihre Pirouetten drehen.

•„GENERALPROBE“ FÜR DIE OLYMPIADE gibt es im kommenden Winter auf der neuen Bobbahn, die an den Hängen des Innsbrucker Mittelgebirges, in der Nähe des altrenommierten Wintersportortes Igls, angelegt wird. Die Bauzeit ist verhältnismäßig kurz, denn zum Unterschied von anderen Bobtrassen, die sich aus den Gegebenheiten der Bodenverhältnisse und den sportlichen Erfahrungen entwickelten, in einer Art natürlichen Wachstums, leisteten in Innsbruck die Theoretiker mit Zirkel und Rechenschieber wichtige Vorarbeiten. Die Igler Rennstrecke wurde errechnet und konstruiert. Sie ist gewissermaßen ein Beispiel sportwissenschaftlichen Denkens und Planens. Was auf dem Papier ermittelt wurde, nimmt nun oben im Gelände greifbare und vor allem befahrbare Gestalt an. Als gekrümmte konkave Mauern aus Stahlbeton erstehen die Kehren und Kurven, in denen die behelmten Bobfahrer in beängstigendem Tempo dahinsausen werden. Auch an eine Korrektionsmöglichkeit nach der Erprobung ist gedacht, deshalb verwendet man in den Übergängen Trockenmauerwerk aus Betonhohlziegeln, die ohne besondere Schwierigkeiten wieder ausgebaut werden können.

Die Trasse hat günstige Lichtverhältnisse, sie ist kaum der Sonnenbestrahlung ausgesetzt und liegt auch im Windschatten. Sollte der natürliche Schneefall ausbleiben, dann wird entsprechende Schneezufuhr organisiert; für die erforderliche Vereisung wird es eine eigene Wasserversorgung geben. Zu den Spezialbetrieben im Rahmen der Olympiade gehören auch Vereisungsanlagen mit einer Tagesproduktion von 4000 Kunsteisziegeln.

MARKANTESTE „KAMPFSTÄTTE“, wie es im olympischen Sprachgebrauch heißt und in diesem Fall seine besondere zwiefache Bedeutung erhält, ist die Sprungschanze auf der Höhe des Berg Isel. über dem bronzenen Andreas Hofer, dem Kaiserjägermuseum und der alten Schießstätte. Als Laie hat man den Eindruck, der Skispringer müßte von dieser Rampe über die Türme der beiden Wiltener Kirchen direkt in die wunderbare Weite von Stadt, Nordkette und Himmel hineinspringen. Es war klar, daß diese Schanze, wenngleich noch nicht „olympiareif“, aktiv in die Winterspiele einbezogen werden sollte.

Also ging man daran, sie „olympiareif“ zu machen. Vor allem mußte der Auslauf vor dem Gegenhang stärker ausgerundet werden. Die „alte“ Sprungschanze bot 25.000 Zuschauern Platz, die neuen, dicht gestaffelten Tribünen, die sich um den Auslauf fast zu einem amphitheatralischen Rund ausweiten (die Anlagen der Berg-Isel-Gcdächtnisstätte engen es an der Ostseite ein), sind für die doppelte Besucherzahl berechnet.

Und hier heroben auf dem Berg Isel soll auch die Eröffnungsfeier der Winterolympiade stattfinden; man denkt daran, eine monumentale Schale für die olympische Flamme zu errichten, ein neues, weithin sichtbares Denkmal des friedlichen Wettkampfes. Wenige Schritte von den Hallen mit den Trommeln und Sturmfahnen der Schützen von 1809 wird die weiße Fahne mit den fünf Ringen der großen Einheit entrollt werden ...

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