6633225-1956_51_04.jpg
Digital In Arbeit

Kaprun am Kamp

Werbung
Werbung
Werbung

Wo der Wanderer einstmals am Ufer eines schmalen Flusses, an einer auf steilem Berg imposant das Tal beherrschenden Burg vorbei, das einsame Kamptal durchschritt, dehnt sich heute ein sechzig Meter tiefer See aus. Wo höchstens dann und wann eine Autohupe die Stille störte, braust heute das Wasser durch die Turbinen-schäehte, summen die Transformatoren, wird die Kraft eines seit alters her unverläßlichen, Jahr für Jahr mit gefährlichen Hochwässern drohenden Gewässers der menschlichen Wirtschaft nutzbar gemacht.

Die meisten Leute denken zunächst an Kaprun, wenn von den österreichischen Kraftwerken die Rede ist. Daß sich auch in Niederösterreich, außer der Donau, gewaltige Wasserkräfte zur Verwandlung in elektrischen Strom anbieten, spricht sich erst jetzt langsam herum, seit innerhalb weniger Jahre drei Kraftwerke die Landschaft des Waldviertels um eine Kette herrlicher Seen bereichert haben.

1949 hat die Newag aas größte niederösterreichische Nachkriegs-Bauvorhaben mit der Schaffung des Ausgleichswerkes Thurnberg— Wegscheid begonnen, 1952 wurde dieses kleinste von vorläufig drei Kampwerken eröffnet. Ob-

WoM Wer Jährlich Immerhin 11,9 Millionen Kilowattstunden erzeugt werden, ist es die eigentliche Aufgabe dieses Werkes, die unregelmäßig abfließenden Wassermassen der beiden Spitzwerke Krumau und Ottenstein zu sammeln und möglichst gleichmäßig in den Unterlauf des Kamps zu senden. Durch diese Verbesserung der Wasserführung gewinnen nicht nur ^ie Bauern, deren Felder jetzt nicht mehr von Hochwässern verwüstet werden, sondern auch die beiden älteren, weiter flußab gelegenen kleinen Kraftwerke Rosenburg und Zöbing, deren Kapazität von 5 auf 8,5 Millionen Kilowattstunden im Jahr gestiegen ist.

Weiter führt uns die Reise, den Kamp auf wärts. Von Zwettl her kommt uns der Fluß im großen und ganzen in west-östlicher Richtung entgegen. Ehe er, an der Rosenburg vorbei, endgültig nach Süden der Donau entgegenfließt, setzt er noch einmal zu einem letzten großen Schwung nach Norden an. Hier, bei Krumau, sperrt eine 52 Meter hohe Mauer das Tal. Kein aufgeschütteter Damm, wie die 20 Meier hohe Sperre Thurnberg, sondern ein 220 Meter langer Betonwall, der sich, an der Basis 20 Meter dick, zu einer Kronenbreite von knapp zweieinhalb Meter verjüngt. Drei Franzisturbinen, die 375mal in der Minute herumwirbeln, entwickeln zusammen 22.800 Pferdekräfte, die von drei Drehstromgeneratoren in Elektrizität verwandelt werden.

Zwischen Dobra und Ottenstein breitet sich nun, fast zehn Kilometer lang, der Dobra-See aus. Am Ende des Rückstaues erhebt sich die letzte und höchste Sperre, Ottenstein, das Kaprun am Kamp. Tatsächlich faßt der See hinter diesem 65 Meter hohen Damm ebensoviel Wasser, wie das berühmte Becken von Kaprun. Knapp an den Felsen gebaut: Das Krafthaus. Vier Turbinen (deren erste kürzlich in Betrieb gesetzt wurde) mit einer Leistung von je 14.300 Pferdestärken werden hier jährlich 84 Millionen Kilowattstunden erzeugen. “Der Raum für die Freiluftschaltanlage wurde dem-Felsen abgelistet: Sie steht, in luftiger Höhe an das Krafthaus angebaut, auf einer Betonplatte auf schmalen Stützen über dem Felsgrund zwischen Krafthaus und Steilhang. Man fragt sich, wo hier Betonfabrik, Mischmaschinen, Lagerplätze Raum gefunden haben. Das Ei des Kolumbus im wahrsten Sinn: Die Spitze des Berges, dessen felsige Flanke das Widerlager für die Staumauer bildet, wurde abgeplattet und in einen-idealen Platz für die Baustelleneinrichtungen verwandelt.

Etwas fällt auch dem Laien sofort auf, wenn er die gewaltige Betonwand betrachtet, etwas irritiert das Auge, unterscheidet sie von allen Sperren, die es gesehen hat. Dann sieht man sie bewußt: Die doppelte Krümmung. Die Staumauer von Ottenstein ist nicht nur in waagrechter, sondern auch in senkrechter Richtung geschwungen. Der Form nach etwa der sanft gekrümmten Seite einer Eierschale vergleichbar, stemmt sie' sich den Wassermassen entgegen. Und so, wie die dünne, stoßempfindliche Eierschale gleich einem Gewölbe erheblichem Druck standhalten kann, wenn er gleichmäßig auf sie einwirkt, so konnte auch diese Staumauer viel schwächer ausgeführt werden, als ihre robusteren, aber nur einfach gekrümmten Schwestern. Sie ist die erste ihrer Art in Oesterreich, eine der modernsten von Europa. Wieder einmal machte der Rechenstift viele Waggonladungen von Zement überflüssig, der Geist triumphierte über die rohe Materie.

Ein halsbrecherischer Fußpfad führt vom Krafthaus am Berg entlang steil hinauf zur sieben Meter breiten Dammkrone. Klein sieht von hier oben das Krafthaus aus, das Tosbecken, das Spielzeuggestänge- der 110.ooo-Volt-Freiluftschaltanlage. Aber auch hier oben gellt es uns wie der Gewehrschuß eines Jägers in den Ohren, wenn unten jemand auf den Betätigungsknopf für den Preßluftschalter drückt, der den guten, alten, aber langsameren Hochspannungs-Oel-schalter abgelöst hat.

Ottenstein ist ein „Pumpenspeicherwerk“. Untertags, in den Spitzenzeiten, wenn der Strombedarf besonders hoch ist, werden gewaltige Wassermassen durch t die Stollen zu den Turbinen hinunterstürzen und in den Dobra-See abfließen. Nachts sinkt der Strombedarf auf ein Minimum, Ybbs-Persenbeug aber, das große, im Entstehen begriffene Donau-Kraftwerk, wird auch nachts Strom liefern. Mit diesem überschüssigen, billigen Nachtstrom sollen drei von den vier Generatoren im Krafthaus /on Ottenstein nachts als Elektromotoren arbeiten, die über mächtige Pumpen Wasser aus dem Dobra-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung