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Jahreseinkommen: eine Kuh

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Wer in schneefreier Zeit über den Semmering oder über den Wechsel in die Steiermark kommt, empfindet sie mit Recht als die grüne Mark. Über die Hälfte des Landes ist bewaldet. Von der anderen Hälfte liegen zwei Drittel unter Dauerrasen (Wiesen, Haus-, Hut- und Almweiden). Nur ein schwaches Sechstel der Mark wird unter Pflugkultur gehalten, und auch davon dient fast die Hälfte dem Futterbau (Wechselwiesen, Kleegras, Futter'hackfrüchte).

Dieser ausgedehnte Futterbau ist die Frucht reichlicher und meist gut verteilter Niederschläge. £r bedingt und begünstigt eine hochentwickelte Viehwirtschäft. Sie bringt dem Bauern drei Viertel aller Barerlöse. Der Hauptbetriebszweig ist in der Regel die Rinderhaltung. Sie verfügt über meist auf Doppelnutzung, auf Milch und Fleisch, gezüchtete leistungsfähige Rinderrassen. Die Milch wird durch ein vorbildliches Molkereiwesen erfaßt und verwertet. Steirische Butter und Käse erfreuen sich besten Rufes. Fleisch- und Zuchtvieh wird in steigenden Mengen exportiert.

Einen überraschend großen Umfang weist die Schweinehaltung auf. Sie bringt kleineren Betrieben oft höhere Einnahmen als die Milch und beruht auf einem intensiven Anbau von Hackfrüchten (Mais, Kartoffeln, Rüben) und Gerste. Einen großen Teil des für die Schweineaufzucht und Schweinemast notwendigen tierischen Eiweißes liefert die Magermilch als Nebenprodukt der Buttererzeugung.

Zahlreiche Kleinbetriebe beziehen aus der Geflügelhaltung, die noch recht ausbaufähig ist, namhafte Einnahmen. Sie bringt der steirischen Landwirtschaft doppelt so hohe Erlöse wie der Getreideverkauf. Steirisches Mastgeflügel hat (wie der steirische Mastochse) seit altersher einen ausgezeichneten Ruf.

Auch die Pferdezucht hat noch — trotz aller Mechanisierung — ihre Bedeutung. Gezüchtet wird vorwiegend (zu 80 Prozent) das schwere Kaltblut, der Noriker. Daneben erfreut sich der kleinere Haflinger (als Tragtier für die Gebirgs-truppen besonders geschätzt) steigender Beliebtheit. Auch die Warmblutzucht wird noch gepflegt, besonders in Piber (Lippizanerzucht für die Spanische Hofreitschule).

Wenn man zwischen Hörndl- und Körndlbauern unterscheiden will, so muß man den steirischen Bauern zu den Hörndlbauern zählen. Dennoch spielt der Getreidebau noch eine lebenswichtige Rolle. Er liefert nicht nur Mahlfrucht für den Menschen und Kraftfutter für das Vieh. Er liefert auch Stroh, den wichtigsten Rohstoff für die Erzeugung von Düngerhumus (Mist). Daß unsere Kulturböden auch nach vielhundertjähriger Nutzung immer noch gesund und fruchtbar sind, verdanken sie der gesunden Humuswirtschaft. Diese ergibt sich aus dem harmonischen Zusammenwirken von Strohfruchtbau (Getreide). Futterbau und Viehhaltung.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde mit großem Erfolg auch der Zuckerrübenbau eingeführt. In rauhen Lagen haben Familienbetriebe mit halbwegs ebenen Böden gute Voraussetzungen, hochwertige Pflanzkartoffeln erzeugen zu können (der Bedarf an solchen kann derzeit kaum gedeckt werden). Von wesentlich größerem Gewicht ist wieder der steirische Obstbau. Mag der steirische Apfel oft auch unscheinbarer erscheinen als so manches Farmobst, so ist er doch in Güte und Geschmack kaum zu übertreffen.

Die grüne Mark ist aber auch ein Weinland, wenn auch das kleinste Österreichs. Die im Süden gelegenen Weinhänge liefern viele hochwertige Weinsorten. Freilich ist die Bewirtschaftung der Weinhänge sehr arbeitsaufwendig (im Gegensatz zum Weinbau in der Ebene). Man fürchtet darum oft für swie Zukunft. - Gute Kenner des Weinmarktes glauen jedoch, djjß die Nachfrage nach guten, einheimischen, nicht „verbesserten“ Markenweinen auch in einem größeren Wirtschaftsraum kaum zu stillen sein wird.

Durch Aufnahme des Tabakbaues in der Oststeiermark und des Hopfenbaues im Leutschacher Gebiet konnte man vielen Kleinbetrieben wertvolle Bareinnahmen verschaffen.

Die wirtschaftliche Leistung der Bauernschaft ist sehr gut. Das südöstliche Flach- und Hügelgebiet, dem die Mittelsteiermark mit der Hauptmasse der steirischen Bauern angehört, erreicht unter allen österreichischen landwirtschaftlichen Produktionsgebieten mit rund 9000 Schilling die höchste Wertschöpfung je Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche.

Das Einkommen der steirischen Bauern ist aber im allgemeinen sehr ungünstig.

Lohnbetiiebe pflegen nur dann ohne Verlust zu arbeiten, wenn sie eben gelegen sind, viel Ackerfläche aufweisen und stark mechanisiert werden können. Solche Plusbetriebe sind jedoch in der Steiermark nur dünn gesät.

Lohnbetriebe mit großem Grünlandanteil und entsprechender Viehhaltung können hingegen nur unter sehr guten Verhältnissen auf ihre Kosten kommen. Denn Futterbau und Viehwirtschaft widerstreben der weitgetriebenen Mechanisierung. Unter auch nur etwas abweisenden Bedingungen schneiden sie mit Verlust ab und halten sich nur durch Zuschüsse aus dem Wald im Gleichgewicht, solang dieser noch solche abwirft.

Die Hauptmasse der 70.000 hauptberuflichen steirischen Betriebe sind jedoch Familienbetriebe mit 5 bis 10 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche und je zwei bis vier Kühen (rund 80 Prozent). Oft genug liegen sie noch a Hängen. Das Einkommen dieser Kleinbauern und kleinen Mittelbauern ist oft unzulänglich. Es ließe sich durch Mechanisierung nicht verbessern, sondern nur durch Intensivierung, Schaffung gewerblicher Nebeneinkommen und Wiederherstellung eines gerechten Preis-Kosten-Verhältnisses. Aber: Die Intensivierung (Ertragssteigerung vor allem durch Ausdehnung der aufwendigen, aber ergiebigen Betriebszweige) scheitert vielfach schon an Absatzschwierigkeiten. Denn gerade in den Intensiverzeugnissen (Zucker, Speisekartoffeln, Milch, Butter, Käse, Fleisch, Obst, Wein und Hopfen) ist der Inlandbedarf weitgehend gedeckt. Ein Export ist bei stärkster ausländischer Konkurrenz jedoch oft unmöglich bzw. meist mit Verlusten verbunden*.

Das gewerbliche Nebeneinkommen (aus Ftäch-terei, Erzeugung von Flachs und Leinen, Wolle und Loden, Holzkohle u. v. a.), das in der vor-mdustriellen Agrargesellschaft überhaupt die Entstehung der zahllosen Kleinbetriebe erst ermöglicht hat, ist der arbeitsteiligen Industriegesellschaft fast restlos zum Opfer gefallen. Der Fremdenverkehr bietet hierfür nur in landschaftlichen Gunstlagen und nur teilweise einen schwachen Ersatz.

Die Wiederherstellung eines gerechten Preis-Kosten-Verhäitnisses stößt jedoch auf härtesten Widerstand der sekundären und tertiären Wirtschaft Um jene Forderung zu verstehen, muß man wissen, daß seit dem Jahre 1927 die landwirtschaftlichen Kostenpreise (= die Preise für gewerbliche und Dienstleistungen) gegenüber den Agrarpreisen im gewogenen Mittel um mehr als 40 Prozent gestiegen sind! Wie Vizekanzler Dr. Pittermann am 8. März 1960 in einer Versammlung in Leoben festgestellt hat, muß nämlich die österreichische Landwirtschaft dauernd Preisopfer (= Einkommensopfer!) zugunsten einer viel stärkeren und viel besser verdienenden industriellen Wirtschaft bringen, „damit diese besser konkurrenzfähig sei“. Ein solches

Vorgehen (Finanzierung des industriellen Aufbaues durch Belastung der Bauernschaft) ist zu Beginn der industriellen Entwicklung zu rechtfertigen. Im Zeitalter der „Konsumgesellschaft“ und einer blühenden industriellen Konjunktur aber ist diese Belastung der Bauernschaft untragbar. Churchill hat leider recht, wenn er feststellt: „Es scheint das Schicksal des europäischen Bauern zu sein, seit zweitausend Jahren nie über ein höheres Arbeitseinkommen kommen zu können, als dem Wert einer Kuh entspricht.“ (Es lag im letzten Buchführungsjahr je Familienarbeitskraft zwischen 8000 und 9ooo Schilling; mitarbeitende Frauen und Jugendliche wurden hierbei auf Vollarbeitskraft umgerechnet. Eine gute Nutzkuh kostet 8000 bis 9000 Schilling.)

Man darf ruhig den Ausspruch wagen, daß sehr viele steirische Bauern nur deshalb noch Bauern sind, weil ihnen das Unterschlüpfen in der sekundären und tertiären Wirtschaft noch nicht gelungen ist.

Ohne tiefgreifende wirtschaftliche Wiedergutmachung und bessere soziale wie kulturelle Betreuung wird man jedenfalls den Kern der steirischen Bauernschaft, die bei der letzten Volkszählung noch 43,3 Prozent aller Berufstätigen und 30 Prozent der Wohnbevölkerung gestellt hat, nicht retten können.

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