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50 Turmprojekte in wenigen Jahren, Konzept und Perspektive fehlen: in Wien kann (fast) jeder sein Hochhaus bauen lassen. Und um die Infrastrukturen soll sich dann die öffentliche Hand kümmern.

Sie werden geliebt von Architekten und Politikern, sie sind begehrt bei Grundstücks- und Immobilienspekulanten - und gelten als Zugpferde in der Bau- und Investmentbranche: Hochhäuser. Bis in die späten 80er Jahre waren sie in Wien allerdings tabu. Abgesehen von wenigen Ausnahmen wurde die Gebäudehöhe auf maximal 26 Meter beschränkt, wodurch die Stadtsilhouette heute noch in weiten Teilen die gründerzeitliche Einheitlichkeit des Bauzonenplans von 1893 besitzt.

Erst mit der Ostöffnung, als sich Wien plötzlich in Konkurrenz zu Städten wie Prag und Budapest sah, wurde das Hochhaus wieder zum Thema. Rasch überwand die Lokalpolitik ihre Skepsis und hoffte, Turmbauten würden internationale Unternehmen anziehen und die etwas verschlafene Donaumetropole zu einer modernen Weltstadt machen. Ein planerisches Instrumentarium, eine fachliche Grundlage für politische Entscheidungen wurde von der Stadt zunächst allerdings nicht bereitgestellt.

Erstes Experimentierfeld für den hierorts neuen Gebäudetyp war die sogenannte Donau City, die zu einem zweiten Stadtzentrum für die dynamisch wachsenden Stadterweiterungsgebiete nördlich der Donau werden sollte. Auf dem künstlichen Bauplatz, einer 17 Hektar großen Überplattung der Stadtautobahn A22, hätte ursprünglich die per Volksentscheid abgelehnte EXPO '95 stattfinden sollen. Nun entstanden hier gleich mehrere Büro- und Wohntürme - unter anderem Österreichs höchstes Wohnhaus mit 110 Metern. Bis heute erfüllt die Donau City nicht jene Erwartungen, die ihre Planer geweckt hatten: Die öffentlichen Räume sind kaum zu urbanen, belebten Plätzen geworden - und die Vielfalt an Handel, Dienstleistung und Gastronomie hält sich im neuen Stadtzentrum in engen Grenzen.

Enttäuschung: Donau City

Zweifellos aber ist der Standort - unmittelbar an der Donau gelegen und erschlossen durch U-Bahn und Autobahn - stadtstrukturell, stadtgestalterisch und verkehrstechnisch für größere Bauvolumen geeignet. Dagegen laufen zahlreiche andere Hochhausprojekte sämtlichen stadtplanerischen Grundsätzen zuwider und scheinen lediglich privatem Gewinnstreben und individuellem Geltungsdrang zu dienen. Banken, Versicherungen und Baukonzerne, die Österreichischen Bundesbahnen ebenso wie gemeinnützige Wohnbauträger oder ehrgeizige Bezirkspolitiker - nahezu jeder, der sich Ende der 90er Jahre ein Hochhaus wünschte, bekam es mit den entsprechenden politischen Beziehungen auch bewilligt. Rund 50 Turmprojekte, verteilt über ganz Wien, segnete die Stadt binnen weniger Jahre ab - ohne zwischenzeitlich zu untersuchen, ob und wie sich die ersten realisierten Bauten bewähren. 20 Hochhäuser wurden bislang fertiggestellt, angeführt vom 202 Meter hohen Millennium Tower - der auf den Plänen, die der Gemeinderat genehmigte, noch bescheidene 120 Meter maß.

Fragwürdig erscheint auch die Entwicklung der Wienerberg City auf den ehemaligen Lehmabbauflächen des heute weltgrößten Ziegelkonzerns - der Firma Wienerberger. In keinem Raumplanungskonzept war dieser Standort am Südrand Wiens je für eine großmaßstäbige Entwicklung vorgesehen. Dennoch entstehen dort neben den zwei bereits realisierten Bürotürmen noch vier Hochhäuser mit insgesamt 1.000 Wohnungen - ohne die entsprechenden sozialen Einrichtungen und abseits leistungsfähiger öffentlicher Verkehrsmittel. Schon vor Bezug der ersten Objekte werden nun Stimmen laut, die von der Stadt eine infrastrukturelle Nachrüstung fordern - bezeichnender Weise auf Kosten der Allgemeinheit anstatt zu Lasten der Investoren.

Unweit davon, am Laaer Berg, verfügt auch die Firma Porr - einer der größten Baukonzerne im deutschsprachigen Raum - über ein altes Betriebsgelände, auf dem sie derzeit ihr eigenes Hochhausviertel errichtet. Nicht nur, dass auch dieser Standort entlegen und stadtstrukturell ungeeignet ist, er ist zudem durch die Stadtautobahn A23 zerschnitten. Deshalb wurde die meistbefahrene Straße des Landes mit über 100.000 Autos pro Tag auf einer Länge von 220 Metern überplattet, um darüber neben 4.000 Jobs auch - wie es heißt - "1.000 Wohnungen im Grünen für Familien mit Kindern" zu schaffen. Mit öffentlichen Mitteln der Wiener Wohnbauförderung entsteht hier das Wohnviertel mit der wohl größten Verkehrs- und Schadstoffbelastung Österreichs.

Konflikt: Bahnhof Wien-Mitte

Solange die Wohn-, Hotel- und Bürohochhäuser in peripherer Lage geplant und gebaut wurden, beschränkte sich die Kritik an diesem Wildwuchs auf einen kleinen Kreis von Fachleuten. Erst als die Überbauung des zentrumsnahen Bahnhofs Wien-Mitte durch einen massigen Komplex mit drei 90 Meter hohen Türmen spruchreif wurde, begann sich breiterer Protest zu regen - nicht zuletzt wegen der Situierung der Hochhäuser nahe der historischen Altstadt, einem Weltkulturerbe der UNESCO. Die Einwände von Bürgerinitiativen, Medien und namhaften Architekten hatten schließlich zur Folge, dass das Projekt im März dieses Jahres von der Stadtregierung und dem Bauträger - Österreichs größter und dem Rathaus nahestehenden Bank - in der geplanten Form aufgegeben wurde.

Ob es nun am wachsenden Problembewusstsein der Öffentlichkeit oder am neuen Planungsstadtrat lag: 2002 erarbeitete die Stadt Wien endlich ein Hochhauskonzept, das die künftige Entwicklung steuern soll. Darin sind all jene Bereiche definiert, die für Hochhäuser nicht in Frage kommen - etwa Landschaftsschutzgebiete, architektonische und denkmalpflegerische Schutzzonen sowie einige wichtige Sichtachsen. Alle anderen Bereiche der Stadt gelten allerdings weiterhin als potentielle Eignungszonen. Innerhalb dieser Eignungszonen benötigen Hochhausprojekte einen Anschluss an das hochrangige öffentliche Verkehrsnetz - sprich eine "bestehende oder mittelfristig realisierbare Station der S-Bahn, U-Bahn oder zweier Straßenbahnlinien". Wien zählt derzeit allein 77 U-Bahn-Stationen, ganz zu schweigen von Schnellbahn- und Tramway-Haltestellen. Eine notwendige Selektion von Standorten, eine sinnvolle Fokussierung auf bestimmte Entwicklungsgebiete wird so nicht erfolgen.

Zwar müssen Investoren künftig durch ein Gutachten die Erfüllung eines zehn Punkte umfassenden Kriterienkatalogs nachweisen. Anforderungen wie die "positive Beziehung zum Umfeld" oder die "stadtstrukturelle Verträglichkeit" eines Hochhauses bleiben ohne konkrete Maßzahlen und Grenzwerte allerdings Interpretationssache. Es ist bedauerlich, dass die Stadtplanung das Instrument Hochhaus nicht offensiver und bewusster - wie etwa bei der Donau City - einsetzt, um bestimmte Stadtteilzentren zu stärken. Hochhäuser sollten ja nicht nur "verträglich" sondern für die Stadtentwicklung sinnvoll sein. Über das Stadtgebiet verstreute Solitäre, die aufgrund zufälliger Bodenverfügbarkeit entstehen, werden der Stadt wenig nützen.

Planlos: Wien ist anders

Darüber hinaus fehlt es an einer städtebaulichen Perspektive für das "Gesamtkunstwerk Wien". Auch wenn sich ein gewünschtes Stadtbild nicht verordnen lässt, so braucht ein Hochhauskonzept neben planungstechnischen Reglementierungen doch auch kreative Komponenten. Ansonsten - so ein verbreiteter Kritikpunkt - lege Wien seine städtebauliche Entwicklung in die Hände internationaler Investmentfonds. Generell fällt auf, dass das traditionell sozialistische Wien das Thema Hochhaus viel liberaler handhabt als zahlreiche westeuropäische und selbst angloamerikanische Städte. London und Paris etwa konzentrieren ihre Hochhäuser an einigen ausgewählten Standorten - und die Investoren akzeptieren es, in diese Sonderzonen gelenkt zu werden.

Ohnehin bevorzugen die meisten Firmen Hochhausgruppen gegenüber Einzeltürmen. Der Stadtplanung wiederum ermöglicht ein sogenannter Cluster die Bündelung von Planungsleistungen und öffentlicher Infrastruktur sowie die Ausgestaltung einer Übergangszone von der hohen Bebauung zur umliegenden, niedrigeren Struktur. Rotterdam setzt nach negativen Erfahrungen mit monofunktionellen Hochhäusern neuerdings auf Türme mit Mischnutzung, was als Voraussetzung für eine gewisse Urbanität angesehen wird. Und München praktiziert mit Erfolg die Mehrwertabschöpfung von Großprojekten - nicht nur als Ausgleich für die notwendigen öffentlichen Leistungen, sondern auch zur Besteuerung des individuellen Flächenwidmungsgewinn, sobald höher bzw. dichter als ortsüblich gebaut wird.

In Wien werden die meisten dieser Reglementierungen als investitionshemmend und unternehmerfeindlich abgetan. Vielleicht aber reguliert sich der Hochhaus-Boom ja irgendwann von selbst: Wenn die Stadt bemerkt, dass die meisten Hochhäuser keine Zuwächse, sondern bloß eine Verlagerung von Arbeitsplätzen - vielfach aus dem Zentrum an den Stadtrand - bedeuten. Wenn Investoren bemerken, dass die bereits in mehreren Türmen leerstehenden Büroetagen auch langfristig nicht an den Mann zu bringen sind. Wenn Bewohner bemerken, dass viele der mit großem Marketing-Aufwand beworbenen Apartmenttürme von unterdurchschnittlicher Wohnqualität, mangelnder Freiraumausstattung und schlechter Versorgung gekennzeichnet sind. Doch bis zu dieser Erkenntnis könnte die Stadtstruktur noch so manchen Schaden nehmen.

Der Autor ist Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist sowie Leiter des Vereins URBAN+.

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